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Talent oder Frömmigkeit ?

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Assy in den savoyischen Alpen hat sich seit 1930 zu einem der ersten Lungenkurorte Frankreichs entwickelt. 1937 weilte dort zur Erholung der Dominikanerpater M. A. Couturier, das geistige Haupt der Pariser Bewegung für die Erneuerung christlicher Kunst. An ihn wandte sich der Seelsorger von Assy mit der Bitte, ihm eine Kirche für seine Kranken bauen zu helfen. Couturier gab diese Bitte an seine Künstlerfreunde weiter, die dem Plan zustimmten und sich gleich ans Werk machten. 1950 konnte die Kirche eingeweiht werden. Der kleinste Teil allerdings der Künstler war gläubige Katholiken gewesen, die Mehrzahl waren ungläubig. Auf die Angriffe, denen Couturier deshalb ausgesetzt war, gab er folgende Antwort:

„Es sind nicht theoretische Gründe, Gründe der Doktrin, die uns dazu geführt haben, an diese und nicht an andere Künstler zu appellieren; es sind Gründe der Wirklichkeit.

Wir haben an diese appelliert, weil sie die besten Maler sind und die besten Bildhauer unserer Zeit. Einzig und allein deshalb. Kein anderer Grund hat uns dazu bestimmt.

Wir waren des Niederganges der christlichen Kunst müde: wir dachten, daß, wenn es Chancen der Auferstehung gäbe, diese dort zu rinden wären, wo mehr Leben ist. Denn nichts wird wiedergeboren, es sei denn aus dem Leben. Und wenn in den .normalen' Perioden des Lebens der Kirche zweitrangige Künstler genügen können, um die iür den Kult unentbehrliche durchschnittliche künstlerische Produktion zu sichern, dann können in den großen Krisen, wie sie heute die christliche Kunst durchmacht, diese Künstler nicht genügen. Großen Menschen große Aulgaben.

Ich weise darauf hin, daß dieser Appell an die Meister der modernen Kunst in keiner Weise revolutionär ist: es ist im Gegenteil eine Tradition, die wir wieder aufnehmen. In allen Jahrhunderten hatten die größten Päpste und die größten Bischöfe niemals aufgehört, an die größten Künstler ihrer Zeit zu appellieren. Diese Tradition wurde gegen Anfang des letzten Jahrhunderts brüsk unterbrochen. Wenn auch manche andere Gründe mitgespielt haben, so muß man doch zugeben, daß diese Unterbrechung zu einem sehr großen Teil für den traurigen Niedergang der zeitgenössischen Kunst die Verantwortung trägt.

Man hat von uns behauptet, daß wir, um aus diesem Niedergang herauszukommen, um diese Aulerstehung hervorzurufen, es vorzogen, uns an ungläubige Künstler zu wenden. Das ist nicht exakt: Rouault ist ein wahrer Christ, und iür die religiöse Kunst wird es immer das Ideal sein, geniale Menschen zu finden, die Heilige sind. Aber wenn diese fehlen, dann meinen wir tatsächlich, daß es für dieses schwierige Unternehmen der Wiedererweckung sicherer und wirksamer ist, an ungläubige Genies zu appellieren als an Gläubige ohne Talent...

Uebrigens ist das schnell gesagt: .Ungläubige'; was weiß man denn schließlich schon? Da der heilige Augustinus von der universalen Kirche spracli, sagte er: ,Viele sind draußen, die drinnen zu sein meinen, und viele sind drinnen, die draußen zu sein meinen'... Richten wir nicht. Entscheiden wir nicht so rasch. Und das ist um so mehr zu beherzigen, als die Mehrzahl dieser Meister aus altem christlichem Stamm sind: sie sind getauft worden, sie haben eine christliche Kindheit gehabt. Sie bleiben davon imprägniert. Nun ist es wohl sicher, daß unter den lebendigen Quellen der Kunst jene, die aus der Tiefe des Seins und des Volkstums und aus dem Grund der Kindheit entspringen, unvergleichlich kostbarer sind und reiner als jene, deren eigenwillige Ueber-legungen und Entscheidungen nach ihrem Gutdünken verfügen.

Alle großen Künstler sagen, daß es ihre wesentliche Aufgabe ist, um jeden Preis in ihrem Werk und in ihrem Leben die reine, die wundervolle Kindheit ihrer Gaben zu bewahren. In ihrer Ordnung ist eine solche .Kindheit' nicht sehr weit vom geistlichen, glühenden und reinen Klima des Evangeliums... All dies riet uns, Vertrauen zu schenken und, wie Delacroix sagt, ,für das Genie zu wetten'...

Es sei uns noch gestattet zu sagen ..., daß das Werk unserer Meister unsere Erwartung übertroffen hat. Geheimnisvollerweise sind echte christliche Werte, als kämen sie aus einem neuen Mittelalter, ans Licht gekommen. Gewiß, nichts von alldem ist ohne Fehler, und es gilt noch Risiken einzugehen. Aber endlich, das Leben ist da. Und mit ihm die Hoffnung.'

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