6653025-1959_13_03.jpg
Digital In Arbeit

Südtirol : Warten auf Europa

Werbung
Werbung
Werbung

In der heiklen diplomatischen Phase, in der sich der Fall Siidtirol derzeit befindet, ist es wichtig, daß Oesterreichs Volk die Akten und Fakten des Problems nicht vergißt. Diesen Sinn hat die neue Publikationsreihe der „Furche”, die in bewußter Auswahl an die zum Teil bereits vergessenen ersten Akte des Dramas erinnert: das schwere Unrecht, die Gewalttaten des Faschismus, die am Anfang stehen und jene Situation grundgelegt haben, die heute noch nicht bereinigt ist. Die heutige Lage in Siidtirol stellt, mitten im freien Europa, ein gefährliches anachronistisches Relikt dar. An seiner Beseitigung mitzuwirken erscheint uns eine vordringliche Pflicht aller guten Staatsbürger hüben und drüben und nicht zuletzt auch einer verantwortungsvollen Publizistik. „Die Furche”

1. „Was soll aus meinen Kindern werden?

Die Alm ist zwei Gehstunden vom Hof entfernt. Deshalb hat sich der Bauer ein Telephon auf die Alm gelegt. Und er hat sich im Hof eine Lichtmaschine eingebaut. Er ist also ein moderner Bauer, der Sebastian Mayr vom Pen- ser Joch im Sarntal, den niemand in der Gegend als Sebastian Mayr kennt. Erst wenn man nach dem „Wascht!” fragt, verstehen einen die Leute. Waschtl ist ein moderner Bauer, aber er hat die Lichtmaschine und die Leitungen so installiert, daß man nicht sofort bemerkt, daß es auf dem Hof überhaupt Licht gibt, und er hat das Telephon in ein malerisches Holzkasterl eingebaut, damit es nicht zu sehen ist. Denn Waschtl hängt am „Alten”, er ist erzkonservativ.

Zum Hof des Waschtl führt keine Straße, er liegt am Penser loch im hintersten Sarntal, und es gibt nur einen steinigen Karrenweg. Das Haus liegt inmitten der Bergwiesen, dahinter steigt der Wald an, der sich bald in kümmerliche Latschenflächen verwandelt, und darüber gibt es nur Steine, die Südtiroler Berge.

Der Waschtl hat sieben Kinder. Und das ist keineswegs eine bevölkerungspolitische Spitzenleistung, das ist Südtiroler Bauerndurchschnitt. Die ganze Familie trägt Tracht. Die Männer ihre dicken, schwarzen, grün eingefaßten Hosen, die weißen Hemden mit den pluderigen Aermeln, darüber ein schwarzes Samtmieder, dazu eine blaue Schürze und als Krönung die „Binde” — einen breiten, schwarzen Ledergürtel, der zugleich Hosenträger ist, das kostbarste Stück der Tracht. Das Leder ist mit gespaltenen Pfauenfederkielen bestickt, eine Kunst, die nur wenige Leute beherrschen Je größer die Stickerei und je bunter sie ist, um so bedeutender ist der Bauer. Die Binde ist fast ein Kontoauszug. Dann trägt noch jeder Mann ein kleines, schwarzes Hüterl mit roten oder grünen Borten und einer kleinen Feder. Zum sonntäglichen Kirchgang wird noch eine Blume oder ein grüner Zweig aufgesteckt. Die Frauen tragen lange schwarze, weite Röcke, schwarze Mieder und große, bunte Schürzen. Das Haar wird zu einer prächtigen Krone geflochten.

Die Familie des Waschtl ist keine Ausnahme. Man kann stundenlang durch das Sarntal fahren, bis man einmal einen Bauern ohne Tracht findet. Und wenn man den Waschtl fragt, was er ist, dann sagt er ganz schlicht: „Ein Tiroler.” Auch darin ist der Waschtl keine Ausnahme, die Antwort kann man von jedem anderen Bauern auch hören. Das Tal ist rein’tirole- risch, es kommen wenig Fremde. Auch keine Italiener, die sich bis in die hintersten Täler noch nicht durchgesetzt haben, abgesehen vom Briefträger und einigen Karabinieri. Aber so beginnt „es”: der Briefträger bringt seine Familie mit, es folgen Verwandte, damit gibt es etliche italienische Kinder, die Gemeinde muß einen italienischen Lehrer anstellen, der wieder seine Familie mitbringt .. .

