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TAGANROG ERZÄHLUNG

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5. Fortsetzung

Nur der Vorbereitung auf die Ankunft der Zarin widmete sich Alexander mit Eifer; er ließ von den durchziehenden Kosaken Stoffe in besonderen, verhaltenen Farben einkaufen und mit diesen die zwei für Elisabeth bestimmten Gemächer auskleiden, in deren fürsorgliche Wähler länge geschwankt hatte, bis er sich doch für die vom Meere abgelegene Seite entschied; er hatte einige Nächte in den auf die See gerichteten Zimmern zugebracht und, namentlich wenn gegen Morgen der Wind aufstand, das Geräusch der andringenden Weilen als störend empfunden. Einige Stiche, mit denen er nun die Wände schmückte, hatte er mitgebracht: Auf waldigem Berge thronte eine zertrümmerte Burg, darunter barg sich eine eng zusammengedrängte kleine Stadt zwischen dem höher gelegenen Schlosse und einem wuchtigen Kirchturm; ein anderes Bild zeigte schwellende Rebgelände, hinter denen der Turm eines gotischen Münsters aus der Ebene emporstieg. Für seine eigenen Zimmer äußerte der Zar keinen andern Wunsch als den nach üppigen Pflanzen, die er vor die Fenster stellen ließ; erst als die breiten Blätter das Sonnenlicht abhielten und ein tiefes, grünes Dämmer sich in den Räumen verbreitete, vermochte er darin auszuhalten. Indessen liefen Nachrichten von den Reisenden ein, die sich in der vorgesehenen Zeit näherten. Am Tage der Ankunft ließ Alexander das Haus umkränzen; dann ritt er den Erwarteten entgegen, mit einem letzten Blick über den Garten; was der späte Herbst und das Land noch an Blumen zu bieten vermochte, hatte der Gärtner glücklich zur Entfaltung gebracht.

Während der Arzt, Baron Wylie, sich an den General Diebitsch anschloß, hatte der Fürst Wolkonsky das Glück, an dem immer schöneren Einklang teilzunehmen, der die Gatten wieder verband. Er begleitete das Paar auf den Fahrten am Meer; doch wurden dafür mit Rücksicht auf die Gesundheit der Zarin meist frühere Stunden gewählt, als sie Alexander für seine Ausritte liebte. Wolkonsky hätte eine eigene Gabe, die Weisen zu singen, die er da und dort in der russischen Weite gehört hatte; wenn der Wagen an einer erhöhten Stelle der Uferstraße hielt — es war fast immer derselbe Ort, wo die Grabhügel ansetzten und der Blick über die Bucht und das Inselgewirre vor der Strommündung flußaufwärts über die still stehenden Schiffe und Boote schweifen konnte gegen die Stadt Rostow und in die langsam sich verdunkelnde Ebene —, so erlangte die leise, von einem geheimen Beben erfüllte Stimme des Fürsten eine eigentümliche Gewalt über die Hörer; jene Übermacht der Empfindung, die sich dann und wann Alexanders bemächtigte und seinem Blicke etwas Trunkenes gab, schien über ihn zu kommen. Er schloß die Gattin oder den Freund in die Arme; Ahnungen, die er so länge verschwiegen, lösten plötzlich seine Lippen; er meinte, es müsse etwas im Menschen sein, das ihn über alle Grenzen dränge, und unter der Macht dieses Verlangens müsse er handeln; diese Gewalt habe ihn so einsam gemacht unter den Fürsten und Staatsmännern Europas; nur in Napoleon sei eine ähnliche Mäht gewesen, die aber nicht aus der Weite der Welt, sondern aus deren Abgrund gekommen sei; darum hätten sie einander bekämpfen müssen, darum sich im Grunde auch viel besser verstanden als mit ihren Freunden und Bundesgenossen. Aber es bedurfte nur einer flüchtigen Erinnerung an gegenwärtige Zustände, an die Militärkolonien oder an die letzte Überschwemmung Petersburgs — welches Bild der Anblick des Stromes hervorrief —, um Alexander in tiefste Traurigkeit zu versetzen. „Warum habe ich nur Napoleon bekämpfen müssen mit unreinen Händen!“ rief er plötzlich, so daß ihn Elisabeth fassungslos, der Freund mit tiefem Erschrecken ansah.

Bald schien der Zarin das Haus lieber zu werden als die Landschaft. „Hier habe ich alles“, sagte sie am Abend eines stillen Tages, den sie am offenen Fenster verbracht hatte, „ich höre die Glocken und das Meer“. Alexander ließ Muscheln suchen und sie in das Zimmer Elisabeths bringen, die ihre Freude hatte an den sich zusammenfügenden, ineinanderklingenden Farben, in denen die langen, verhaltenen Übergänge der Tageszeiten vom ersten blassen Rot der Frühe bis zu den schwarz violetten Schatten der Nacht sich spiegelten, als hätte jede Brechung des Lichtes Gestalt angenommen in der Meerestiefe. Ihn ergriff die Jagdlust früherer Jahre; er Stieg mit Ilja in das Vorgebirge hinauf, über dessen kahlen Zinnen die Raubvögel kreisten. Als er zurückkam, fand er ein Bild Sophiens auf dem Tisch, das er lange schon vermißte; Elisabeth hatte es, da sie vor ihrer Abreise die Zimmer Alexanders durchschritt, an sich genommen. Einmal sann er der Frage nach, wie lange sie wohl getrennt gewesen seien im Laufe ihres Lebens; er fand, daß es viele Jahre wären, und Wurde von plötzlicher Reue erschüttert. Aber Elisabeth wollte seine Vorwürfe nicht gelten lassen. „Du warst mir niemals fern", erwiderte sie; „es gab keinen Tag meines Lebens, der mir nicht durch den Gedanken erfüllt wurde, daß ich deine Gattin bin.“

