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Südtirol.. . neu anpacken!

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Sowohl die beschämend nationalistische „Rechtsprechung“ in Trient als auch die Rachepläne einer Femeorganisation lassen es in allerjüngster Zeit noch viel aussichtsloser erscheinen, mit Plänen für eine gerechte und deshalb friedfertige Lösung überzeugtes Gehör zu finden. Es’ist, als würden sich die Maßnahmen der einander bekämpfenden Interessen mit fatal unentrinnbarer Notwendigkeit ständig und gegenseitig zu immer gewalttätigerer Brutalität auch noch weiter steigern müssen.

Der eigentliche Grund dafür liegt jedoch, meiner Meinung nach, weniger im schlechten Willen der einzelnen, wie in den auf beiden Seiten rückstän digen Aktionsprogrammen. Nationalisten hören und verstehen einander niemals. Folglich muß diese Basis — endlich — aufgegeben und eine neue gefunden werden. Anders ist es schier unmöglich, zugleich an Gewaltlosigkeit und an eine gerechte Lösung der Süd- tirol-Frage zu glauben.

Bei uns selbst anfangen

Grundsätzlich wäre wohl, von seiten Österreichs, mit dem offenen Eingeständnis zu beginnen, daß wir selbst die heutige Lage mitverschuldet haben. Das seinerzeitige „Südtirol-Abkommen" übersah einerseits die sogenannten realpolitischen Möglichkeiten für das größere, jedenfalls damals ungleich gewichtigere Italien; es besaß faktisch alle Machtpositionen, um durch das Einschleusen von Italienern aus dem Süden jedes „Abkommen“ zu einem Papierfetzen zu machen. Anderseits versäumte man jenem psychologisch

Der neue Weg

Ohne Absage an nationalistische Phrasen und Propagandamethoden kann man deshalb drittens die eigene Abscheu vor Gewaltanwendung nicht überzeugend dartun. Von dieser Abscheu wird sonst bloß geredet. Der Italiener tut das auch. Beiderseits aber fehlt noch der neue Gesprächsansatz, der neue politische Weg. Solange er nicht beschritten wird, ist — von beiden Seiten — alles Versöhnungsgerede doch bestenfalls nur machtpolitische Spiegelfechterei. LInbedacht, vielleicht sogar unbewußt, treibt man sich gegenseitig und in gegenseitigem Verschulden auf dem gefährlichen Abweg der einander unvermeidlich steigernden Radikalismen und Totalitarismen ständig weiter. Daran ändert nichts, daß die nur mehr für Kurzsichtige verlockende Schalmei eines bloß abstrakten, leider schon phrasenhaft klingenden Humanismus dazu weitergespielt wird.

einmaligen Augenblick, den später Raab gegenüber der UdSSR wahrnahm: Ein bis dorthin durch den Faschismus diskreditiertes Italien ergriff begierig die Gelegenheit humaner Demonstrationen, die es nicht allzuviel kosten sollten.

Deutlich wäre auch zum Ausdruck zu bringen, daß Südtirol ebensowenig „deutsch“ wie „italienisch", sondern österreichisch (alt- oder großösterreichisch) war und ist. Schließlich stammt ja auch daher und nicht vom bloß Nationalistischen die heutige Südtirol-Problematik. Natürlich wird sie auch durch die Sprache getragen: aber das innerhalb des gesamten, übernatio nal groß- und altösterreichischen Lebensstiles. Aus nationalistischen Gesichtspunkten heraus wurde Südtirol vom deutschen Botschafter Bülow schon 1915 den Italienern als Kaufpreis ihrer Neutralität angeboten. Und über Hitlers Südtirol-Verrat braucht kein Wort verloren zu werden.

Worauf es jetzt ankommt? Das ganze Problem ist aus der nationalistischen Verkrüppelung zu lösen und auf die Gesprächsebene emporzuheben. Dies wurde bisher auch von der zweiten großen Regierungs- und zugleich Oppositionspartei verabsäumt. Man verblieb auf dem bequemen Weg nationalistischer Kategorien. Die nationalistische und auch die ökonomische totalitäre Politik sind einander ja bekanntlich nahe verwandt. Beide sind Gesprächsfeinde. Beide neigen zu Gewaltmethoden und schlagen sogar gelegentlich ineinander um. Dies gilt für Italien und in vielen anderen Fällen.

