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Theater in Wien

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In einer glanzvollen Aufführung brachten die „Stephansspieler“ Calderons Drama „D er wundertätige Magu s“. Wie so viele große Werke des spanischen Barocks hat auch dies von Goethe und der Romantik hochbelobte Stück seinen Weg bisher nicht zu unseren Bühnen gefunden. Die Gründe dafür sind tiefliegend: Man scheute sich nicht nur vor dem Zauberapparat der spanischen Schaubühne des 17. Jahrhunderts, man erschrak vor viel Wesentlicherem, Gründigerem: die großartige monumentale Sicherheit dieser spanischen Welt in Glaube und Wissen, Gefühl und Leidenschaft stieß das bürgerliche Theater der „Neuzeit“, das auf Unglaube und Zweifel, auf Bruch in der Seele und Zwiespalt in der Welt basiert, zurück.

„Der wundertätige Magus“ Cyprian ist ein spanischer Faust — also: Teufelsbeschwörung, Bund mit dem Dämon zur Verführung Justinas, Flucht in die Magie, von der die Beherrschung des Kosmos erhofft wird. Das Werk des Teufels muß mißlingen, da diese unsere Welt — in der großartigen Auffassung des spanischen Barocks — zwar ki jeder Stunde Schauplatz des Kampfes zwischen Gott und Teufel in und um jeden Menschen, dennoch immer Kosmos bleibt: schön gefügte, strahlende Weltordnung, die letzthin nur einen Herrn, „Gott, dem Gütigen, Allweisen und Allmächtigen“ dient.

Deshalb dürfen die- silbernen Lichter des Humors, des Komödiantischen, auf deren Herausarbeitung gerade die Inszenierung der Stephansspieler besonders bedacht ist, so stark, farbig und leuchtend sein! Der bunte Reigen von Schalksnarren, der den bitterernsten Kampf der Hauptpersonen um Leben und Tod, und das heißt hier: Erlösung oder Verdammung, umspielt, weist vom ersten Augenblick an auf das Letzte hin. Auf die unerschütterliche Heikgewiß-heit, der dieses Werk entstammt. Diese Welt, in der zwar die Teufel durch tausend Tore ein- und ausgeben, in der Justina, die

Christin und Cyprian der Teufelsbündler alle Nöte der Seele bis zum bitteren Ende durthleiden müssen, ist die Welt Gottes.

Es gibt zwei Arten von Humor: den Galgenhumor der Ungläubigen und den wahren Humor, der allein dem Gläubigen eignet. Der erstere — Scherz, Spiel, Satire und Ironie von Grabbe über Nestroy zu Wilhelm Busch stellt den verzweifelten Versuch dar. den Bruch in Welt und Seele mit dem Holzbein des Schalksnarren zu überspringen; er ist tief nihilistisch. Der zweite, allein echte Humor gründet im Glauben und Wissen, daß diese ganze Welt der Weisen und Narren, der Sünder und Heiligen in Gott geborgen ist. Deshalb die Wundersame Vereinigung von Volk^posse und Märtyrerdrama im spanischen Spiel.

Wir haben es den Stephansspielern zu danken, daß sie, mittenhinein in eine Welt des Zwielichts und des Zweifels, kühn- und stark Zeugnis ablegen vom Gestaltungsvermögen einer Epoche, die ihre Probleme nicht in der Aufzeigung der Unordnung, sondern der Ordnung, ihre Schönheit nicht im Dunkel, sondern im Licht sucht.

* * *

Es ist kein Zufall, daß die Wiener Theater gegenwärtig mehrfach Dramen aus der Zeit nach dem ersten Weltkrieg spielen, problematische Stücke einer problematischen Epoche; Mahnmale für die Gegenwart: Motive eines Aufbruchs in ein tieferes, reicheres Verstehen des Mensdilichen klingen auf, gehen unter. Es war und ist mit die Schuld des Publikums, wenn es die begabtesten Autoren vielfach nur zu „Experimentatoren“ des Interessant-Verwunderlichen, nicht aber !W Mittlern neuer Erfahrungen des Humanen werden läßt. Diese Tatsache eines seelisch beklommenen Publikums drängte sich uns in einer Vorstellung des „O ktobertag“ von Georg Kaiser in der „Insel“ auf.

Zugegeben: Georg Kaiser war ein „Experimentator“ des Gedankens, er wol're sich selbst als solcher gesehen wissen, das Thema

