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Theater — Häuser und Direktoren

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SEIN ODER NICHTSEIN”, Roman fines Theaters. Zürcher Schauspielhaus. Von Curt Riess. Sanssouci-Verlar. Zürich. 31 Selten. Preis 19.30 sFr. — CARL JOSEPH VON BERTALAN. Der erste Direktor des Stadttheaters ln Klagenf-urt 1868—1874. Von Othmar Rudan. Verlar des Landesmuseums für Kärnten, Klagenfurt. Mit 14 Abblldunren und einem Farbbild. 47 Selten. — BETRACHTUNGEN UBER DAS THEATER. Von Jean-Louis Bar ra ult. Mit Photos. Im Verlar der Arche, Zürich. 100 Seiten. Preis 7.80 sFr.

In „Sein oder Nichtsein” führt der Kolumnist Curt Riess die Geschicke der einzigen Institution auf der ganzen Welt vor, die indirekt von der Machtergreifung Hitlers in Deutschland 1933 profitiert hat: die des Zürcher Schauspielhauses. Riess .nennt sein Buch im Untertitel „Roman eines Theaters” und sagt dazu im Vorwort: „Der Untertitel wurde nicht von ungefähr gewählt. Es sollte von Anfang an klargestellt werden, daß es sich nicht um einen Tatsachenbericht handelte, nicht um eine’Darstellung, in der es um Zahlen, Statistiken, Dokumente ging.”

Innerhalb dieser sich selbst gesetzten Grenzen ist die Publikation, die ursprünglich zum Teil in einer Artikelserie für die „Zürcher Woche” vorlag, bemerkenswert klar, sachgerecht, fundiert. Selbstverständlich hat der Autor, der in seinem Bericht bis zur Gründung des Theaters zurückgeht, auch Bibliotheken, Archive, Zeitungsartikel herangezogen; die bewegte Lebendigkeit und Spannung ergibt sich aber aus der Auswertung zahlreicher Gespräche, die Riess mit Theaterleuten geführt und teilweise auf Band aufgenommen hat. Das Zusammentreffen der besten schöpferiscnen Kräfte zu einem Team, das seinesgleichen an diesem Ort vorher und nachher nicht hatte, erscheint als ein um so größeres Wunder, als es sich gegen hunderterlei Hemmnisse, nicht nur künstlerischer Natur, vollziehen mußte. Was Menschen nicht selten auf Tod und Leben wagten, um ihren Kollegen aus Deutschland oder bereits aus dem KZ in letzter Minute herauszuhelfen, was innerhalb der neuen Heimat an Kämpfen mit dem Gemeinderat, der Fremdenpolizei und gegen eine Bewohnerschaft ausgefochten werden mußte, welche letztlich nur ihre Ruhe und ihre Neutralität nicht verletzt haben wollte, das macht die eine Seite der Darstellung aus. Riess sieht die politische und wirtschaftliche Seite mit bemerkenswerter Klarheit; für manche .dieser wird sich hier gewiß ein ganz Heues Bild der Schweiz im Krieg ergebert/r Die andere, damit untrennbar verbundene, die einzig zählende Seite der Darstellung gilt der künstlerischen Entwicklung des Zürcher Schauspielhauses, die gegen die Ströme der Zeit, ohne Subventionen und unter ständigem zeitlichem Druck einer Vollendung zustrebte, die schließlich zu einem eigenen Theaterstil führte. An seiner Prägung haben Leopold Lindtberg und Theo Otto entscheidenden Anteil; seine Wirkung erwuchs aus der Sparsamkeit, aus dem Sieg des Geistes über die Materie.

So manche der Menschen, die diese Geschichte miterlebten und mitmachten, leben heute wieder unter uns; Hans Weigel etwa, oder Käthe Gold und Karl Paryla. Diä am reinsten klingenden deutschen Theaternamen — Elisabeth Bergner, Maria Becker, Therese Giehse, Ernst Ginsberg, um nur einige zu nennen — haben ihre Stimme dem Orchester des Zürcher Schauspielhauses in jener Zeit untergeordnet. Nicht zuletzt empfing in Wechselwirkung das schweizerische Theater mit seinem Hauptprotagonisten Heinrich Gretler stärkste Impulse von den Ankommenden der beiden Emigrationswellen.

In Curt Riess’ Buch steht der lebendige Mensch im Mittelpunkt. Daß dem Autor einiges an der Oberfläche blieb und er einiges an Takt gegen Lebende vermissen läßt, sei ihm im Hinblick auf die Gesamtdarstellung und sein persönliches ehrliches Engagement gerne nachgesehen.

Wie sehr am Rande theaterge- schichtlichen Interesses eine Publikation über einen Provinztheaterdirektor zunächst auch erscheinen mag, so sinnvoll erweist sie sich nach der Lektüre. Nur sechs Spielzeiten leitete der gebildete Herr von Bertalan die Geschicke des Klagenfurter Stadttheaters, und doch steht diese Amtszeit stellvertretend für die Geschicke aller Provinztheater dieser Zeit; und vielleicht sogar nicht nur dieser. Gestützt auf Akten- und Zeitungsmaterial, wird in der Darstellung Othmar Rudans der tägliche Kampf eines versierten Theatermannes lebendig, eines Praktikers, der als Fünfunddreißig- jähriger zum Direktor des Theaters der Kärntner Landeshauptstadt berufen worden ist. Da liest man vom langsamen Durchsetzen von Subventionen bei der Regierung, von Renovierung, Einführung der Gasbeleuchtung, von Ensembleaufbau, illustren Gästen und langsamer Spielplanverbesserung. Aufschlußreich für die Persönlichkeit Berta- lans ist eine Publikation, 1870 in Klagenfurt erschienen, die ihn zum Verfasser hat: „Das Provinztheater. Skizzen über die kleineren (halbjährigen) Bühnen in Österreich.” Ein Zeitdokument ersten Ranges.

Einen historischen und künstlerischen Rechenschaftsbericht über seine eigene Truppe, die „Compagnie Madeleine Renaud-Jean- Lois Barrault”, gibt der präzise und unermüdliche französische Theatermann Barrault. Darüber hinausgehend entwickelt er in seinen „Betrachtungen über das Theater” eine scharfsinnige und einleuchtende Theorie über den Schauspieler und das Theaterspielen, eine Theorie, die aus der leidenschaftlich betriebenen Praxis abgeleitet wird. Theater ist für Barrault die Kunst der Empfindung und menschlichen Mitteilung, es ist ihm Möglichkeit der Verteidigung und „Serum gegen die Angst”. Seine Theorien mögen für heutige junge Theatermenschen die Funktion haben, die einst Stanislawskis Schriften hatten. Sie sind praktischer Wegweiser zur Kunst des von Wirklichkeit und Wahrheit erfüllten Augenblicks: „Leben neu erschaffen, heißt zur Quelle des Theaters Vordringen.”

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