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THE KING OF HOLLYWOOD

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ES GIBT KEINE MÄNNER MEHR, sagen sie in den USA, die einzigen Männer in Amerika sind die Juden und die Italiener. Auch der Kinsey-Report macht Andeutungen in dieser Richtung.

Der Mann, den die amerikanischen Frauen und Männer in den dreißiger Jahren in den Rang der Volksgunst hoben, war ein Mann, ein Mannsbild, ein Kerl, wie ihn sich die unbefriedigte Sehnsucht der amerikanischen Frau nur wünschen konnte. Die Jüngeren unter den Kinogehern werden das nicht mehr ganz verstehen, denn Clark Gable hat in den letzten Jahren nur noch grauhaarige, weise Gentlemen gespielt, die zwar noch immer „wirkten“, aber doch mehr ihre vitale Kraft und Autorität selbst ironisierten. Damals aber, Mitte der Dreißig, von „Es geschah in einer Nacht“ über die „Meuterei auf der Bounty“ bis „San Franzisko“ (nicht mehr ganz so in seiner vierten, vielleicht reifsten Bombenrolle als Rhett Butler in „Vom Winde verweht“) war er ganz und gar nicht der gütige und verzichtende Alternde, sondern ein rücksichtsloser Draufgänger, ein wüster Catch-as-catch-can-Fechter, ein ganz und gar unkonventioneller Liebhaber: buschige, kohlschwarze Augenbrauen, ein struppiges Bärtchen, das immer irgendwie aufgeklebt wirkte, große, abstehende Ohren, die auf Brutalität schließen ließen. Seine Manieren im Film waren nicht die besten, er soff und rülpste, raufte und boxte, und wenn er eine Frau küßte, sah es aus, als ob er sie ohrfeigen oder auffressen wollte. Clark Flegel nannte ich ihn einmal um diese Zeit.

Er, der Millionen Frauen im Kino unruhig machte, hatte überhaupt eine sehr unromantische Meinung von der Liebe und seinen Liebesszenen: „Als ich das zum erstenmal spielen sollte, war ich zu Tode erschrocken. Der Regisseur meinte, ich solle einen sehnsüchtigen Ausdruck einnehmen, und ich versuchte, an ein großes, weiches Steak zu denken. Es hat so gut geklappt, daß ich das immer so gemacht habe...“ Und so wie er spielte, hat er auch gelebt: immer aus dem vollen. Die Whiskygläser konnten nicht groß genug sein, und er trank so schnell, daß die Eiswürfel tatsächlich nur zum Kühlen, nie zum Verdünnen kamen.

Ungefähr das war es, was im aufgeweichten Männertyp Amerikas fehlte und nunmehr über Nacht zum Erfolgstypus wurde. Wir sollten überhaupt solche Sozialfunktionen des Films aufmerksamer verfolgen (auch die Sexualaufladung des heutigen Films, die Vorliebe für den Primat der Körperformen und den Teenager kommen, wie kürzlich an dieser Stelle aufgezeigt, nicht von ungefähr).

ES IST DAHER AUCH KEIN ZUFALL, was selbst die taktvollsten Nachrufe jetzt nicht unterschlagen konnten, daß der Ehefrauenkonsum Clark Gables wie im Film so auch im Leben beachtenswert gewesen ist. „Sie“ hieß 1924 bis 1930 Josephine Dillon und war seine Schauspiellehrerin und mütterliche Freundin. Gattin Nr. 2 von 1931 bis 1938, also in seiner Glanzzeit, war Rhea Langham, eine steinreiche Witwe aus Texas. Es ist etwas Wahres daran, daß alle Berichte erst bei der dritten Frau, der Filmdarstellerin Carole Lombard, 1939 bis 1942, von Liebe, von der großen Liebe sprechen. Gerade sie aber nahm ihm das Schicksal schon nach dreijähriger Ehe durch einen Flugzeugabsturz am 16. Jänner 1942. Obwohl ihr noch zwei Gattinnen folgten, flüchtete das ruhelose Herz des Mannes noch im Tode zu ihr: Clark Gable ruht seit dem 19. November, wie seine letzte Gattin großzügig verfügt hat, in Carole Lombards Grab.