Ändern wird sich das, viertens, erst dann, wenn endlich die echte Willensmeinung des wirklichen Volkes (auch des bodenständigen Südtiroler Volkes) zum Ausdruck kommt. Dies kann nicht mehr allein durch parteipolitisch Prominente, gar durch Proporztaktiker geschehen. Ohne Publizität gibt es allerdings keine politische Wirksamkeit und ohne „Propaganda“ (die Geld kostet) keine Publizität. Es bedarf also einer Organisation. Diese aber braucht einen neuen Ansatz und neue Wege. So sagt man da zum Beispiel, es „dürfe“ niemand nach Italien fahren, solange keine echt gleichrangig demokratische Gegenseitigkeit erreicht wurde. Dies verlangt bestimmte Opfer konkret von jedem von uns. Deshalb muß ein derart weltöffentliches Selbstverbot durch die einzelnen eingesehen und freiwillig bejaht, nicht aber von Parteien beziehungsweise von anonym verbal abgebrauchten Promi nenten diktiert werden. Dies würde nämlich ohne Ergebnis sein.

Bundesgenossen gesucht

Ohne Opfer gibt es freilich kein ideales Streben. Damit aber dieses weltpolitisch überzeugend wirke, bedarf es, fünftens, realpolitisch gesehen, der Hilfe mindestens auch der anderen Deutschsprachigen. Das jedoch nicht mehr auf den falschen, weil nationalistischen oder sonst anonymen, sondern auf persönlich gesprächsbereiten Grundlagen. Auf diese Weise könnte sich eine gewaltlose aber weltweit wirksame Ächtung, nämlich ein Entzug der Gesprächsgegenseitigkeit, ausnahmslos in sämtlichen Kooperationsbereichen solange durchsetzen, als die Bemühung um das neue Gespräch keinen sichtbaren "Erfolg gezeitigt hat.

Vielleicht erscheint diese politische Gesprächsprogrammatik eines Philosophen jenen als utopisch, die mit Italien — bedingungslos nur zum eigenen Vorteil - Handel, Touristik, Kongreßbesuche usw. ungestört weitertreiben möchten. Hier aber gibt es nur ,zwei letzte Allernativen außerhalb der vor- geschlageaen neuen Gesprächsbasis: Entweder kompromittiere ich alle persönlich soziale Idealität und kümmere mich, ehrlicher als bisher, das heißt ohne nationalistisch und sonst anonyme Phraseologie, nur um meinen Komfort. Oder ich mache es den Leuten, die nach Italien reisen (absurderweise) zum nationalen Vorwurf, daß sie nicht lieber ins kommunistische (weil derzeit noch billigere) Jugoslawien fahren.

Großprogramm für Klein-Österreich

Sechstens, abschließend, möchte ich behaupten, daß es mindestens tagespolitisch derzeit sicher falsch und der Sache nicht förderlich wäre, wenn das: heutige, relativ machtlose

Österreich sich zum alleinigen „Protektor“ des politischen Südtirol-An- liegens aufzuwerien versuchte. Was die Südtiroler (nicht die zugeschleusten Italiener) sofort brauchen, ist nämlich eine so breite und eingreifende Steigerung ihrer Schul- und Kulturmöglichkeiten, wie sie Österreich allein weder leisten kann noch soll. Das ist nicht nur materiell so gemeint, daß unsere finanzschwache Republik unbedingt auf Bettelei für Südtirol angewiesen wäre. Wohl jedoch sind wir auf diesem Gebiet der Überzeugung, daß von vornherein nur einem übernational europäischen Kultur- und Bildungsprogramm die Zukunft gehört. Südtirol wird, wie die aus dem Gestern hervorgegangenen Verhältnisse heute nun einmal liegen, bloß durch ein menschlich radikal neues, nicht durch ein so oder so, offen oder ver kappt nationalistisches Programm jene Beachtung und Hilfe erlangen, auf die es als widerrechtlich diskriminierte Minderheit völkergemeinschaftlichen Anspruch hat. Darum sollen und können Deutsche und Schweizer, Franzosen, Engländer und Amerikaner, Spanier und Portugiesen, zuerst aber (oder zuletzt?) die Italiener selbst freiwillig und übernational engagiert werden und tätig Zusammenwirken.

Kann unser Klein-Österreich mit einem menschlich neuen Großprogramm der entsprechend bemühten Gegenseitigkeit die Völker auf dieses Ziel hin anregen und in Bewegung setzen, ohne doch dazu ein nationalistisches Gestern oder ein vormärzliches Vorgestern heraufbeschwören zu müssen, dann wird es sich — auch auf diesem Gebiet — nicht mehr über Minderwertigkeit zu beklagen haben.

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