Eines Morgens ließ sich ein Oberst mit Namen Murawiew bei Diebitsch melden; aus früheren Dienstverhältnissen waren sie einander bekannt; der um Zulassung Bittende konnte sich darauf berufen, daß der General sich schon einmal seiner angenommen hätte. Da der Oberst eintrat, war er von einer merkwürdigen Erregung befangen; mit dem Ausdruck großer Offenheit erzählte er, daß er in einer höchst persönlichen Angelegenheit komme: er sei Tag und Nacht gereist, um den Zaren, dessen große Güte allein ihn entschuldigen könne, um ein Darlehen zu bitten; außerordentliche Umstande, die er dem Herrscher selbst vortragen wolle, drängten ihn zu diesem Schritt. Der General war von dem Ansuchen seines einstigen Schützlings peinlich berührt; die Gesundheit des Zaren bedürfe der äußersten Schonung, erklärte er kurz; vielleicht sei es möglich, ihm ein schriftliches Gesuch zu übergeben, Audienzen erteile er nicht. Murawiew hatte sich rasch in dem Räume umgesehen; er stellte sich vor die Tür, die in Alexanders Arbeitszimmer führte, und rief leidenschaft- lidi: dann würde seine letzte Hoffnung vernichtet; niemand könne ihm helfen außer der Zar. In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, Alexander stand auf der Schwelle, die Hand am Gürtel, gespannten Ausdrucks. Während Diebitsch an seinem Tische aufsprang, blitzte eine Waffe in Murawiews Hand, die gleich darauf, unter dem Schlag, den der Zar gegen den Arm des Attentäters geführt hatte, in der Mitte des Raumes auf den Boden schlug. Als Diebitsch hinzueilte, brach Murawiew unter einem Weinkrampf zusammen; Diebitsch nahm ihm die Waffen ab und durchsuchte seine Taschen, ohne Papiere zu finden. Alexander war bis in die Lippen erbleicht, doch ließ er es nicht zu, daß die Wache gerufen wurde; offenbar waren Murawiews Nerven in solchem Maße überreizt worden, daß von ihm nichts mehr zu befürchten war. So wagte der General keinen Einwand, als Alexander den Attentäter in das anstoßende Zimmer führte und bat, ihn mit Murawiew allein zu lassen. Nur schwer konnte sich dieser, während der Zar sich um ihn bemühte, in die Umgebung zurückfinden und das Vorgefallene sich vergegenwärtigen; plötzlich schlug er die Hände vors Gesicht in entsetzlicher Scham, die er aber nicht vor dem Zaren, sondern allein vor sich selber zu haben schien.

„Warum trachten Sie mir nach dem Leben?“ fragte Alexander, noch immer im Ton und der Haltung seines Pflegers, indem er den Oberst, der sich endlich erheben wollte, wieder in den Sessel niederdrückte. Murawiew mochte die Umstände noch einmal überdenken; dann ah er dem Herrscher mit entschlossener Feindlichkeit ins Antlitz: „Ihre Hand lastet mit tödlicher Schwere auf Ihrem Volke. Sie herrschen durch die Gewalt und müssen durch diese fallen. Vergeblich verbergen Sie sich hinter Männern wie Araktschejew; mich täuschen Sie nicht; Sie billigen, was er tut; er ist Ihresgleichen. Es geht Ihnen um Ihre Macht, nicht um das Wohl der Untertanen, geschweige denn um das Glück, das Gott der Herr den Menschen zugedacht hat.“ — „Sie sprechen von Gott?“ fragte Alexander erstaunt. „Ja, ich spreche von ihm“, antwortete der Oberst in bitterer Selbstironie, „und ich wollte doch für ihn handeln. Es bleibt mir in der Tat nichts mehr, als von ihm Zu sprechen.“ — „Sie glauben“, forschte Alexander erschauernd, „daß es eine gottgefällige Tat sei, mich zu töten?“ — „Das glaube ich; denn auch Ihr Volk wurde von Gott für die Freiheif geschaffen und nicht für das sdiändlidic Sklavendäsein, zu dem Sie e5 täglich erniedrigen. Sie verwerfen einen jeden Anspruch auf Verantwortung, auf ein wahres menschliches Leben, wie es auch ihre Vorfahren getan haben. Nie haben Sie etwas andere; gewollt als’den Besitz, den Besitz Rußlands Sie und Ihr Haus und alle, die Ihnen dienen, widersetzen sich dem Willen Gottes, darmr wird er einen Mann erwecken, der Sie vernichtet. Ich hatte zu wenig Geduld, und ich 1 erwartete viel zu viel von mir selbst. Ich armer Schwächling bin dieser Mann nicht: aber er wird kommen!“

Fortsetzung folgt

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