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Stumpfsinn vom Fließband

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DAS IST DER HELD: „Lash

Larue war ein Polizei-Marshall vom rechten Schrot und Korn, hart wie Stein, schnell wie ein Pferd — und ein kaltblütiger, sicherer Schütze! Doch seine Gegner waren skrupellos und schlau..

Und das ist sein Gegenspieler: „Revolver-Tom war genauso hart, schnell und kaltblütig wie er selbst.“ Und so sieht der Schurke aus: „Siehst du diese Augen? Es sind die

Augen eines Jägers, kalt, hart, unbarmherzig! Die Augen eines Mannes, der vor keinem Wagnis zurückschreckt, der gnadenlos sein Opfer bis zum letzten Atemzug verfolgt.“ Viel mehr erfahren wir über die Burschen nicht, denn sie sind die Hauptpersonen sogenannter Western-Comics, und in einem Western-Comic wird nicht lange geschildert, da wird gehandelt. Da sind derartige Passagen bereits Höchstleistungen erzählender Prosa.

Geredet wird allerdings mehr als genug. Den Helden hängt die sogenannte Redeblase aus dem Mund, das ist ein weißer Fleck mit dem Text.

FEINHEITEN DER LAUTMALEREI enthält fast jeder Western- Comic. „Rip!“ Das war ein reißendes Seil. „Crash!“ Das war ein Tritt gegen die Tür. „Bang, bang!“ Das waren ferne Schüsse. „Plash!“ Ein Mann hat ein Boot umgeworfen. „Uuuurrrf!“ Dies entfuhr einem, den des Feindes Faust am Kinn erwischte. „Ka-poww!“ Na, das ging aber knapp vorbei.

Dafür wird der Autor des Western-Comic schier zum Dichter, wenn er die Gegend beschreibt! „Vor dem Marshall lag eine Felsenlandschaft: im gleißenden Sonnenlicht fielen scharfe Schatten über seinen Weg — lauerte hier der Mörder schon? Unheimliche Stille lag über den Felsen.“

Böse Menschen kommen in einer solchen Landschaft glatt ums Leben: „Ich kenne das Wüstengesetz. So hat sich sein Schicksal entschieden. Er geht in den Tod, den so viele andere starben durch ihn, ohne Wasser — unter Qualen.“

Brave Leute, aber auch die Gauner, die man im weiteren Verlauf der Handlung noch braucht, erreichen heil ihr Ziel: „Dieses Nest ist also Mewa — eine der berüch- tigsten Städte im Westen! Aber vom ersten Anblick her ist sie nicht schlimmer als die anderen Grenzorte. Im Gegenteil — da kommt schon der Sheriff!"

DIE HANDLUNG DES WESTERN-COMIC kennt keinen Leerlauf, sie ist eine Kette aus lauter Höhepunkten:

„Prächtige Steine, Cax, wohąr hast du sie?“

„Meine Sache! Was zahlt ihr dafür?“

„Einen Schlag ins Genick, hier sieht uns keiner, das ist das billigste!“

Im nächsten Bildchen ist er bereits gefesselt, im übernächsten brennt das Haus.

Harte Männer sprechen natürlich eine harte Sprache: „Ja, so ist esl Aber du merkst es zu spätl Denn ich werde dir eine Kugel in den Leib schießen, bevor du zu deinen Pistolen greifen kannst! Mach dich fertig zum Sterben! Ich will endlich an das Gold ran!“

Harte Männer lassen sich jedoch nicht so leicht tun die Ecke bringen: „Ruhig zielte er — und drückte ab. Aber als Harry sah, wie Don Dragos Pupillen größer wurden, warf er sich blitzschnell zur Seite und schlug dem Banditen gleichzeitig die Waffe aus der Hand! Die Kugel war um Zentimeter an seinem Kopf vorbeigepeitscht.“

Ende gut, alles gut: „Mit zerbrochener Kinnlade brach Don Drago zusammen.“

DIE HAUPTROLE SPIELT DER COLT. Ohne ihn ist ein Mann kein Mann: „Mein Vater hat so gar nichts von einem Helden. Darf ich einmal eine Pistole anfassen, Kid?“

Ohne ihn fühlt sich ein Mann nicht sicher: „Endlich habe ich meine Colts zurück, ich muß sagen, so fühle ich mich wohler! Viel wohler!“ Ohne Colt verschafft er sich keinen Respekt: „So, nun werft rasch eure Waffen weg, oder soll ich sie euch aus den Pfoten schießen?“

Was immer geschehen mag, der Colt ist dabei: „Plötzlich scheute der Hengst, und obwohl Rauhfell-Kid die Gefahr nicht sah, griff er sofort zum Revolver, sofort schußbereit

— wie ein echter Mann des WESTENS!“

So groß geschrieben steht das auch im Original.

