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STREITER UND BAHNBRECHER

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„Als ich Karl Muth zum erstenmal sah, mußte ich eine ehrfurchtsvolle. Scheu überwinden ... Ich hatte einen Feuerkopf erwartet, der meinen Vorstellungen von einem mutigen Kämpfer entsprach, den ich seit zehn Jahren aus dem Hochland' kannte und liebte. Aus diem Sessel erhob sich ein größer, schlanker Mann, mit gütigem, lebhaftem Blick; die zurückgekämmten graumelierten Haare betonten die hohe Stirn, ein Zwicker, mit einer schwarzen Schnur an der Weste festgehalten, ein gepflegter Spitzbart gaben ihm eher ein altertümliches, konservatives Gepräge. Schon damals hatte er, wenn er stand oder auf und ab ging, eine vorgebeugte Haltung, als ob die Last des Kampfes, der Verfemungen, der Enttäuschungen auf ihm liege. Aber sofort änderte sich das Bild, wenn er sprach: lebhaft, klar und eindringlich — seine Stimme klingt mir noch heute im Ohr —, und wenn die klugen, blitzenden Augen, den, der ihm gegenüberstand, gefangennahmen. Ich habe das gleiche empfunden wie Fedor Ste-pun, der von Muth einmal sagte: ,Trotz seiner weltmännischen, ja sogar leise grandseigneurhaften Art, sich zu geben, war eine große Schlichtheit und beinahe Intimität im ganzen Gebaren.'“

So erinnert sich heute der Verleger Josef Knecht seines alten Freundes Karl Muth, der die Geister seiner Zeit in Aufruhr brachte, der die einen schockierte und die anderen faszinierte, dessen Worte hier erbitterte Ablehnung, dort helle Begeisterung auslösten. Als Literaturkritiker und Zeitungsherausgeber kommt dem „mutigen Kämpfer“ Karl Muth Bedeutung zu, die über seine Lebenszeit hinaus ins Heute wirkt.

Heute würde kein ernstzunehmender Kritiker mehr die Beurteilung eines literarischen Werkes von der Konfessionszugehörigkeit seines Verfassers oder Helden abhängig machen. Und daß ein sprachliches Kunstwerk zuerst als sprachliches Kunstwerk und dann erst nach seiner Weltanschauung beurteilt werden soll, daß Dichtung „kein Bilderbuch zur katholischen Morallehre“ ist, hat sich heute auch in der katholischen Welt allgemein durchgesetzt. Diese Einsichten waren keineswegs immer selbstverständlich; sie sind die Früchte des Kampfes, den Karl Muth zu Anfang unseres Jahrhunderts gegen die Bevormundung und mißtrauische Literaturüberwachung von seifen der Kirche, gegen die Anspruchslosigkeit katholischer Leser und die Mittelmäßigkeit katholischer Schriftsteller führte. In einer Zeit, als der Grundsatz „Catholica non leguntur“ von Katholiken, Liberalen und Protestanten gleichermaßen als unabänderliches Dogma akzeptiert wurde, gründete Muth die Monatsschrift „Hochland“ (1903), um die sich in den folgenden Jahren Gertrud von le Fort, Werner Bergengruen, Enrica von Handel-Mazetti, Konrad Weiß, ReinhoM Schneider und Elisabeth Langgässer sammelten — Namen, die dieses Urteil, daß „Katholisches“ nicht gelesen wird, widerlegen.

Mit der polemischen Frage: „Steht die katholische Belletristik auf der Höhe der Zeit?“ und ihrer eindeutigen Verneinung schockierte Muth 1898 die katholische Welt und weckte sie unsanft aus ihrer geistigen Teilnahmslosigkeit und Genügsamkeit. Und mit „Hochland“ öffnete er ihnen dann ein Forum, das „eine freie und lebendige und damit auch fruchtbare Auseinandersetzung mit allem, was unsere Gegenwart bewegt und woraus unsere Zukunft wird“, und einen Ausweg aus dem geistigen Ghetto bieten sollte. Selbst als die Zeitschrift und mit ihr Karl Muth „modernistischer“ Tendenzen beschuldigt wurde und ihm von Rom die Indizierung drohte, verteidigte er diese(s Programm, verlangte den Rückzug des moralisierenden Klerus vom literarischen Richterstuhl und verkündete: „Auch von einem noch so entschiedenen christlichen Standpunkt aus darf man die Kunst nicht ihrem Wesen, das Schau, Liebe und Begeisterung ist, entfremden, indem man sie mit didaktischen Zwecken belastet. Sie hat keine solchen Zwecke, sie ist die frei geborene Tochter der Natur, und alles, was sie ohne Schaden erträgt, das ist die christliche Taufe, die sie in ihren Schöpfern mitempfängt und durch die sie erlöst wird aus dem Bann des Dämonischen.“

