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EINE FISCHERHÜTTE, EIN PAAR BÄUME und ein wackeliger Holzsteg, das ist der „Hafen“ von Tripidi, von dem aus wir in einem mit einem Außenbordmotor betriebenen Boot zur letzten Etappe unserer Reise, zum „Hagion Oros“, zum Heiligen Berg Athos, aufbrechen. Spiegelglatt und azurblau ist die See. Jeden von uns überkommt ein ungewisses Gefühl: Was wird uns diese Reise bringen? Werden wir dort die erwartete tief religiöse, weltentrückte Atmosphäre vorfinden, die uns in eine andere, bisher unbekannte Welt einführen wird, oder werden wir nur ein paar Heuchlern begegnen oder den letzten Uberresten einer absterbenden Zeit? Werden wir uns dem Leben auf dem Heiligen Berg anpassen können? Man hat so vieles gehört und gelesen über ihn. Doch die meisten Berichte schienen gefärbt: die Kritiken zu einseitig, die Begeisterung zu überschwenglich. Nur eines wußte ich: die östliche Landzunge der Halbinsel Chalkidike mit dem Heiligen Berg ist 60 Kilometer lang und zehn Kilometer breit. 20 Großklöster bilden den Kern dieser nun tausendjährigen Mönchsrepublik, die seit dem Vertrag von Lausanne im Jahre 1923 unter griechischer Schutzherrschaft steht. Ich wußte, daß viele russische Heilige und Kirchenfürsten ihre religiöse Kraft aus dem Athoserlebnis geschöpft hatten und daß in alten Zeiten Tausende russischer Pilger zum Heiligen Berg reisten, von denen aber so mancher nicht mehr zurückkehrte.

MIR WAR AUCH BEKANNT, daß sich die nationale Zusammensetzung der Mönche in den letzten Jahrzehnten stark zugunsten der Griechen verschoben hatte und daß manche von Mönchen slawischer Nation geführte Klöster am Ausslerben sind. Das war mein Wissen über den Athos, als wir uns ihm näherten. Es war wahrlich nicht viel. Aber eines war mir ganz klar: der Athos ist für die orthodoxe Welt genauso ein entscheidendes geistiges Zentrum, wie wir sie auch in der katholischen oder islamischen Welt finden.

In Saloniki warnte mich übrigens ein französischer Theologe, den ich auf einem Ausflugsboot traf und der soeben vom Athos zurückgekehrt war: „Sie werden sehr enttäuscht sein in den ersten Tagen, aber dann werden Sie erst merken, wie süß der Berg Athos ist“. Ja, er sagte „doux“, wie es nur ein Mensch mit einem Wissen um seine tiefe Bedeutung sagen kann.

Rückblickend auf die Gespräche, 'die wir mit den Mönchen führten, muß ich bekennen, daß sie, im ganzen gesehen, nicht sehr anregend waren, was jedoch nichts über den Athos aussagen will. Der Athos ist kein Ort des Gesprächs, der Diskussion, sondern mehr ein Ort des Gebets und noch viel mehr der Meditation. Dort habe ich erst so richtig den Gehalt des Wortes „meditieren“ erfaßt. Man kann nicht zehn, zwölf Stunden lang beten, aber sich in Betrachtungen ergehen kann man acht, zehn, zwölf Stunden, eigentlich immer, wenn man „soweit ist“.

MIT EINEM ABT FÜHRTEN WIR ein Gespräch, das vor allem interessant war, weil es so menschlich-weltlich, dem Wesen eines Mönches so fremd, also, gemessen an den auf dem Athos herrschenden Maßstäben, so nichtssagend war. Ein anderes Gespräch, das ich mit einem jungen Mönch, dessen Gesicht etwas Ikonenhaftes an sich hatte, im Kloster Iviron führte, war wegen seiner Konzeption eindrucksvoll. Mit höflicher Verbeugung lud er mich in seine „Zelle“ ein. Zelle ist hier übertrieben, da die meisten Mönche infolge ihrer geringen Anzahl in den einzelnen Klöstern über eine Reihe von Räumen mit ärmlichem, vor allem aber sehr unordentlichem Inventar verfügen. In ganz leidlichem Deutsch entwickelte nun mein Gesprächspartner seine Ansichten über die „Koexistenz“ der Kirchen, insbesondere über das Zusammenleben von Katholizismus und Orthodoxie. Seine Pläne gingen dabei so weit, daß er allen Ernstes von der Errichtung einer Art Niederlassung seines Klosters in Österreich sprach. An den nötigen finanziellen Mitteln hiezu sollte es nicht fehlen...

Daß derlei Gedankengänge durchaus nicht als Phantastereien eines in weltferner Abgeschiedenheit meditierenden Mönches abzutun sind, ließ einerseits eine Randbemerkung meines Gesprächspartners erkennen, er sei erst vor kurzem von einer Reise nach Österreich und Deutschland zurückgekehrt, wie anderseits auch in Gesprächen mit einer Reihe von hochgebildeten Repräsentanten des Mönchstums des Athos der wehmütig-sehnsüchtige Gedanke eines Zusammengehens der zwei großen christlichen Konfessionen zum Ausdruck gebracht wurde. Es soll in diesem Zusammenhang aber nicht verschwiegen werden, daß wir auch Ansichten zu hören bekamen, in deren Vokabular Ausdrücke wie Vergebung, Versöhnung, christliche Liebe und andere dem Katholizismus gegenüber nicht vorhanden zu sein schienen. *

ÖSTERREICH ERFREUT SICH ÜBRIGENS auf dem Athos eines ausgezeichneten Rufes, der so weit geht, daß man eine neue Blütezeit des Athos-Mönchtums von einem aus Österreich kommenden Mönch einleiten lassen will. Jedenfalls wirkten sich die Österreich-Sympathien uns gegenüber in einer allseits und jederzeit überaus gastfreundlichen Aufnahme aus.

Einen Begriff von der Zeit, die auf dem Athos stillzustehen scheint, vermittelte uns eine kurze Unterhaltung mit einem alten, einfachen Mönch, in deren Verlauf er erwähnte, daß er vor 55 Jahren als junger Handwerksgeselle auf den Athos gekommen sei und ihn seither nicht mehr verlassen habe. Seine Zeit ist mit Gebet und Arbeit ausgefüllt. In einem nur von sechs Mönchen bewohnten Riesenkloster sagte mir abends, als ich auf dem Balkon gedankenversunken aufs blaue Meer hinausschaute, ein Mönch, daß er in solchen Stunden seine Gedanken immer bei seiner Frau und seinen Kindern verweilen ließe, von denen er schon an die 40 Jahre keinerlei Nachricht mehr habe. Übrigens sei er jetzt auch schon ein ganzes Jahr nicht mehr in der Kirche gewesen. „Wozu sind Sie dann hier?“ fragte ich ihn. „Ich weiß es nicht...“ „Dann rasieren Sie Ihren Bart ab, gehen Sie in die Welt und suchen Sie Ihre Kinder!“ stellte ich ihn auf die Probe. „Das kann ich nicht... Ich habe Angst vor der Welt...

In gutorganisierten Klöstern hat jeder Mönch seinen geistigen Vater. Eine interessante Einrichtung, die übrigens im alten Rußland eine Parallele hatte und von Dostojewskij einmal beschrieben wurde, nämlich die Starzen, die alten, weisen Väter oder Betreuer. Der ins Kloster Neueintretende wird einem älteren, erfahreneren Mönch zur Betreuung zugewiesen, das heißt, er hat nicht nur zu beten, sondern muß auch für den kleinen Privatgarten seines Seelenbetreuers sorgen und mit ihm abends eine Aussprache halten. So kann er ihm alle seine Zweifel und Gemütsbewegungen mitteilen.

SOFERN EIN PILGER im Besitz eines Athospasses ist, sind die Klöster verpflichtet, ihn zumindest für eine Nacht kostenlos aufzunehmen und zu verpflegen. Mit der Zeit überkam uns ein ungutes Gefühl, da wir für die allerorten überaus gastfreundliche Aufnahme keine echte Gegenleistung bieten konnten. Die kleinen Geschenke, die man sonst bei derartigen Anlässen gibt, waren, dessen wurden wir uns immer mehr bewußt, jenseits der Athoswirklichkeit. Geschenke in Form von Medikamenten würden hier einen viel realeren Wert haben. Erst gegen Ende unseres Aufenthaltes auf dem Heiligen Berg, im Kloster des heiligen Iiijas, kam uns die Eingebung, unserer Hände Arbeit als Gegenleistung für die Gastfreundschaft den Mönchen anzubieten. Dieses Arbeiten für die Mönche ließ uns in die Atmosphäre der Klostergemeinschaft um so leichter eindringen.

Ein Phänomen, das einem in unserem weltlichen Leben nicht so sehr zu Bewußtsein kommt, ist am Heiligen Berg bei all seiner republikanischen Verwaltungsstruktur, trotz Post und eigener Polizei und den vielen griechischen Zivilarbeitern und Händlern frappant, nämlich das der Frauenlosigkeit. Sie wirkt sich rein äußerlich so stark aus, daß nur eine Feststellung genügt, um die Situation zu charakterisieren: abgesehen von dem Prunk der Kirchen, fehlt auf dem Berg Athos jede Zierde, es fehlt an jeglicher Pflege, vor allem ist der Mann ungepflegt — in seiner äußeren Erscheinung wie auch in seiner Sprache. Nirgends wohl kann man so leicht beweisen, wie sehr das Sichgehenlassen im Äußerlichen auf den seelischen Bereich des Menschen abfärbt.

Man wird mit Recht die Frage stellen, mit welchen Erwartungen wir den Heiligen Berg betreten haben. Um es kurz zu fassen: der Athos ist kein Ort für Touristik, trotz seiner landschaftlichen Schönheit. Er ist auch kein Ort, an dem die Heiligen scharenweise anzutreffen sind, wenn auch die Mönche den Großteil ihrer Zeit in den Kirchen im Gebet verbringen. Die Mönche des Athos sind meist ernste Sucher nach den Wurzeln des Glaubens. Hat man dieses Gefühl des Suchens in sich aufgesogen, glaubt man der unmittelbaren Urzeit des Christentums nachzuleben. .....'- • •

AUF SCHRITT UND TRITT VERMEINT MAN, in der Zeit knapp nach Christus zu leben. Die Schönheit der Kirchen und die aus tiefster Gläubigkeit heraus entwickelten Zeremonien des Gottesdienstes, die ansonsten als traditionell und symbolisch aufgefaßt werden, auf dem Athos jedoch bar jeder Symbolik zu einer Realität geworden sind, sie gehören zweifellos zu den nachhaltigsten und unvergeßlichen Eindrücken, die einem der Heilige Berg mitgibt. Ja. am Athos ist die Symbolik Realität, das heißt, die Symbolik legt die Patina der Zeit ab.Was die wissenschaftliche Seite des Athos anbelangt, so ist diese Frage wohl am schwierigsten zu beantworten. Ohne Zweifel sind unschätzbare Werte an kunsthistorischem und handschriftlichem Material vorhanden. Ich habe Kisten und Schränke mit bisher noch nicht gesichteten Manuskripten gesehen. Die meisten zum Berg Athos durchgesickerten Wissenschaftler befassen sich mit den alten, bis in die ersten nachchristlichen Jahrhunderte zurückreichenden Handschriften. Doch das höchst interessante Material aus dem 19. Jahrhundert, zum Beispiel über die Politik im Mittelmeerraum, das nicht nur die Türkei und Rußland, sondern auch England, den ganzen Balkan und Österreich berührt, liegt vollkommen brach. Allerdings ist es auch nicht leicht, an die Quellen heranzukommen, da vieles unter dem Siegel des Geweihtseins überhaupt nicht oder kaum zugänglich ist und ohne besondere Genehmigung nicht eingesehen werden darf. Daneben darf auch nicht verschwiegen werden, daß die Mönche im allgemeinen skeptisch, um nicht zu sagen mißtrauisch gegenüber Wissenschaftlern eingestellt sind-zu viele von ihnen haben nämlich in ihrem Ubereifer das Objekt ihrer Forschung gleich mit nach Hause genommen...

EIN BESONDERES PROBLEM stellt das Verhältnis der Mönchsrepublik zur Sowjetunion dar. Nach jahrzehntelanger Abwesenheit waren bei der Tausendjahrfeier des Klosters Lavra zum erstenmal wieder russische Bischöfe auf dem Athos anwesend. Sie besichtigten bei dieser Gelegenheit auch die russischen Klöster, und als Folge dieser ersten Kontaktaufnahme sollen aus Rußland beträchtliche Mittel für diese Klöster eingetroffen sein. Mit der Ankunft von 18 russischen Mönchen hat sich inzwischen auch das Gerücht bewahrheitet, daß viele Mönche auf die Erlaubnis warten, auf den Berg Athos gehen zu dürfen.

Da es am Heiligen Berg ja sehr an Nachwuchs fehlt, ist es verständlich, daß das Schielen mancher Mönchskreise in Richtung Rußland immer stärker wird. Anderseits hat auch das kirchliche Rußland — und, wie die Beispiele der mit Staatsmitteln instand gesetzten Kirchen und Klöster um Moskau (Zagorsk!) anschaulich zeigen, nicht nur dieses — großes Interesse daran, die alten russischen Klöster am Berg Athos wieder in ihrem Glänze erstrahlen zu lassen. Aus naheliegenden Gründen wird auch die politische Führung des Staates nichts dagegen-haben, an diesem Punkt des Mittelmeeres eine russische Kolonie zu wissen — wenn auch nur in schwarzen Mönchskutten.

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