Die Witwe des populären Darstellers Douglas Fairbanks sen., das einstige Londoner Revuegirl, die spätere Lady Sylvia Ashley, war 1949 bis 1952 Clark Gables vierte Frau. Seit 12. Juli 1955 teilte Kay Williams, die frühere Frau des Zuckerkönigs Spreckels, seinen Namen. Merkwürdig: alle fünf Ehen haben ihm nur zwei Stiefkinder eingebracht, nur die letzte Frau trägt noch ein Kind von ihm unter ihrem Herzen, das im Frühjahr zur Welt kommen soll — der Vater hat es sich immer unbändig gewünscht, aber nicht mehr erlebt.

Ganz bestimmt kein Zufall, sondern für die Wirkung seiner Art auf Frauen überaus bezeichnend ist es, daß seine ersten beiden Frauen bedeutend älter als er waren: die zweite um elf, die erste gar um 16 Jahre.

WIE MAN EIN STAR WIRD? Kunst kommt heute nicht allein von Können, sondern auch von harten Fäusten und Ellenbogen. Nur das Herz, das Herz hält nicht immer durch...

William Clark Gable ist am 1. Februar 1901 in Cadiz, Ohio, als Sohn eines Ölarbeiters geboren. Als er sieben Monate alt ist, stirbt seine Mutter, eine Deutsche namens Hersholmen aus dem Hannoveranischen. Der Bub verbringt die ersten fünf Lebensjahre auf einer Farm der Großeltern in Pennsylvanien. 1906 heiratet der Vater zum zweiten Male. Die Stiefmutter, Jennie Dunlap, nimmt den Jungen nach Hause. 1907 bis 1916 geht er in Hopedale und Ravenna, Ohio, zur Schule. Mit 15 arbeitet er in der Kautschukfabrik von Akron. Schwer sind die Jahre 1917 bis 1924. In einer Schauspieltruppe ist er Mädchen für alles. Es gibt keine Rolle für ihn: die Ohren sind zu groß! 1920 stirbt die Stiefmutter. Der Vater nimmt den Sohn ein Jahr lang auf die Ölf eider von Oklahoma mit. Mit dem Ersparten geht Clark wieder zu einer Truppe, den Jewell Players, und ist um zehn Dollar pro Woche Clownpartner, Zeltaufsteller und Orchestermitglied. In Montana ist die Truppe bankrott, und Clark reist auf den Puffern eines Lastzuges nach Portland. Neue Karriere: Krawattenverkäufer, Aufseher in einem Holztransportgeschäft, Redakteur, Anzeigenwerber und Angestellter der Telephongesellschaft. In Josefine Dillon, seiner ersten Ehefrau, tritt ihm sein Schicksal entgegen. Sie lehrt in sprechen, spielen und auf den schwanken Brettern frühen Bühnenruhms (in den Broadwaystücken, 1925 bis 1930, „Machinal“,

„Konflikt“, „Spieler“, „Häwk Island“, „Blinde Fenster“ und „Die letzte Meile“) und erster Hollywoodrollen gehen. Lionel Barrymore soll den letzten Anstoß zu seiner Filmlaufbahn gegeben haben. Sie beginnt und endet bei der Metro-Goldwyn-Mayer. Noch im letzten Lebensjahr steht er unter Vertrag auf Lebenszeit: es ist eine süße Fessel, die jährlich bei größter künstlerischer Freiheit 300.000 Dollar, das sind siebeneinhalb Millionen österreichische Schilling, einträgt.

ICH GLAUBE NICHT, daß Clark Gable in dieser Zeit, wie jetzt behauptet wird, in mehr als 90 Filmen gespielt hat. Eine sorgfältige Prüfung der vielfach schwimmenden Titel läßt mir die Zahl zwischen 60 und 70 glaubwürdiger erscheinen. Versuchen wir es:

1930: THE PAINTED DESERT, THE EASIEST WAY. THE SECRET SIX, A FREE SOUL; 1931: DANCE, FOOLS, DANCE, HELL DIVERS, POLLY OF THE C1RCUS; 1932: SUSAN LENNOX, POSSESSED, STRANGE INTERLUDE, RED DUST, NO MAN OF HER OWN; 1933: THE WHITE SISTER, HOLD YOUR MAN, NIGHT FLIGHT, DANCING LADY; 1934: IT HAPPENED ONE NIGHT, MANHATTAN MELODRAMA, MEN IN WHITE, CHAINED, FORSAKING ALL OTHERS; 1935: AFTER OFFICE HOURS, CHINA SEAS, MUTINY

