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Tägliche Suche nach Schlüsseln, dann der Kampf mit den Stufen

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Geschichten vom Altern haben meist etwas Abschreckendes, der Verfall erscheint bedrohlich, alles geht auf ein sicheres Ende zu. Nicht so bei Alfred Pittertschatscher:

„Sämtliche Alteleutgeschichten lassen sich freilich nur als Geschichten von alten Leuten erzählen. Und vor allem: Es gibt für sie kein eigentliches Ende, weil es keinen eigentlichen Anfang gibt. Alles gerät mit den Jahren durcheinander. Auch einmal erzählt, muß es für immer ein Durcheinander bleiben.”

Keine Eigentlichkeiten, sondern erfundene Wahrheiten verdichtet Pittertschatscher in seinem zweiten Ruch „Kommen und Gehen oder Der Himmel kann warten” zum resigna-tiv-hoffnungsvollen Roman über Altern und Vergehen eines Ehepaares.

Pittertschatscher, bekannt durch seine Arbeiten für I lörfunk und Fernsehen, studierte Germanistik und Musik, ist aber alles andere als ein, mit Thomas Bernhard gesprochen, „Wirklichkeitsverach-tungsmagister”. Der Leser glaubt nach den ersten Seiten, dieses Ehepaar, das jeden Tag zur gleichen Zeit seinen Kampf im Stiegenhaus mit den Stufen aufnimmt, zu kennen. Täglich die Suche nach dem Wohnungsschlüssel, der plötzliche Schwindelanfall, der rasende Puls, die gleichen Sätze: „Halt dich um Himmels willen wenigstens besser am Geländer fest, am Geländer!”, die Angst vor dem Fallen. Doch oben in der Wohnung hängt der Beweis, daß derlei Beschwerlichkeiten nicht unbedingt zu den Markenzeichen von Großmutter und Großvater gehören: „Wie Orden die Turnringe im Türrahmen ihrer Wohnung, die der Großvater Sonne zum siebzigsten Geburtstag geschenkt hatte”. Bis spät ins achtzigste Lebensjahr übte die Großmutter täglich darauf. Noch mit siebzig war Großmutter Sonne ältestes aktives Mitglied im Schwimmerund im Turnerbund gewesen.

Bückblickend erzählt Pittertschatscher das Leben seiner Protagonisten und deren Tode. Damit die Vergänglichkeit aber nicht in allzu krassen Farben erscheint, gibt ihnen der Autor die Namen Sonne und Mond Moscheros, die Tochter wird Sternchen genannt, ihr Sohn als Mond junior vorgestellt, dazu Kater Geoffrey und die Spinne als Beobachter im Hintergrund.

Indes Geoffrey seinen Gedanken über mögliche oder unmögliche Arten, sein Leben zu verändern, nachhängt, stellen sich Großmutter und Großvater den Tatsachen, dem Älterwerden: „Unterwegs allerhand berühmte Zeitgenossen und mit den Jahren sechs Katzen, zwei Kater und vierundzwanzig Kätzchen zurückgelassen.” Bückblenden auf die Jugend, das erste Kennenlernen, werden kleinen Anekdoten im Alter hinzugesellt.

Ob man die beiden beim Warten auf den Briefträger antrifft, dessen tägliches Erscheinen zum zentralen

Ereignis des Tages geworden ist, oder auf einer Ausfahrt in ihrem geliebten Froschi, dem VW-Käfer, den nun einer der Altenhelfer für sie lenkt, stets erscheinen sie als Exempel eines noch immer ineinander verliebten Ehepaares mit durchschnittlichen Biographien:

„Weltkriegsüberlebende sind sie schon zweimal geworden, ein drittes Mal verzichten sie gern, von Beruf Schneider, tapfere Schneider, über sechzig Jahre zusammen ... Im ersten Lebensdrittel Geburt einer Tochter. Im zweiten Lebensdrittel hauptsächlich Beruf. Im letzten Lebensdrittel, so spät wie möglich, Altsein. Kein Haus gebaut (weil Mieterschutzwohnung)”. Und wo eine Mieterschutzwohnung ist, darf, fast schon naturgemäß, der böse Hausbesitzer nicht fehlen. Daß dies kein billiger Einfall des Autors, sondern pure Realität ist, weiß jeder, der selbst oder dessen Großeltern im Besitz einer solchen Wohnung sind. Bäuck, auch noch Filialleiter der örtlichen Bank, ist bestrebt, die an sein Institut angrenzende Wohnung in ein Schulungszentrum umzubauen. Doch Bäucks Versuche, den beiden das Leben in ihrer Wohnung zu erschweren, bleiben ohne Erfolg.