ABER DER WESTERN-COMIC HAT AUCH EINE „PHILOSOPHIE“: „Im wilden Westen wich ein Mann manchmal vom Pfad des Rechts ab, ohne deshalb ein geborener Verbrecher zu sein. Ein jeder trug Waffen und gebrauchte sie — nicht immer in der rechten Weise!“

Mit anderen Worten: „Bisweilen ist das Leben wie ein Kartenspiel. Mal hat man ein gutes Blatt, mal ein schlechtes. Die Chancen wechseln, mal wagt man zu viel, mal zu wenig..

Denn: „Den Revolver kann keiner betrügen!“

Man kann darüber streiten, was gefährlicher ist: die verdummende oder die verrohende Wirkung dieser Hefte. Wenn es ein geheimes Rezept zur Förderung der Massenverdummung gibt, dann ist es der Comic. Nicht so sehr wegen des Inhalts, als wegen der Art, wie er geboten wird: In Form primitiver Bilder mit minimalem, primitivem Text. Karl May mag die Phantasie angeregt haben. Der Western-Comic verödet die Phantasie des Kindes. In extremen Fällen handelt er nicht nur von Leichen, er hinterläßt auch welche — intellektuell Tote.

Vor allem dort, wo sich die Eltern nicht darum kümmern, was ihre Kinder lesen, oder wo sie selbst nur Comics, Heftromane und Illustrierte lesen. Wenn da nicht die Schule einspringt, sind solche Kinder für das Buch — und für die Kultur überhaupt — verloren. Sie lesen dann auch als Erwachsene nur Comics und Romanhefte. Wer es nicht glaubt, fahre in die Bundesländer hinaus und inspiziere die „Bücherschränke“ unserer bäuerlichen Bevölkerung. Falls er nachher berichtet, was er dort — abgesehen von Fachliteratur — gefunden hat, wird er sich wenig Freunde machen.

So betrachtet, sind auch die „harmlosen“ Comics von der Mickymaus „aufwärts“ bis zum Hamlet nicht harmlos — es handelt sich um keinen Druckfehler, das gibt es. Ein großer Teil der Weltliteratur, vom Hamlet bis zum Wilhelm Teil, von Cäsar bis Ben Hur wurde zu sogenannten „harmlosen“ Comics verarbeitet.

BEI DEN WESTERN-COMICS kommt noch die Tatsache hinzu, daß hier offene Erziehung zum Waffenfetischismus betrieben wird. Schon dies müßte genügen, die Western- Comics durch laufende Verbreitungsbeschränkungen völlig von Trafiken, Kolporteuren und Landkrämern, wo sie ebenfalls verkauft werden, fernzuhalten. Das wäre kein Verbot, das wäre weder undemokratisch noch ungesetzlich. Unsere gesetzlichen Bestimmungen reichen aus. Man muß nur den Willen haben, sie anzuwenden. Comics in der Buchhandlung wären ungefährlich.

Manchmal hat man den Eindruck, daß es hierzulande oft dem Zufall überlassen bleibt, welches Heft, welche Serie, was überhaupt mit einer Verbreitungsbeschränkung belegt wird und was nicht. Viel Gleich gültigkeit mag da im Spiele sein, etwas Schlendrian und so manches Vorurteil. Beispielsweise darf die satirische Monatsschrift „Pardon“ aus Frankfurt erst jetzt wieder offen verkauft werden. Sie enthielt neben etwas zu viel Busen wohl auch etwas zu viel politische Kritik. Die „Deutsche National- und Soldatenzeitung“ hingegen durfte und darf stets offen verkauft werden. Auch für die Zukunft steht zu befürchten, daß sich das satirische Blatt leichter den Mißmut der Obrigkeit zuziehen wird als etwa die famosen „Landser-Hefte“ aus dem Hause Pabel, die erstaunlicherweise immer nur in Einzelfällen, niemals aber als Serie mit einer Verbreitungsbeschränkung belegt wurden.