der ' Handlung, das Motiv der Kleistscben

Novelle „Die Marquise von O.“ ist nicht jedermanns Sache. Die Schwächen des Stückes sind offensichtlich; dennoch vermochte und vermag es in jeder halbwegs gelungenen Aufführung zu ergreifen: die Wirklichkeit von Catherines Liebe mitten im mechanischen Geschiebe äußerer und äußerlicher Handlungen wird vom Autor durchaus glaubhaft dargestellt. Wenn er sein Stück „Legende einer Liebe“ nennt, dann ist damit alles gesagt: dies Stück verlangt nach einem Publikum, welches bereit ist, die Liebe eines jungen Mädchens ernstzu-nehmen. Ein komisches Ansinnen, scheinbar zumindest für ein Publikum der City 1946/47. Es war in d e r Vorsteuung, die wir sahen, zuviel verlangt. Ein breites Lachen quittierte die zarteste und feinste Szene. Dieser kleine Vorfall könnte nachdenklich stimmen: stumpfe Sinne und dumpfe Herzen verlangen nach schärferer Kost; hat diese „Welt“ noch nicht genug an den Schauspielen zweier Kriege? Verlangt sie nur Spiele der Ergötzung und Vergötzung ihrer eigenen Eitelkeiten? Sollte diese Abgebrühtheit (die in Wirklichkeit eine Verbrühtheit ist, ein Versehrtsein der Seele in ihrer eigentlichsten Dimension) mit der Hauptgrund dafür sein, daß unsere ersten Bühnen sich nicht an ernste Stücke wagen?

Dem Studio der Hochschulen blieb es vorbehalten. Lenormand Wien neu vorzustellen. Der berühmte Franzose ist der Meister der Zwischen weit nach 1918; er liebt es, Menschen ihrem eigenen Inneren

j gegenüberzustellen und sie in dieser Konfrontierung zerbrechen zu lassen. Das Gericht der äußeren Tatsachen vollzieht nur den Spruch, den das Innensein gefällt hat. Die Namen der „Helden“ dieser Stücke tun wenig zur Sache, sie heißen einfach „Er“ und „Sie“ (in „Die Namenlosen“'), da es sich nicht um die Wünsche und Begehrungen. um Leidenschaft und Schuld etikettierter Spielpuppen handelt, sondern um Mächte, die in uns hausen, die uns bedrohen, bedrängen und überwältigen, wenn wir sie nicht in unserem Leben zu meistern verstehen. Das Studio der Hochschulen brachte nun in einer Aufführung, die von einem leidenschaftlichen Willen, Zeugnis für Werk und Inhalt zu geben, besessen war, Lenormands Don-Juan-Spiel „Stimmen aus dem Dunkel“ („L'homme et ses Phantomes“). Don Juan ist „Er“, ein Mann der „Gesellschaft“, der sich, ohne Gewissen, bewußt mit dem Wissen der Oberflächen begnügt, bis er von dem, was darunter liegt, überwältigt wird. „Er“ pflegt die Menschen, die Frauen nur als Geschöpfe seiner Lust und Eitelkeit zu nehmen, die entkörnten, entseelten Leiber überläßt er bisweilen einem Freund, bisweilen der Straße, dem Wahnsinn- dem Tod. Dieser Mann „Er“ muß allmählich im Laufe seiner Abenteuer erfahren, daß er sein Leben damit vertan hat. sich elbst zu

- lieben, daß er es aber nicht einmal soweit gebracht hat, sich selbst kennenzulernen. Bis die Geister der von ihm gesclrndeten Frauen, die Stimmen der Schuld, des Gewissens, ihn überfallen und erwürgen; er stirbt im Schoß der toten Mutter.

Der Wille der Schauspieler, zu geben, und der Wille des Publikums, aufzunehmen, schufen hier jene Atmosrhäre, in der ein echtes Stüde wachsen kann. Auf dieses innere Wachsen alten und' neuen Kulturguts i m Menschen kommt es aber heute an: nur so kann das verkümmerte Organ für das Menschliche wieder Kraft gewinnen. Friedrich Heer

Im „Tbeater beim Praterstern“ gab es eine Uraufführung des Volksstücks in fürtf Akten von Harns N a d e r e r „Familie Rannsdorf“. Es ist ein Volksstück in der üblichen Art des österreichischen Volksstücks seit Raimund. Nestroy und Anzengruber; ein ernstes Thema wird, hie und da mit humoristischem Einschlag aufgelockert, in einfacher (auch öfters aufdringlicher) Problemstellung, in volkstümlidien Gedankengängen behandelt; eine starke Handlung, bühnenwirksame Szenen, handfest gebaut; es rundet sich alles, und zum Schluß eine Verlobung, nach Sturm und Gewitter, nach Jammer und Bangen hoffnungsvoller Ausblick in die Zukunft.

Es ist ein tapferes zeitgemäßes Österreicherstück. Die fünf Akte spielen im Frühjahr 1936, Jänner und März 1938, vor Weihnachten 1944 und 1945; wir sehen und hören auf der Bühne unser eigenes Schicksal, die politischen Geschehnisse und private Erlebnisse, es ist nichts Poetisches, Erfundenes, wir haben zu allen Auseinandersetzungen selbst schon einmal Stelling genommen. Es ist wohl zu denken, daß die kleine- ärmliche Bühne beim Praterstern mit diesem

Stück Volkstümlichkeit gewinnt, auf afie Fälle hat sich der Direktor (Erwin Waldmann) ein Verdienst erworben, daß er sich an das Stück wagte und es in einer guten Aufführung herauszubringen ver-

mochte. Der Autor hat an sein oft gespieltes Lueger-Draima und die vielen anderen Volksstücke, von denen einige zu Glanzstücken der Exl-Leute wurden, ein neues Bühnenstück gereiht.

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