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Sub Rudolfo Caesare …

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RUDOLF II. Der saturnische Kaiser. Von Gertrude von Schwarzenfeld. Verl ag Georg D. W. Callwey, München 1961. 295 Seiten, 50 Abbildungen, 7 Textvignetten.

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RUDOLF II. Der saturnische Kaiser. Von Gertrude von Schwarzenfeld. Verl ag Georg D. W. Callwey, München 1961. 295 Seiten, 50 Abbildungen, 7 Textvignetten.

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„Gott, der Erhalter der Königreiche und Gemeinwesen, möge der Strafe ein Ende machen und uns das Glück und den Stand, den wir unter Kaiser Rudolf genossen, durch irgendeine glückhafte Rückstellung zurückgeben!“ So ruft der große Sprecher der Heimatvertriebenen in der „Respublica Bojema“. Für die Protestanten nach 1621 war die goldene Zeit Rudolfs das verlorene Paradies. Und das ist auf den ersten Blick auffallend. War man unter Matthias — dem Erwählten ständischer Staatsstreiche, dem König des Nationalitätengesetzes von 1615 — nicht dem Wunschtraum der konföderierten Adelsrepubliken Mitteleuropas viel näher? Gewiß. Aber in den österreichischen Erb- landen sah man schon das Kommen des Grazer Ferdinands; in Böhmen sah man den verlassenen Hradschin. Die Residenz in Wien war freilich längst noch keine rechtserhebliche — wohl aber war sie sofort eine geschichtsträchtige Tatsache. Dagegen Rudolfs Regierung: die Zeit, da des Großkönigs und des Zaren Botschafter auf die Prager Burg zogen! Die goldene Zeit; nicht anders ᾠ

Wir danken es der Autorin, daß sie uns diese Zeit in faßlicher Sprache, in einem reichlich bebilderten Band geschildert hat. Hohes Lob gebührt einem Vorzug, der noch immer nicht die Regel, noch immer nicht unbedingtes Erfordernis für einschlägige Werke ist: Die Autorin hat die Literatur in beiden Landessprachen Böhmens studiert, so auch die fesselnden Bücher von N o v ä k und S 11 o u k a 1. Wenn wir nun bedauern, daß sie nicht auch des letzteren Arbeit über Karl von Liechtenstein verwertet hat, dann ist das keine bloße Beckmesserei; sondern wir meinen, diese Arbeit hätte sie vielleicht bewogen, den Geisteszustand Rudolfs etwas ungünstiger zu schildern.

Ihr Werk erscheint uns nämlich als eine Reinwaschung Rudolfs II. — Gewiß soll man die Segnungen seiner Regierung und die Lichtseiten seiner Person hervorheben! Es will uns aber scheinen, als wäre die Autorin geneigt, Rudolf mehr geistige Gesundheit, mehr politische Weisheit, überhaupt aber mehr bewußte persönliche politische Aktion zuzuschreiben, als die Quellen gewährleisten.

Nicht als wollte sie’ die psychologischst!! Probleme Rudolfs übersehene ganz s Gegenteil! Wir beklagen vielmehr, daß hier an psychoanalytischen Gedankengängen und Wendungen zuviel getan wird. Wir gestehen, daß uns psychoanalytische Fachausdrücke, wie „Trauma“, in einer geschichtlichen Untersuchung überhaupt unnotwendig scheinen. Wendet man ein, daß doch eine fachgerechte medizinische Untersuchung historischer Personen durchaus geboten ist? Gewiß: hätten wir es nur mit einer solchen zu tun! Doch hier wird C. G. Jung zitiert; und gerade dieser Autor mit seinen unfaßbar zwischen

Seelenheilkunde und Geistesgeschichte, zwischen Philosophie und Naturwissenschaft oszillierenden Ausführungen ist — davon sind wir überzeugt — für exakte Geschichtsschreibung absolut unbrauchbar.

Die Verwertung Jungs also halten wir für einen ausgesprochenen methodischen Mißgriff. Weniger schwer wiegt der eine und andere Lapsus in Einzelheiten; bei der Belesenheit der Autorin wäre mancher von ihnen zu vermeiden gewesen. Wir wollen etwa den Anachronismus an- kreiden, welcher das Haus Lobkowicz schon zu Rudolfs Zeiten zum Fürstenstand rechnet; wir wollen bemerken, daß die Bezeichnung Herrn Wilhelms von Rosenberg als „Vizekönig“ nichts mit seiner Machtstellung zu tun hat, sondern eine — ziemlich zutreffende — Interpretation seines Amtstitels als Oberstburggraf darstellt. — Auch ist Rudolfs Sarg in der königlichen Gruft durchaus nicht „schmucklos". — Doch das sind eben Einzelheiten.

Für das ganze Buch sind wir der Autorin dankbar: sie macht es deutlich, in wie viele Beziehungen ein Kaiser des Hauses Österreich hineingestellt war. Römischer Kaiser mit dem Anspruch auf die Nachfolge der Cäsaren, die dem humanistischen Zeitalter so nahe standen;

in Germanien König; Infant von Spanien — nur die zwei Augen Philipps III. standen zwischen ihm und dem Erbe „zweier Welten"! —; König von Böhmen, Schirmherr des Zeitalters, das in den sinnbildlichen Fresken des Prager Theaters die schönsten Tage der Habsburger darstellt; König von Ungarn, welches damals wenig mehr war als ein schmales Etappengebiet des Türkenkrieges; Erzherzog von Österreich — einem schon fast ganz evangelischen Österreich; all das mußte Rudolf sein ᾠ und noch einiges mehr. So ist denn auch der Prager Judenstadt des rudolfinischen Zeitalters — den heute noch unvergessenen Zeitgenossen Rabbi Löw und Primator Meysel — ein Kapitel gewidmet. Zugleich hat es die Autorin vermieden, naheliegende pittoreske Motive besonders hervorzuheben: die Episode des kaiserlichen Bastards Julius (Grillparzers Cäsar) wird kurz abgetan.

Wir meinen, daß dem Euch das hochbedeutsame, interessante Thema eine erfreuliche Verbreitung sichern wird: hier kann sich der Leser leicht über die Zeit orientieren, welche die schwüle Stille vor dem heulenden Herbststurm des Dreißigjährigen Krieges darstellt.

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