Die von Herrn Pabel ebenfalls produzierten Western-Helden wurden von unseren Behörden schon mehrmals in die Etappe abkommandiert. Da geht’s. Die Pabel-Landser aber dürfen weiter marschieren.

ALLE OBEN ZITIERTEN COMICSTELLEN stammen aus drei Heften einer Serie, die auf Grund eines vom Buchklub der Jugend gestellten Antrages derzeit nicht frei verkauft werden darf, aber bald wird sie wieder bei jedem Kolporteur zu haben sein.

Und sie ist nur eine Reihe unter vielen. Und auch alle Western- Comics zusammen sind nur eine Untergruppe der in Heftform verkauften Unterhaltungsware.

Denn die Produktion von minderwertigem Lesestoff in Heftform ist heute längst nicht mehr ein in Hinterhöfen abgewickeltes Geschäft obskurer Außenseiter. Damit werden heute Millionen verdient. Den Hauptanteil am Umsatz stellen nicht die Comics, sondern die Liebes- und Kriminalromane. Derlei wird am laufenden Band hergestellt. Hinter einem Autorenpseudonym stehen oft mehrere Verfasser, die jede zweite oder dritte, in Einzelfällen jede Woche ein Manuskript liefern und dafür durchschnittlich 1000 bis 2000 Mark bekommen.

Die Verleger selbst residieren in Glaspalästen, manche besitzen eigene Druckereien und beschäftigen einen Stab von Anwälten und Fachlektoren, zu deren wichtigsten Aufgaben es gehört, dafür zu sorgen, daß möglichst wenige Hefte in den Maschen der Gesetze hängenbleiben. Mancher dieser Verleger hat ausgezeichnete Beziehungen. Mancher verdient mehr als so mancher alte, eingeführte und berühmte Verlag. Doch nur der Eingeweihte kennt ihre Namen.

ALLE GEGENMASSNAHMEN NÜTZEN NICHTS, wenn nicht positive Taten gesetzt werden, wenn man nicht dafür sorgt, daß schon bei den Kindern das gute Buch dem „unterwertigen“ Konkurrenz macht.

Auf diesem Gebiet ist in Österreich niemand so aktiv wie der Buchklub der Jugend, der sich keineswegs darauf beschränkt, Verbreitungsbeschränkungen zu beantragen. Er gibt auch Kleinschrift- reihen heraus, sie heißen „Die Gol dene Leiter“ oder „Das große Abenteuer“, „Frische Saat“ oder „Sonderheft“, und sie erzielen heute bereits sehr hohe Auflagen. Noch vor zehn Jahren, als mit dieser Arbeit begonnen wurde, hat ihr so mancher ein trauriges Ende vorausgesagt — gegen die schlechte Lektüre, hieß es, sei nun einmal nichts zu machen, die sei einfach stärker.

Heute sieht die Sache anders aus: In den letzten zehn Jahren ist der Absatz der Comics in Österreich um rund siebzig Prozent zurückgegangen.

Er ist aber noch immer zu hoch.

Lichtbildserien, die jedem Elternverein Österreichs gratis zur Verfügung gestellt werden, Büchersendungen an die Schulen und andere Aktionen sollen die unterwertige Lektüre noch weiter zurückdrängen, denn das Bessere ist des Guten und wie man nun sieht erst recht des Schlechten Feind.

DIE IDIOTIEINDUSTRIE findet trotzdem weitere Opfer. Ihr den Boden in Österreich ganz zu entziehen, dazu gehört mehr. Dazu gehört die Bereitschaft der staatlichen Stellen, die gesetzlichen Möglichkeiten auszuschöpfen und bessere Gesetze zu machen. Dazu gehört etwas Großzügigkeit — in Schweden werden siebzig, in Österreich nur drei Schilling jährlich pro Schulkind für die Bereitstellung pädagogisch wertvoller Lektüre aufgewendet.

Dazu gehört aber auch etwas G’spür für die Anforderungen unserer Zeit. Österreich baut Schulen, ganz selbstverständlich, aber Bücherzimmer sucht man in diesen Schulen vergeblich.

Sogar eine neu errichtete Universität in Österreich mußte sich statt mit einer Bibliothek mit Geschenken des Amerikahauses und ausrangierten Bänden einer anderen Hochschule bescheiden, und das, was sie bekam, ist mehrere Kilometer von der neuen Universität entfernt „provisorisch“ untergebracht.

So steht es um uns. Haben wir ein Herz für den Geist? Und wo sitzt er (beziehungsweise es) bei uns?

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