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Sturm wölken über den Minaretts

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WOHL SIND DIE STURMWOLKEN vom Nahen nach dem Fernen Osten gezogen, doch die Probleme der arabischen Welt sind nach wie vor ungelöst.

Ein schreiender, schwatzender Strom von Händlern stürzte sich auf die wenigen Touristen, die im Hafen von Alexandrien, seit alters her das Tor Aegyptens, das griechische Schiff verlassen. Ein gewohntes Bild im Orient? Sicher! Aber in diesen Tagen müssen die flinken, fezbedeckten Burschen besonders eifrig sein, denn die Vergnügungsreisenden sind selten geworden. Noch standen die amerikanischen und englischen Truppen im Libanon und in Jordanien. Wer riskiert da schon, den Urlaub im Land der Pharaonen zu verbringen? Schließlich waren unter jenen, die während der Julirevolte in Bagdad von der wütenden Menge zerrissen wurden, auch harmlose Reisende.

Doch der „Tourist-officer“ vom staatlichen Fremdenverkehrsbüro in Alexandrien empfängt die Reisenden mit liebenswürdig pathetischen Worten und versichert sie wortreich seines Schutzes und seiner Dienste. Der Mann in Khakiuniform,'der sich mit seinem ewig langen Närrien vorstellt, mutet wie eine nur etwas modernisierte Gestalt aus einem Karl-May-Buch an. Viele Ordensbänder blinken an der Brust. Wo er die Auszeichnungen erhalten haben mag?

Ein arabischer Nachbar vermutet: vielleicht bei den glorreichen Siegen gegen die englischfranzösische Suezinvasion oder bei den kühnen Rückzugsgefechten in Sinai.

Ja, das waren Siege damals. Geschickt versteht es die Propaganda, die Ereignisse in ihrem Sinne im Volke wach zu halten. Und immer wieder kann man hören, wem Aegypten den Triumph über die Imperialisten verdankt — Gemal Abdel Nasser. Von den Häuserfronten schauen die Plakate mit dem Bild des Präsidenten herab. Es gibt kaum ein Geschäft, in dem nicht sein Konterfei prangt. Dem Mittel-ei}fot/Si?T- k'o'iiimt das irgendwie beftWiMdv,!

Im Hafen von Alexandrien schaukelt eine schöne Jacht. Sie gehörte einst König Faruk. Jetzt wird sie von Nasser benützt. Die Frage an den Fremdenführer, ob der Präsident auch den prächtigen königlichen Palast der Stadt benütze, wird zurückgewiesen, die Spitze gefühlt. „Nein, Doktor“ — jeder Oesterreicher oder Deutsche wird höflich mit diesem akademischen Grad bedacht -, „Gemal Abdel Nasser wohnt mit seiner Familie in dem bescheidenen Haus in der Nähe Kairos, das er schon als Oberst besaß.“

DER WAGEN ROLLT über die breite Küsten-Straße zum Palast des Exkönigs Faruk entlang. Sie erinnert sehr an das von Italienern gebaute Lungo-Mare in Tripolis. Doch fehlt ihr die gewisse Eleganz. Das Schloß Montaza zeigt eine kolossale Prachtentfaltung. Ein kilometerlanger Park mit ehemaligem Privatstrand umgibt den Bau. Um zum Schloß zu gelangen, mußte man auch durch die Elendsviertel der Stadt fahren. Einige Steinwürfe von der Parkmauer entfernt, in den engen, übelriechenden Gassen, ist die Not zu Hause. Auf unvorstellbar kleinem Raum haust eine stumpfsinnige, vor Schmutz starrende, von Krankheiten befallene Menge, die noch durch tägliche Zuwanderer vom Lande verstärkt wird. Es war die Tragödie des ehemaligen Besitzers dieses Schlosses, daß er niemals über seine Parkmauer sah. .

