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TAGANROG

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(9. Fortsetzung)

„So kam Jene Nacht heran, die du miterlebt hast; aber was damals wirklich geschehen ist, weißt du nicht. Nie haben wir seit jener Zeit das Michaelspalais wieder betreten, das mein Vater bauen ließ; doch vergesse ich die Räume und Gänge nicht, von deren Decke das Wasser niedertropfte, während die Feuer fast machtlos brannten in den Ecken und das Eis über die Fenster wuchs. Dr. Wylie hatte auf das entschiedenste widerraten, das Palais zu beziehen; allein mein Vater hatte sich den Tag des Einzugs in den Kopf gesetzt und wollte ihn einhalten. Hier, hinter mächtigen Mauern, umgeben von breiten Wällen, auf denen Geschütz stand, fühlte er sich vielleicht geborgen. Pahlen erschien bei mir und eröffnete mir, daß ich verhaftet sei; am andern Tag sollten Konstantin und ich nach der Schlüsselburg gebracht werden; er könne diesen Befehl nicht völlig umgehen und müsse daher für diese Nacht eine Wache vor mein Zimmertür stellen. — Mein Vater mißtraute ja allen, nur nicht dem Manne, der ihm am gefährlichsten war. — „Für diese Nacht', sagte ich, indem ich in sein Gesicht blickte. Pahlen hatte nicht die Kälte Bennigsens, sondern die volle Kraft eines zum großen, einmaligen Einsatz entschlossenen Spielers, und diese Kraft mochte Macht haben über die gespaltene Seele meines Vaters. Ein schreckliches Einverständnis muß zwischen uns hin und her gegangen sein; — wenn ich mich ganz fassen will, in reiner Wahrhaftigkeit" — Alexander rang die Hände wie im Kampfe mit sich selbst —, „so muß ich bekennen, ich fühlte, wie dieses Einverständnis gleich einem Blitz von mir ausging und von Pahlen aufgefangen wurde. Er verließ das Zimmer sofort, und ich hörte, wie eine doppelte Wache draußen antrat. Dann wurde es still. — Ich hatte den Wunsch, dich zu sehen —, du lägest im anstoßenden Zimmer zu Bett, denn du ertrugst ja die furchtbare Kälte des feuchten Palastes nicht —; wir alle haßten den düstern Palast, und der Haß schlug auf den Erbauer über. Dann sagte mir eine Stimme: Es ist besser, du bleibst in diesen Stunden allein; diese Stunden haben ihr Geheimnis.

„Indessen betrat mein Vater das über dem meinen liegende Zimmer, zu der gewohnten frühen Abendstunde, da er sich zurückzog und sogar in der Stadt die Lichter erlöschen mußten. Ich hörte seinen hastigen Schritt; er riß die Fenster auf und ging ruhelos auf und ab. Nun schritt er in die Küche hinüber, in der er sich meist von einer Engländerin kochen ließ; denn er fürchtete Gift —, und es wurde ja erzählt, daß auf ihn in seiner frühen Jugend ein Anschlag • gemacht worden sei. Vielleicht, dachte ich jetzt in einem entsetzlichen Widerstreit zwischen Sorge und Hoffnung, sichert er die Türen, denn ich hörte ihn nun auch in der Bibiliothek, wo der Kammerhusar schlief, und am Ende der Wendeltreppe, die vom Hofe heraufführte. Dann kam er zurück. Wieder ging er lange auf und nieder. Nun rief er den Diener, wohl um sich auskleiden zu lassen. Es wunde wieder still. Stunden vergingen —; so viel Zeit ließ mir Gott. Ich lauschte; vor meiner Tür hörte ich die Wache atmen; der Gedanke, gefangen zu sein, empörte mich; die ganze Lage, in der sich unsere Familie in dem widrigen Palast befand, versetzte mich in Zorn. Ich vergegenwärtigte mir das Unrecht, das ich gesehen, die dumpfe Not, die auf der Stadt und dem Lande lastete, und den Haß, der an allen Orten aufflackern wollte. Ich dachte an meine von Panin geschürten Erwartungen, an Pahlens Hoffnung, Rußland eine Konstitution zu geben; sie flößte mir Mißtrauen ein. Doch das alles drang nicht in die Tiefe meiner Seele.Hier regte sich die furchtbare Ahnung, daß meine Stunde gekommen sei, jene einzige Stunde, die nicht wiederkehre. Ich kann nicht sagen, was sie alles bang an Versprechungen, überschwenglichen Hoffnungen, glühender Begier. Und inmitten dieser Träume sah ich die weitgeöffneten, von Angst und Unruhe flackernden Augen meines Vaters; ich erinnerte mich der Augenblicke, wo ich ihm nahe gewesen und die Wärme seines Herzens gefühlt —; wie er mit uns Kindern einmal gespielt und uns ungestüm an die Brust riß, als wolle er uns über eine ganze Welt des Jammers, des Verrates und der Verbrechen erheben. Denn etwas band mich an ihn, das viel stärker war als das, was mich an meine Mutter band; er war ja der Stamm, wenngleich das Verhängnis, das über unserem Geschlechte waltet, ihn unbarmherzig zerstört hatte. Sein und Bestimmung gingen von ihm aus. Beten konnte ich nicht in der heillosen glühenden Unruhe meines Herzens; die gegeneinander andrängenden Empfindungen machten mich schwächer, je länger der Kampf dauerte. Schon fühlte ich mich wehrlos. Aber wer hätte mich hindern können zu rufen; den Soldaten draußen zu überrennen oder wenigstens einen Pistolenschuß aus dem Fenster zu feuern? In dem Augenblick — das wußte ich —, wo ich die Stille zerrissen hätte, würde das Entsetzliche aufgehalten werden, und unser Schicksal mußte sich wenden.

