Stürzend lebt der Mensch

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Seine Kunst war revolutionär: denn Wahrheit und Schönheit fielen bei Francisco Goya nicht mehr zusammen. Er bannte in seiner Kunst Ängste - auch die eigenen.

Zwei Mäzene der Kunst gab es im Spanien des 18. Jahrhunderts: Die Kirche und den Adel. Der 1746 im Norden des Landes geborene Francisco Goya begann seine Laufbahn als Kirchenfreskenmaler, doch drängte er bald zum zweiten möglichen Auftraggeber: an den Hof. Von 1775 bis 1792 entwarf er Teppichkartons für die königliche Manufaktur in Madrid und brachte es bis zum "primer pintor de cámara", zum ersten Hofmaler.

Barbarisierung dargestellt

Spanien durchlitt während der langen Lebenszeit Goyas - er starb 1828 mit 82 Jahren - die Besetzung durch Napoleons Truppen, einen Bürgerkrieg, Hunger, eine Typhus-Epidemie, Verelendung. Nicht genug damit, wurde nach der Vertreibung der Franzosen das politische Rad zurückgedreht: Ein bornierter König (Ferdinand VII.) kam wieder auf den Thron, setzte die Inquisition wieder ein, strengte Prozesse gegen Liberale an; wirtschaftliche Agonie und geistige Erstarrung folgten. Goya, mit 46 Jahren nach einer rätselhaften Erkrankung völlig ertaubt, kommentierte in seiner Kunst die Barbarisierung seines Landes. Dabei blieb es nicht: Das Böse, Tierische, Gemeine sah er als dem Menschen eingeboren: "El hombre vive cayendo - der Mensch lebt fallend, stürzend", war eine Grundeinsicht des Künstlers. Als alter Mann malte er auf die nackten Putzwände seines Hauses gespenstische Szenen in Schwarz: Eine Inquisitionsprozession; einen Hexensabbat; Judith, die Holofernes den Kopf abschlägt...

"Vom Himmel durch die Welt zur Hölle" nennt Kunsthistoriker Werner Hofmann (1960 bis 1969 Gründungsdirektor des Museums des 20. Jahrhunderts in Wien) sein neuestes Goya-Buch: Ein leidenschaftliches und überzeugendes Plädoyer für eine neue Sicht auf den Maler der menschlichen Abgründe. Das Buch ist keine Monografie im herkömmlichen Sinn, denn es geht Hofmann nicht um eine vollständige Darstellung des vielfältigen Schaffens von Goya. Die in Spanien so gern gezeigten Stierkampfszenen erwähnt er mit keinem Wort. Die nackte Maja streift er nur, um hervorzuheben, dass Goya mächtige Beschützer gehabt haben müsse, die ihn vor dem Heiligen Offizium, der Inquisition, bewahrten. Einen weiblichen Akt ohne mythologische Rechtfertigung zu malen, war ein riskantes Unterfangen. Selbst die erschreckend schonungslosen offiziellen Bilder der königlichen Familie interessieren Hofmann nicht sonderlich. Er spricht ihnen auch die häufig hineininterpretierte "insgeheime subversive Respektlosigkeit" ab.

Ihn interessierten die gezeichneten Parabeln, "in denen Goya die menschliche Existenz in ihren unausweichlichen Verstrickungen, in ihrer schicksalhaften Fallsüchtigkeit aufzeigt".

Goya bot seine "Caprichos" (Launen) ab 1799 selbst zum Verkauf an. Ohne Auftrag, ohne mäzenatische oder verlegerische Unterstützung hatte er 79 Radierungen geschaffen: Zeugnisse einer negativen Monumentalität des Scheiterns und Zugrundegehens. Baudelaire nannte die Blätter einen "Hexensabbat der Zivilisation". Ohne kämpferisches Pathos wischt Hofmann die bisherige These vom Tisch, Goya sei ein Aufklärer gewesen. Zwar habe der Künstler gesehen, "was den blind in ihren Begierden Verstrickten" verborgen blieb, doch sei es ihm in seiner Bestandaufnahme der conditio humana nicht um deren rationale Überwindung gegangen, sondern um das Bannen von Ängsten, auch der eigenen. Die Grausamkeiten der napoleonischen Zeit hielt Goya in 80 Radierungen fest. "Desastres de la guerra" ließ er zu Lebzeiten ebenso wenig erscheinen wie die 18 Blätter der "Disparates" (Torheiten). Zu konkret waren seine Kommentare zur spanischen Wirklichkeit während der französischen Jahre und danach: Raub, Mord, Vergewaltigung, von Goya selbst mit grausamen Sprichwörtern kommentiert. Hofmann spricht von zwei Traditionen, die dem Künstler Reibungsflächen boten: Der spanische Katholizismus, in dem er aufwuchs, und der Normenzwang der akademischen Kunstregeln.

Schon 1792 hatte Goya an seine Kollegen der Kunstakademie in Madrid geschrieben: "No hay reglas en la pintura" - es gibt keine Regeln in der Malerei. Revolutionär war Goya, weil bei ihm Wahrheit und Schönheit nicht mehr zusammenfielen. Seine Rolle als Künstler habe er als Beschwörer aufgefasst, dem die latente Animalität des Menschen wohlvertraut war.

Ein prachtvoll illustriertes, aufregend lebendig geschriebenes Werk, das zudem von Werner Hofmanns Interpretations- und Formulierungskunst zeugt.

Goya

Vom Himmel durch die Welt zur Hölle

Von Werner Hofmann

Verlag C. H. Beck, München 2003

335 Seiten, geb., mit 277 Abb., e 80,20

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