Jetzt, im neuen Aegypten, sollen die alten, unhygienischen Straßenzüge verschwinden. Sollen! Tatsächlich wurden auch einige Sanierungsmaßnahmen durchgeführt und breite Straßen angelegt. „Nur für Truppenparaden — Diktatorenart!“ sagt ein reicher Geschäftsmann. Er ist dem Regime nicht gut gesinnt, denn der Handel geht jetzt schlecht. „In den Lagern stapeln sich die nicht absetzbaren Baumwollvorräte“, klagt er. „Anfang Juli dieses Jahres waren noch zirka 3,5 Millionen Kantar der laufenden Saison nicht abgesetzt. 'Nasser hat Aegyptens Wirtschaft in den Ruin getrieben.“

Trotz der ungünstigen Wirtschaftsentwicklung ist jedoch der Regierung der gute Wille, mit den sozialen Mißständen aufzuräumen, nicht abzusprechen. Die Armee, Justiz und Verwaltung werden reformiert, die Korruption eingedämmt.

„Früher konnte man“, resignierte ein Grieche, „einen Beamten bei einer Beanstandung getrost mit einem Bakschisch zur Milde stimmen. Heute ist ein solches Vorgehen nur mehr mit allergrößter Vorsicht durchzuführen und ausgesprochen gefährlich.“

DER ALEXANDRIEN-KAIRO-EXPRESS rattert gleichmäßig dahin. Das größere Gepäck der Reisenden ist in einem eigenen Abteil am Ende des Wagens verstaut. Weil das Schloß nicht funktioniert, sitzt ein Neger als Wächter davor und döst in der Herbstwärme. Der Blick des Reisenden schweift hinaus: Grüne Bäume. Palmen und bestellte Felder. Fruchtbarkeit auf engstem Raum, Hie und da taucht ein Arm des Nils auf — des heiligen Nils —, der dem Land seinen Reichtum gibt.

Hier im Delta des Flusses ließen sich vor 5000 Jahren die ersten Siedler nieder und drängten den Papyrussumpf und die Marschgebiete immer mehr zurück. 1000 km beträgt die Entfernung vom Delta bis zum Katarakt von Assuan. Das Tal, in dem sich der Strom wälzt, ist aber höchstens 10 bis 20 km breit. Während dreier Reiche und dreißig Pharaonendynastien bauten die alten Aegypter an diesem Fluß, dessen Hochwasser jedes Jahr von Juni bis Oktober das Land fruchtbar macht, eine Kultur auf, die, nur selten gestört, in ihrer Geschlossenheit einzig im Altertum war. In der Ferne tauchen die ersten Pyramiden auf.

Jäh wird der Reisende aus seiner Beschaulichkeit gerissen. Vergangenheit und Gegenwart sind hier verwoben wie nirgendwo. Das Waggonfenster splittert. Ein Stein liegt im Innern des Wagens. Fluchend besehen einige Araber ihre Wunde. Diesmal hat das Wurfgeschoß sein Ziel verfehlt, das die neugierigen Europäer treffen sollte, die zum Fenster hinausblickten. Eine Erinnerung an Suez 1956! Seit damals Bomben in Port Said auch Frauen und Kinder trafen, schwelt der Fremdenhaß. Ganz unberechenbar lodert er hier und da auf.

Das Mena-Haus-Hotel in Giseh am Fuße der drei klassischen Pyramiden, des Cheops, Che-phren und Mykerinos, wirkt verlassen, verblaßt und ein wenig verstaubt. Einst war es der Treffpunkt des europäischen Adels und der Hochfinanz. Heute ist man froh, wenn man Gesellschaften des Sozialtourismus aus Deutschland auf den silbernen Gedecken servieren darf. Das Hotel scheint wie ein Symbol für die verblichene Macht der einst so einflußreichen Franken im Orient. Auf der anderen Seite der Pyramiden liegt — Zeichen der Zeit — ein modernes Rasthaus im Espressostil. Die große Ueberraschung aber ist der Besitzer, ein ausgezeichnet wienerisch sprechender Aegypter. Er lernte in der alten Kaiserstadt als Pikkolo, und während der Gast aus Oesterreich noch überlegt, ob die. Begeisterung für die versunkene Kaiserstadt eine wohlüberlegte Geschäftspraxis ist, zeigt er sich erstaunlich gut auch über das neue Oesterreich unterrichtet und bricht eine Lanze für die österreichische Dynastie.