Mit dieser Weigerung, den Wert der Dichtung nach dem christlichen Stoff, der Konfessionszugehörigkeit des Verfassers oder Helden zu messen, brachte er sich in heftigen Gegensatz zu einer gängigen Literaturkritik des Jesuiten Kreiten etwa, der den in einem Roman ausgesprochenen Wunsch rügte, in des Waldes Einsamkeit begraben zu werden: „Katholischer Wunsch und auch dichterisch berechtigter ist es, iri geweihter Erde zu liegen.“ Und der Abdruck des Romans „Jesse und Maria“ von Enrica von Handel-Mazetti, in dem der protestantische Bräutigam „zu positiv“ gezeichnet ist, brachte dem „Hochland“ Feinde und sogar Abonnentenschwund. Auch wenn dieser Roman nicht von zeitloser Bedeutung und höchster dichterischer Qualität ist, so markiert er doch den ersten Ausbruch aus einer konstruierten katholischen Tendenzliteratur zu lebendig-menschlich empfundener Dichtung.

In zutiefst katholischer Überzeugung öffnete Muth seine Zeitschrift allen großen Geistern seiner Zeit, ungeachtet ihrer Weltanschauung oder Konfession: „Kierkegaard, Strindberg, Tolstoi... Als Erlebniseinheiten muß der Katholik auch solche Männer, die ihm innerlich nicht wesensgleich sind, in sein Weltbild geistig einordnen.“ So konfrontierte er seine Mitarbeiter und Leser mit allen geistigen Strömungen ihrer Zeit, mit dem Existentialismus wie dem Expressionismus und dem französschen renouveau catholique — eine Haltung, die die damals noch protestantische Gertrud von Le Fort als „universale christliche Geistes- und Liebeshaltung“ dankbar empfand.

Wenn ihn auch diese offenen geistigen Auseinandersetzungen „vor der Einengung bewahrten, vor dem, was ich katholischen Parteigeist nennen möchte“, und wenn er damit in seiner Zeitschrift schon vor 50 Jahren das praktizierte, was wir heute modern als die These vom „anonym Christlichen in der Welt“ formulieren, so blieb er in jeder Umgebung, in die ihn sein geistiger Expansionstrieb drängte, „doch stets innerlich zu Hause“. Die Verdächtigungen modernistischer Häresien, die vom Wiener Gralskreis um Richard von Kralik ausgestreut wurden, trafen Muth und das „Hochland“ sicher nicht zu Recht.

In der polemischen Auseinandersetzung um 1910 zwischen dem „Hochland“-Kreis um Karl Muth in München und dem „Gral“-Kreis um Richard von Kralik in Wien, die als „katholischer Literaturstreit“ in die Literaturgeschichte einging, wurde erbittert um Möglichkeit, Konzeption und Anerkennung einer Dichtung im katholischen Raum gerungen.

Richard von Kralik beharrte auf „konsequent katholischer Literatur“, hielt formalästhetische Gesichtspunkte von sehr untergeordneter Bedeutung und begründete eine universalistische, den Zeiten enthobene Dichtungs- und Kunstlehre. „Muth war der Gegenwart hingegeben“, schreibt Viktor Suchy in einem Aufsatz über „Katholische Gegenwartsdichtung deutscher Zunge“ (1954). „Er war daher auch für die Stellungnahme zu ihr. Er dachte modern und hatte Anteil am Modernen, auch an der modernen religiösen Problematik, auch am Modernismus, ohne in dessen dogmatische Irrtümer zu verfallen. Muth war immer auf der Seite derer, in denen sich neue Fragen aus echtem Erleben losrangen, neue Formen sich zeigten. Er hatte einen feinen Spürsinn für das Gegenwärtige.“

Die literarische Entwicklung entschied den „katholischen Literaturstreit“: Autoren, die an Karl Muths Kritik reiften, die sich im „Hochland“ kristallisierten und im dort geschaffenen Raum der Freiheit wuchsen, drückten der Literatur der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ihren Stempel auf.

„Sie waren, lieber Muth, immer in einem edelen Sinn ,rerum novarum cupidus', und darum zum Gründer und Herausgeber einer Zeitschrift prädestiniert. Diese Leidenschaft kann blind sein von Anfang und es bis zum Ende bleiben. Dann schafft sie nur Unheil... Ist sie aber sehend von Anfang an und wird sie es immer mehr durch Zucht und vernünftigen Gehorsam, dann erfüllt sie eine immer neu gestellte Aufgabe.“ Mit diesen Worten beglückwünschte Theodor Haecker Karl Muth zu dessen 70. Geburtstag 1937.