Aber noch sind die Berge und Täler tirole- risch. Man merkt nichts davon, daß hier Italien ist. Dię Bauern verstehen auch nicht, wieso sie Italiener sein sollen. Sie verstehen wenig von Politik, sie wissen nur, daß sie Tiroler sind.

„Wir werden dieses Gebiet italienisch machen …Die Deutschen stellen keine Minderheit, sondern ein ethisches Relikt dar.”

Diese Worte Benito Mussolinis in der Römischen Kammer vom 6. Februar 1926 haben heute noch Gültigkeit, auch in der demokratischen Republik, in einem Land, das der Europabewegung und den Vereinten Nationen angehört.

Der Bauer Waschtl kennt sicher nicht diese Worte Mussolinis, aber er weiß: Wenn er in die Stadt kommt, dann ist es jedesmal schwerer sich in seiner Muttersprache zu verständigen Denn die Stadt, die ist schon italienisch, zum Großteil italienisch. Schon am äußeren Bild merkt er das: Am Hauptplatz, dem Waltherplatz — von dem man aas Denkmal des Walther vo.. der Vogelweide in einen einsamen, kleinen Park verbannte —, hat sich mitten unter die heimeligen, verschnörkelten, bunten Häuser mit den Holzläden ein Betonklotz gemischt. Nichts gegen Betonklötze, wie sie die italienischen Baumeister bauen können. Und die Italiener bauen bekanntlich gut. Aber alles gegen Betonklötze, wenn sie ein Stadtbild sprengen.

Die Italiener lächeln, wenn Waschtl oder seinesgleichen in die Stadt kommt, den derben Stock in Händen und die blaue Sonntagsschürze mit den Stickereien an den Ecken um den Bauch gebunden. Dabei kann man alles behaupten, nur eines nicht, daß Waschtl einfältig ist. Er ist einfältig vor Gott, aber das ist eher ein Lob, ansonsten ist er schlau, nun — schlau, wie eben ein Bauer ist.

Da gibt es die Geschichte mit dem Silberfuchs, derentwegen Waschtl in die Weltgeschichte und auch in die Memoiren des österreichischen Diplomaten Lothar Wimmer („Zwischen Ballhausplatz und Downingstreet”, Seite 161/162) eingegangen ist: Waschtl züchtete während des Krieges Silberfüchse. Deutsche Offiziere fanden sich häufig ein, um Felle zu kaufen. Und Waschtl verkaufte gern, ausgenommen ein Prachtfell, für das ihm Höchstpreise geboten wurden. Aber Waschtl sagte: „Das Fell gehört dem Churchill!” Die Herren Offiziere lachten über den „juten Scherz” — wohl ein Spaßvogel, dieser Kerl? Waschtl aber war es ernst mit dem Churchill Das Fell wollte er ihm nach seinem Sieg über Hitler schenken. Denn

Hitler-’haßte der Waschtl, und er hatte allen Grund dazu: Am 23. Juni 1939 hatte Hitler, der Volkstumfanatiker, die Südtiroler ihrem Schicksal überlassen, hatte mit Mussolini ein Abkommen über Siidtirol getroffen und dem italienischen Volk die Brennergrenze als endgültig versprochen Mussolini triumphierte. Und die Südtiroler sahen sich einem wahren Trommelfeuer italienischer Drohungen gegenüber: Abwanderung nach Deutschland oder Umsiedlung in die Gebiete südlich des Po! Nur der Krieg verhinderte, daß die Umsiedlung restlos durchgeführt werden konnte. 86 Prozent der

Optionsberechtigten hatten für die deutsche Staatsbürgerschaft optiert. Abgewandert sind zuerst die Arbeiter und Angestellten, diejenigen, die keinen Besitz, keinen Grund und Boden zurücklassen mußten. Was übrigens auch der Grund ist, daß es heute in Südtirol fast keine Sozialisten gibt, da die Schicht, die den Sozialismus trägt, mit der Schicht ident ist, die ab- wanderte.