Weder die lästigen Kaminkontrollen in der Heizperiode noch die dauernd Staub aufwirbelnde Baustelle im Stiegenhaus, die nicht und nicht fertig wird und das ohnedies schon schwer gewordene Sehen noch schwieriger macht, können die Moscheros vertreiben. Auch Beinschleim, der Vertreter des Bankhauses, hat gegen Großvater keine Chance, denn „früher hat sich Bäuck wenigstens selbst blicken lassen, das ist noch ein Kampf Hausbesitzer gegen Mieter gewesen. Aber gegen einen - wie hat er geheißen? -Beinschleim anzukämpfen, das ist nur ärgerlich, nichts weiter.”

Der Roman firmiert im Untertitel als „komitragisch” und wird diesem Attribut auch gerecht, wenn etwa von den Ausfahrten der beiden erzählt wird': „Bis ins siebzigste Lebensjahr waren die Großmutter und der Großvater auf ihrer Beiwagenmaschine durch das Land gezogen, gemeinsam mit ihrem Hund Trixi”. Nicht nur der Großvater fuhr Motorrad, eine Puch 125 und eine Harley Davidson zählten zu seinem Besitz, sondern „auch die Großmutter machte für Motorräder und Personenkraftwagen ... den Führerschein”. Der Fahrlehrer bewunderte sie, „wie sie in ihrem Alter so schön und so gleichmäßig fahre. Immerhin sei sie nicht mehr die Jüngste gewesen. (Die Großmutter hatte den Führerschein mit siebzig gemacht.)”

Indes aber der Großvater seinen Führerschein aus Altersgründen, abgibt, fällt dies der Großmutter nicht ganz so leicht, und Großvater ist es schließlich, der sich zu diesem Schritt entschließt. Daß solche Einschnitte aber nicht zwanghaft bedrückend dargestellt werden müssen, beweist der Autor im Dialog der beiden: „Nein, ich hätt mich nicht mehr hineingesetzt ins Auto, sagte der Großvater zur Großmutter, da hättest allein fahren müssen. - Ich war schon gefahren. ... Ich hab es dir doch eh bewiesen, daß ich fahren hab können”.

Pitterschatschers einfühlsamer Umgang mit seinen Figuren läßt immer wieder aufhorchen. Detailgetreu beschreibt er jeden kleinen Altersausschlag, den unaufhaltsamen, langsam voranschreitenden Verfall der Körper, das Nachlassen der Funktionen. Daß dies jedoch nicht allein dem Alter überlassen ist, bezeugt der nicht selten auch als Ekel apostrophierte Enkelsohn Mond junior. Als Nachkriegskind, sein Vater war ein amerikanischer Besatzungssoldat, kam er in den USA zur Welt, wo er als „Workalco-holic”, ähnlich seinem Vater, stets auf einen neuen Herzinfarkt zusteuert. Nur schwer kann sich der Leser ihn als Kind vorstellen.

Ich hob dir eh bewiesen, daß ich fahren hab können

Obwohl seine Großeltern bald mit allen unangenehmen Äußerlichkeiten des hohen Alters ausgestattet auftreten, fällt es leicht, sich diese ebenso als jung verliebtes Paar vorzustellen. Die Gegenüberstellung des alterskranken Großvaters mit dem Enkel erinnert leicht an den Monolog des Malers Strauch aus Thomas Bernhards Roman „Frost”, dessen Einleitungssatz Pitterschtschatscher ebenso zu beweisen wie zu widerlegen versteht:

„Die Eigenschaften der Jugend und die Eigenschaften des Alters sind dieselben, aber die Wirkung, die sie hervorrufen, ist eine ganz andere”.

Dennoch kann den beiden Protagonisten selbst ihre Krankheit und

Hilflosigkeit nichts anhaben, nicht einmal der Tod, oder besser ihre beide Tode, denen der Autor letztendlich auch noch die Möglichkeit zu sprechen einräumt. Nachdem Großmutter gestorben ist und auch Großvater seine letzten Jahre bei der Tochter in Amerika zugebracht hat, bleiben noch die Tode der beiden zurück.

Um so tröstlicher erscheint es, daß am Ende des Romans nicht der Tod steht, sondern der Ausblick auf ein weiteres Leben, wieder mit Kater Geoffrey und der Spinne als Kommentatoren.

Ein erbauliches und besinnliches Leseerlebnis. Pittertschatscher versteht es, mit Ironie und Witz Alltäglichkeiten zu besonderen Begebenheiten zu erhöhen.

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