ON THE BOUNTY, CALL OF THE WILD; 1936: W1FE VS. SECRETARY, SAN FRANCISCO, LOVE ON THE RUN, CAIN AND MABEL; 1937: PAR-NELL, SARATOGA; 193S: TEST PILOT, TOO HOT TO HANDLE; 1939: IDIOT'S DELIGHT, GONE W1TH THE WIND, STRANGE CARGO; 1940: BOOM TOWN, COMRAD X; 1941: THEY MET IN BOMBAY, HONKY TONK; 1942: SOMEWHERE I'LL FIND YOU; 1946: ADVENTURE; 1947: THE HUCKSTERS, HOMECOMING; 1948: COMMAND DECISION; 1949: ANY NUMBER CAN PLAY, KEY TO THE CITY; 1950: TO PLEASE A1 LADY, ACROSS THE WILE MISSOURI; 1951: LONE STAR; 1952: NEVER LET ME GO, MOGAMBO; 1953: BETRAYED; 1955: SOLDIERS OF FORTUNE, THE TALL MEN; 1957: RUN SILENT - RUN DEEP;

1958: THE KING AND FOUR QUEENS, TEACHER'S PET; 1959: BUT NOT FOR ME, BAY OF NAPLES; 1960: THE MISFITS.

MIT JEAN GABIN verbindet Clark Gable nicht nur die gute Hälfte der Buchstaben seines Namens. Sie rangieren beide nicht weit hinter dem Universaltalent Charles Chaplins und haben als Charakterdarsteller nicht ihresgleichen in der Filmgeschichte. Beiden gemeinsam ist auch die Herkunft aus den schier unerschöpflichen Quellen des Proletariats, die sich in besonders reicher Fülle (von Chaplin, Chevalier, der Loren und anderen war hier schon öfter die Rede) in die modernste und demokratischeste Kunst- und Kulturproduktion, den Film, ergossen haben.

Eisengießer und Ölarbeiter: diese Abstammung können die Rollen nicht verleugnen. Jean Gabins Arbeiter, Matrosen, Vagabunden und schwere Burschen und Clark Gables Rauf- und Saufbolde, Reporter, Abenteurer und Manager — irgendwie gehört auch das Zwischenspiel im zweiten Weltkrieg hierher: Clark Gable wurde, zweifach ausgezeichnet, Luftwaffemajor — sind alles Kinder einer Mutter und einer Zeit: jenes sausenden, brausenden Maschinen- und Kom-merz-Säkulums, das nicht nur die Gabins und Gables und ihre Gestalten, sondern uns alle so dumpf und dunkel und hart gemacht hat.

Um so dankbarer müssen wir diesen Künstlern sein, daß sie in das eisige Klima dieser Welt auch Licht und Wärme, Lachen und Spott gebracht haben.

HIERIN, in der souveränen Heiterkeit und fröhlichen Selbstverspottung einer Komödie ganz bestimmter Prägung, war Clark Gable nicht minder „König von Hollywood“ (wie man ihn genannt hat) denn als tausendprozentiger Mann, leidenschaftlicher Liebhaber und, wie er von sich selber meinte, ruheloser, aber nicht treuloser Ehemann.

Drei Jahrzehnte amerikanischer Film stehen und fallen mit ihm — das sagen allein schon seine Partnerschaften, von Greta Garbo und Joan Crawford über Marion Davis, Jean Harlow, Constance Bennett, Norma Shearer, Jeanette Macdonald, Carole Lombard, Myrna Loy, Clau-dette Colbert, Loretta Young, Hedy Lamarr, Rosalind Russell, Lana Turner, Greer Garson, Deborah Kerr, Barbara Stanwyck, Ava Gardner, Gene Tierney, Susan Hayward, Jane Russell und Vivien Leigh bis Sofia Loren und Marilyn Monroe.

Der König ist tot.

Producers und Kolumnisten werden Mühe haben, den neuen zu küren und zu krönen.

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