AN EINEM STERNKLAREN ABEND in Kairo versucht in deutscher Tourist, eine mit Lichtern geschmückte Nilbrücke zu photographieren. Er tut es mit der Gründlichkeit seines Volkes und der eines passionierten Photographen. Plötzlich stehen einige Araber wie aus dem Boden gewachsen da. Einer packt seinen Begleiter am Arm und fragt: „What nation?“ Die Augen flackern fanatisch. Der verkrüppelte Brotfladen-verkäufer, der in der Nähe hockt, unterbricht seine lauten Rufe. Ein nahes Schwatzen und Plaudern hört auf. Die Stille wirkt beklemmend.

Pas„Leben auf.iW-.Bwke,..nimntt|.seine,ft gfe wohnten Gang.

Im englisch-deutschen Kauderwelsch erklärt der Araber, der während des letzten Krieges für das deutsche Afrikakorps Dienste leistete, wie er die arabische Zukunft sieht. Sie heißt Nasser, und Großarabisches Reich. Und so wie er denken viele im heutigen Aegypten. Er begleitet seine „neuen Freunde“ bis zum Hotel Ambassa-dor. Hier wurde kürzlich der deutsche SS-Lagerarzt Eisele verhaftet. „Er wird nie ausgeliefert werden“, meint der Araber lächelnd. Und er wird wohl recht behalten.

In einem Kaffeehaus sitzen Männer im Burnus bei ihren Wasserpfeifen. Sie sehen Europäer vorbeigehen und schreien: „Dobry vecer!“ Da der freundliche russische Guten-Abend-Gruß nicht erwidert wird, ruft man: „Guten Tag!“ Man muß im heutigen Aegypten Russe oder Deutscher sein, dann ist man gern gesehen. Schließlich bekam das Land ja auch von Ruß-'and und Deutschland die meisten Kredite. Erst jüngst verpflichtete sich die Deutsche Demokrat tische Republik zu einem Darlehen von 7,5 Millionen ägyptischen Pfund in Form von Lieferungen kompletter Industrieanlagen und beginnt damit ihren westdeutschen Bruder zu konkurrieren.

Der koptische Priester, der in der Hotelhalle seinen Kaffee schlürft, gibt ganz unbekümmert zu: „Ja, vielleicht wird sich Aegypten noch enger an den Ostblock anschließen.“ Er ist im Gegensatz zu vielen seiner christlichen Glau-bensbrüder für den herrschenden Kurs. „Die Kommunisten sind keine Gefahr für uns“, meint er. „Im Nahen Osten ist die Religion viel zu tief im Volk verwurzelt. Der Materialismus hat nicht die Anziehungskraft wie im Westen. Und wenn einige Kommunistenführer zu laut werden, dann läßt sie Präsident Nasser in den Kerker werfen.“

Vor der Sultan-Hassan-Moschee, der Perle Kairos, schleudert ein politischer Redner Sätze in die Menge. Immer wieder klingt das Wort Panarabismus auf: Traum vom Imperium der 82 Millionen. Die Erregung der Masse steigt. Jetzt ist bereits vom Panislamismus die Rede, vom Imperium der 300 Millionen, das nach Nasser „Aegypten eine ungeheure Macht“ verleihen wird.

Ueber den zarten Minaretts der Moschee ballen sich dunkle Wolken zusammen. Sturmwolken.' Werden sie den sonst so strahlend blauen Himmel des Pyramidenlandes verdüstern?

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