„Aber ich tat nichts. Die Wünsche kämpften gegeneinander in meinem verdorbenen Herzen. Mehr als einmal sprang ich auf; dann hörte ich eine Stimme sagen: Was tust du? Willst du in deinen Kerker gehen und darin bleiben, während ein anderer auf verderbliche Weise das Amt versieht, für das du, du allein geschaffen bist? Eine Macht griff nach mir; ich blieb stehen; ich wartete, unfähig, die Wünsche noch zu entwirren, die mich in der grauenvollen, langen Stille fast zum Wahnsinn trieben. Da hörte ich die Krähen draußen schreien — sie horsteten auf den Bäumen am Wallgraben und mußten aufgescheucht worden sein —; dann ging eine Schar Männer unter meinen Fenstern hin; sie konnten nur über den gefrorenen Graben gekommen sein. Jetzt hörte ich von der andern Seite des Schlosses den verhaltenen Schritt einer Truppenmasse; es war, wie ich später erfuhr, das Preobras- henskische Bataillon, das sich der Verschwö- rund angeschlossen hatte. Dann knarrte die Wendeltreppe unter eilig drängenden Schritten; eine Tür wurde an ihrem Ende geöffnet — zugeschlagen — wieder aufgerissen —, in der Bibliothek fiel ein menschlicher Körper zu Boden. Nun hörte ich polternde Schritte über mir."

Alexander sank zurück, von der Erinnerung heftiger als vom Fieber ergriffen. Die Zarin, die ihm mit wachsendem Entsetzen zugehört hatte, war nicht fähig, ihm bei- zustehen. Gewaltsam richtete er sich auf: „Ich habe diese Augenblicke tausendmal durchlebt und sollte nicht fähig sein, sie zu bekennen? Es war mir vollkommen deutlich ,was geschah. Die Verschwörer mußte® meinen Vater überrascht haben, der schon zu Bett lag. Nun hörte ich ihre trunkenen Stimmen ihn schelten und ihm alle Härten und Ungerechtigkeiten vorhalten; nur Bennigsens Stimme blieb beherrscht, die Pahlens vernahm ich nicht. Mein Vater bat, schrie; Waffen und Gegenstände stürzten zur Erde, eine Masse kämpfender Körper schlug auf, aus der Ferne hörte ich die gellende Stimme meiner Mutter. Ich rief und rüttelte an der Tür, die von außen gehalten wurde. Noch einmal erscholl die Stimme meines Vaters auf eine entsetzliche Weise —; nicht einmal das Gebet, das man den Verurteilten erlaubt, hat man ihn sprechen lassen.“ — Alexander sagte diese letzten Worte nach einer langen Pause mit tonloser Stimme, es war, als sei alle Gemeinsamkeit zwischen den beiden Menschen, der Zarin und ihm, zerrissen — die Zarin weinte haltlos, Alexander kehrte sich zur Wand.

„Das ist die Wahrheit", fuhr er endlich fort, „die zwischen uns steht; sie mußte über meine Lippen. Von jenem Augenblick an wurde mein ganzes Leben zum Betrug. Denn als ich aus der Ohnmacht erwachte, standen Pahlen, Bennigsen und andere Verschwörer vor mir und grüßten mich als Zaren. Ich hatte die Stirn, zu fragen, ob mein Vater abgedankt habe.—; ich tat das nicht aus Furcht vor der Wahrheit, sondern weil ich fühlte, daß ich von nun an vor den Augen der Welt eine Rolle spielen mußte in einem widrigen, schlechten Stück und daß alle, die mich umgaben, meine Mitspieler waren. Der Zar sei an der Erregung gestorben, «erwiderte Pahlen. Diese Kälte empörte mich doch, und ich erklärte leidenschaftlich, idi werde nimmer die Krone aus blutbefleckten Händen annehmen. Die Begleiter Pahlens verließen den Raum; er stand allein vor mir. ,Wenn Sie sich weigern, die Krone zu tragen, die Ihnen gebührt, so gestehen Sie vor der Öffentlichkeit ein Verbrechen ein, das verborgen werden kann, und das verborgen werden muß, um Ihret- und um Rußlands willen.' — ,Wie können Sie glauben’, entgegnete ich, ,daß man nicht in wenigen Stunden schon in der Stadt davon wissen wird?' — ,Ich spreche nicht von diesem Wissen , erwiderte er, .sondern von der Haltung, die sie einnehmen werden; von ihr, nicht vom Wissen der Menschen wird der Gang der Dinge bestimmt werden.' — ,Diese Haltung ist eine Lüge.' — ,Sie ist das einzige Feste, an dem die Verhältnisse wieder befestigt werden können. Wenn die Menschen Festigkeit spüren, werden sie sich fügen — und schweigen; sie fürchten nichts mehr als Unsicherheit.' Während ich noch schwankte, drang meine Mutter in das Zimmer ein; sie forderte die Krone, da sie neben dem Zaren gekrönt worden sei. Nun fühlte ich die Krone plötzlich als meinen Besitz; ich weigerte sie ihr. In maßlosem Zorn beschuldigte sie mich des Verrats an meinem Fürsten und des Vatermordes. Wieder vergingen mir die Sinne, während Pahlen meine Mutter wegführte. Konstantin kam; er war vollkommen gebrochen. Man hatte ihm erzählt, daß der Zar einen der Verschwörer, der Konstantin ähnlich sah, mit entsetzlichem Schmerz für seinen Lieblingssohn angesehen habe. Ich muß glauben, daß auch Konstantin nicht ohne eine Vorahnung dessen war, was in jener Nacht geschehen sollte;' ihm hatte mein Vater ja den Titel Zarewitsch gegeben, um ihn mir vorzuziehen.“

(Fortsetzung folgt)

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