Nur einem Herausgeber, der „sehend von Anfang an“ war, konnte 20 Jahre später eine eingehende Untersuchung bescheinigen, daß die antinationalsozialistdsche Haltung des „Hochland“ von 1933 bis zu seinem Verbot 1941 „einheitlich und lückenlos“ war. Friedrich Dessauer schildert in einem Brief an den toten Freund Karl Muth einen NS-Prozeß, in dem Muth als Zeuge für seine angeklagten Mitarbeiter eintrat: „1933. Im Gerichtssaal zu Mönchengladbach, bei einem inszenierten Schauprozeß; die Saalplätze sind von SS-Männern und anderen Parteigenossen eingenommen... Es war gefährlich, für ausgesprochene Gegner des Regimes als Zeuge aufzutreten. Du wurdest aufgerufen. Mit Ruhe, ja mit souveräner Würde ohne Pose tratest Du in die Mitte des Saales, zugleich vor die wilde, durch verlogenen Zeitungsaufsätze gegen uns aufgehetzte Meute. Sie verstummte und lauschte wider Willen gespannt den klaren, furchtlosen und eindeutigen Antworten, die Du in dieser von Aufregung vibrierender Situation auf die Fragen des Vorsitzenden erteiltest. Und sie schwieg noch, als Du zu Ende warst. Solche Macht ging damals von Dir aus — wie kann man dies in Worten sagen? Du erzwangst, einfach durch Dein Erscheinen und Sprechen, gelassen und bestimmt, Ehrfurcht vor der Wahrhaftigkeit, selbst in diesem Krankensaal der Tobsucht“ („Hochland“, Oktoberheft 1953).

Durch die Bewahrung der Universalität und geistigen Weite der Literatur und durch die Zurückweisung nationalsozialistischen Gedankenguts leitete „Hochland“ in den gebildeten Schlichten den Prozeß der Ernüchterung ein und öffnete vom Glauben her den Blick für das mysferium iniquitatis jener Zeit (Konrad Ackermann: „Der Widerstand der Monatsschrift Hochland gegen den'Nationalsozialismus“ 1965).

Das „rerum novarum cupidus“ hielt den Herausgeber Karl Muth immer in enger Verbindung mit den Jungen und Leidenschaftlichen der Dichtergeneration seiner Zeit. Als Kritiker in seiner Vermittlerposition zwischen Dichter und Leser öffnete er den Jungen den Weg zu einem Publikum, das dem Neuen, Ungewohnten, gar dem Experiment Verständnis entgegenbrachte. „Wenn sich auch heute eine junge Dichtergeneration turbulent gebärdet, so trete man das zuweilen noch nicht hell und leuchtend brennende Feuer ihrer Liebe und Begeisterung nicht aus.“ Er warnte immer davor, einer „einzelnen großen Begabung, wenn sie sich heute meldet, durch unerleuchteten Eifer an falscher Stelle den Weg zu verlegen.“

Die Jungen selbst fanden bei Muth Ermutigung und Ansporn zu furchtloser Arbeit, aber auch ernste Kritik, wie es ein Mitarbeiter in einem Brief an Muth beschreibt: „Immer wieder kamen junge Menschen zu Ihnen mit der Bitte um literarischen Rat, sie unterbreiteten vertrauensvoll dichterische Erstlinge Ihrem Urteil und literaturwissenschaftliche Fragen Ihrer Erfahrung und gingen meist um mehr als bloße Kenntnisse bereichert wieder fort... Aber freilich, nicht alle kamen begeistert zurück, mancher hatte einen roten Kopf und man sah ihm an, wie wenig die Wahrheit, die er erfahren hatte, seinen Hoffnungen entsprach. Sie könnten ja den Wert nicht so würdigen, wie Sie es tun, sähen Sie in aller Schärfe nicht auch den Unwert.“

Gewiß bewies nicht alles, was Karl Muth ins „Hochland“ aufnahm, hohe dichterische Qualität und bleibenden Wert. Aber sein Wirken hat den Weg zur Situation von heute bereitet, in der die Präsenz des Katholischen in der Literatur nicht mehr in Frage steht. Für die Öffnung der katholischen Welt zur zweckfreien Kunst, zur Gegenwart und zu einer Literaturkritik, die nicht in erster Linie nach moralischer Qualität oder Konfessionszugehörigkeit fragt, sondern ein sprachliches Kunstwerk nach den ihm zukommenden Kriterien zu beurteilen bereit ist, hat Karl Muth sein Leben lang gekämpft. Gewiß sind manche Kampfthesen und speziellen literarischen Probleme jener Zeit heute nicht mehr aktuell, aber die Grundhaltung des Kritikers und Herausgebers Karl Muth — dem Kontakt mit der Gegenwart nicht auszuweichen, sondern in recht verstandener Katholizität alles, das Alte und Neue, zu sammeln und einer wachen Kritik nach den Gesetzen der Kunst und ihrer Übereinstimmung mit der Wirklichkeit zu unterziehen — ist nicht unaktuell oder unmodern geworden. Die Anerkennung der pluralistischen Welt und der These von anonym Christlichen in dieser Welt und in ihrer profanen Literatur wäre die heutige Ausprägung der Haltung eines Karl Muth.

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