Daß Waschtl auf Hitler eine Wut hatte, ist wohl verständlich, denn auch er zitterte um seinen Hof. Und so kam Churchill auch wirklieh zu seinem Silberfuchs, denn nach dem Krieg schickte der Bauer das Fell sofort weg. So hat also der Churchill dem Hitler für ein schönes, kostbares Geschenk zu danken.

1951, im August, war der Waschtl ganz aufgeregt: Der Churchill war in Südtirol, im Grand Hotel am Karersee, auf Urlaub. Der Waschtl warf sich in seinen Sonntagsstaat und fuhr zum Karersee. Hochnäsig wollte man ihn im Hotel abfertigen, da Churchill niemanden empfangen hatte. Keinen noch so prominenten Besuch. Aber der Waschtl ließ sich nicht einschüchtern. Er wickelte einen großen Bilderrahmen, einen Goldrahmen, aus einem Papier, und zeigte auf das Bild und den Brief unter dem Glas. , Es war das Dankschreiben Churchills und ein Bild mit Widmung als kleine Gegenleistung. Rahmen, Glas, Bild und Brief schickte der Waschtl als Visitenkarte in das Zimmer des britischen Politikers. „Lei so a halbe Stund ham wir uns unterhalten, mein Freund, der Churchill, und i”, erzählte stolz der Waschtl später.

Für so einen Tiroler ist es ganz gleich, ob da ein noch so Mächtiger der Welt ist oder nicht, er setzt durch, was er will. Das zeigte sich auch am 16. Dezember 1947, als 500 Bauern durch Bozen marschierten, allen voran der weißbärtige Bauernführer Innerhofer- Tanner in seiner Trachtenjoppe mit den roten Reversen. Vor dem Sitz der Präfektur machte der Bauernzug halt, schob die wachehaltenden Karabinieri beiseite und drückte die Tür ein.

Vergeblich versuchte der Präfekt durch eine Hintertür zu entwischen. Einer der Bauern faßte den Herrn Präfekten an seinem Rockkragen: „Bleib lei stehn, Manndl, jetzt stehst uns Red und Antwort!” Damit schob er den hilflos um sich blickenden Präfekten vor Innerhofer, der — weißbärtig und immerhin 1,90 m groß — auf das „Manndl” einredete. Innerhofer forderte die Einhaltung des Pariser Abkommens und forderte vor allem das Autonomiestatut.

Sechs Wochen später, am 28. Jänner 1948, hatten die Südtiroler ihr Autonomiestatut. Es war ein trauriges Geschenk, und die Südtiroler hatten böse Ahnungen, die sich wahrlich erfüllen sollten. Denn das Autonomiestatut ist bis jetzt praktisch nur ein inhaltloses Papier geblieben. „Es fehlen nur einige Durchführungsbestimmungen”, sagen die Italiener. Aber an diesen Bestimmungen scheitert die Autonomie.

Der Bauer Sebastian Mayr vulgo Waschtl hat Sorgen. Wenn er mit seiner Familie am schweren Holztisch, über dem der Herrgottswinkel prangt, in der Stube sitzt, und die sieben Kinder fleißig in die Schüssel langen, dann fragt er sich manchmal, was aus diesen Kindern werden soll. Der Aelteste, der Toni, wird den Hof übernehmen Der Waschtl hat nicht soviel Geld, um die Kinder in die Stadt „aufs Studieren” zu schicken. Denn die Quartierfrage ist schon ein Problem. Es gibt zuwenig Heime, es gibt zuwenig Privatquartiere bei Landsleuten, denn die Stadt ist schon zu drei Vierteln italienisch. Und Schulgeld und teures Quartier bezahlen kann der Waschtl nicht. Andererseits aber ist eine Schulbildung notwendig, um eine Staatsanstellung, und sei es nur die des Briefträgers, zu erhalten. Vor allem ist es notwendig, italienisch perfekt sprechen zu können. Aber auch die Arbeitsplätze werden immer rarer, denn es kommen immer mehr Italiener aus dem Süden. Was soll aus den Kindern werden? Der Waschtl weiß es nicht. Und wenn der Waschtl. ein echter Tiroler Bauer, nicht mehr weiß, was er machen soll, dann steht es schlimm!

(Die Veröffentlichungsreihe wird fortgesetzt.)

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung