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Tausend Dahre wie ein Tag

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Schon fast zwei Stunden langweile ich mich in dem belgischen Städtchen Ciney und warte auf den Autobus nach Chevetogne. Endlich kommt er und hält auf dem Bahnhofplatz vor einem der vielen Cafes, die einem Wiener wie eine seltsame Mischung von Bierstube, Espresso und Bar anmuten. Der Autobus fährt durch hügeliges, teilweise waldiges Gelände, ähnlich manchen Gebieten unseres Waldviertels. Nach etwa zwanzig Minuten heißt mich der Fahrer aussteigen, mitten auf der Landstraße. Verwundert blicke ich umher. Wo soll hier ein Kloster sein? Nach einigem Umsehen bemerke ich einen Waldweg, der von der Landstraße abzweigt, und eine Tafel „Monastere“. Der Weg schlängelt sich aufwärts und nach etwa sieben Minuten stehe ich auf einem Plateau und sehe ein schloßartiges Backsteingebäude vor mir. So stelle ich mir eher das Missionshaus einer jüngeren Kongregation vor. Nie hätte ich in diesem Bau ein Benediktinerkloster vermutet. Und doch ist es das. Priorat Chevetog'ne, auf der Welt wohl einzig in seiner Art, denn die Kommunität besteht aus zwei Gruppen: Mönchen des lateinischen und des byzantinischen Ritus, die zugleich, aber meist in getrennten Kapellen, ihren Gottesdienst feiern, streng nach den liturgischen Vorschriften.

Ein bärtiger Mönch in der Tracht der Seckauer Benediktiner empfängt mich freundlich. Wie sich später herausstellt, gehört er der griechisch-katholischen Gruppe an. Die Lateiner sind geschoren und bartlos. Er führt mich in ein sehr hübsches Zimmer. Nach einer halben Stunde holt er mich zur Jause und zeigt mir das Haus. Die geräumige Bibliothek mit einer einzigartigen Sammlung ostkirchlicher Werke in allen Sprachen und das reich bestellte Zeitschriftenzimmer beeindrucken mich sehr, ebenso die beachtliche Kollektion ostkirchlicher Schallplatten.

Dazwischen erzählt der Mönch, Dom Theodore, ein Holländer, wie 1925 Dom Lambert Beauduin vom Mont Cesar auf Wunsch Pius' XI. in dem alten Karmel von Amay sur Meuse das Unionskloster gründete. Fern jeder Proselyten-macherei soll es der friedlichen Annäherung der getrennten Ostchristen den Weg bereiten. „Irenikon“ heißt deshalb seine Zeitschrift. Wegen Raummangels übersiedelte die Kommunität 1939 in das ehemalige Schloß Chevetogne. Der ehrwürdige Gründer lebt hochbetagt im Kloster.

Um 18.30 Uhr ist die erste Vesper vom Fest des heiligen Josef in der lateinischen Kapelle. Vor dem Baldachinaltar steht ein einfaches Chorgestühl. Beide Gruppen ziehen zur Vorfeier dieses Festtages in das Chor, die Lateiner in KukuIIe, die Byzantiner im Rhason, dem griechischen Chormantel. Von der etwa vierzig Mönche umfassenden Kommunität sind wohl dreißig anwesend. Ich zähle fünf blutjunge Novizen, erkenntlich an ihrem kurzen Skarjulier. Feierlich ertönen die vertrauten Weisen des Chorals, allerdings ohne Orgelbegleitung. Ich sehe auch nirgends eine Orgel oder ein Harmonium.

Vor dem Refektorium werde ich dem Prior des Hauses vorgestellt. Ich speise an seinem Tisch. Das Essen ist einfach, aber ausgezeichnet zubereitet. Man spürt die Nähe Frankreichs. Das tiefe Stillschweigen wird nur durch den Vorleser unterbrochen. Er liest deutlich und langsam. Zum ersten Male, seit ich in Belgien bin, kann ich in Ruhe dem Französischen folgen. Nach dem Essen besuche ich die byzantinische Komplet. Da sie — wie das ganze Stundengebet dieser Gruppe — in kirchenslawischer Sprache abgehalten wird, kann ich trotz des französischen Textes, der mir gegeben wurde, zunächst nicht sehr gut folgen. Immerhin macht die stimmungsvolle byzantinische Kapelle mit ihrer Ikonostase, die Verneigungen der Mönche, die zum Rhason jetzt noch die orientalische Kopfbedeckung, die Kamilawka mit Schleier tragen, der stark duftende Weihrauch und der Tonfall der Gebete tiefen Eindruck. Wunderschön klingt die vierstimmig gesungene Muttergotteshymne am Schluß.

Am nächsten Tag lerne ich auch einen Teil der Mönche kennen. Die Kommunität ist wahrhaftig international. Der erste Kantor der Byzantiner z. B. ist ein Australier. Selbst die Novizen kommen aus verschiedenen Ländern. Sie machen zunächst alle das lateinische Noviziat, lernen aber gleich russisch und kirchenslawisch und leben sich allmählich in den byzantinischen Ritus ein. Erst viel später wird nach Begabung und Neigung entschieden, zu welcher Gruppe jeder endgültig kommt. Jedenfalls fällt einem bei allen Mönchen die unerhörte Vertrautheit mit den ostkirchlichen Fragen und vor allem auch mit dem uns Abendländern so fremden Geist der Ostkirche auf. Man lernt wirklich katholisch denken und bemerkt, daß die vertraute westliche Art nicht die einzige Möglichkeit ist, selig zu werden. Und gerade diese Erkenntnis ist wichtig. Wendet sich doch Chevetogne nicht nur an die getrennten Brüder des Ostens, sondern in gleicher Weise an die römischen Christen. Sie alle sollen sich, besser kennenlernen und dadurch oft tief eingewurzelte Vorurteile aufgeben.

Allmählich komme ich auch bei den slawischen Offizien besser mit. Man hat ja Zeit, sich vorzubereiten. Am eindrucksvollsten waren aber die Gottesdienste, die beide Gruppen vereinten: die beiden feierlichen lateinischen Hochämter am Josefs- und am Benediktustag und die großartige Basiliusliturgie am Sonntag Laetare, die in griechischer Sprache gefeiert wurde. Die zunächst fremd anmutenden byzantinischen Weisen wirkten durch die Vollendung und überzeugende Andacht der Darbietung. Auch das am Sonntag als Tischgebet vierstimmig gesungene slawische Vaterunser ergriff mich tief.

Leider mußte ich schon nach drei Tagen abreisen. Ich ging viel reicher, als ich gekommen war, und werde diese kurze Zeit nie vergessen. Viel Segen hat Chevetogne schon gebracht. Wann wird wohl die große Stunde dieses Klosters schlagen? Wann werden nach dem Wort des Herrn alle eins werden? Wir wissen es nicht. Doch Rom denkt in Jahrhunderten, und vor Gott sind bekanntlich tausend Jahre wie ein Tag.

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