6766614-1968_37_13.jpg
Digital In Arbeit

Theater von vorgestern, gestern und heute

19451960198020002020

Ungeheuerliches begab sich eben an unseren Grenzen, Ungeheuerliches begibt sich auch sonst täglich in der Welt, aber das Wiener Theater verharrt fast ausschließlich in Bereichen, die davon unberührt sind. In bemerkenswertem Gegensatz zur deutschen Bundesrepublik.

19451960198020002020

Ungeheuerliches begab sich eben an unseren Grenzen, Ungeheuerliches begibt sich auch sonst täglich in der Welt, aber das Wiener Theater verharrt fast ausschließlich in Bereichen, die davon unberührt sind. In bemerkenswertem Gegensatz zur deutschen Bundesrepublik.

Werbung
Werbung
Werbung

Das Burgtheater brachte die Premiere von Raimunds „Der Barometermacher auf der Zauberinsel" beü den Bregenzer Festspielen heraus. Vom Akademietheater wurde diese Aufführung mit Beginn der neuen Spielzeit übernommen. Raimunds Zauberspiele zu inszenieren bereitet den Regisseuren mitunter Schwierigkeiten. Zauberspiele in unserer Zeit! Raketen fliegen

zum Mond, im Luftweg erreichen wir in wenigen Stunden andere Kontinente, wir hören Gesprochenes, Musik auf weite Entfernung, was einst Zauberei gewesen wäre, wurde Wirklichkeit. Hat damit alles Zauberwesen an Reiz eingebüßt?

Aber vielleicht ist der Mensch unersättlich, vielleicht möchte er alle Schranken, die ihm weiterhin gesetzt sind, überwinden. Wenn der zugrundegegangene Barometermacher Bartholomäus Quecksilber in diesem Stück drei Zaubergaben erhält, die ihm zu unermeßlichem Reichtum, zu Macht und zur Möglichkeit, fliegend an jeden Ort, in jedes Gemach zu gelangen, verhelfen, so wird damit auch für uns die Erreichung des Unerreichbaren symbolisiert.

Doch ist der „Barometermacher“ nicht nur ein Zauiberstück, es ist dies auch eine Posse. Die Handlung wirkt possenhaft: Die selbstsüchtige, kalt berechnende Prinzessin Zoraide, um deren Hand Bartholomäus wirbt, entwendet ihm die Zaubergaben, doch er zwingt sie zur Rückgabe, indem er ihr mit Hilfe der Kammerzofe Linda eine häßliche lange Nase anzaubert. All die Zauberei wirkt hier überaus spaßhaft, womit der Hang des Menschen, seine Grenzen zu überwinden, letztlich als eitel dargetan wird. Wie dies erfolgt, macht den Wert des Stückes aus, es geschieht liebenswürdig, unbeschwert, heiter, gemüthaft. Steckt ein Rest Kindlichkeit in uns, wird er angesprochen.

Nun gibt es Regisseure, die dem Gemüthaften in der heutigen Zeit mißtrauen, zu ihnen gehört Axel von Ambesser. Er glaubt Raimund beispringen zu müssen, indem er diese Zauberposse als Revue aufzieht, mit billigen Effekten überlädt, so daß der Reiz des Stücks fast völlig verloren geht. Überdies wirken die meisten Bühnenbilder von Elisabeth Urban- cic knallig-kitschig, um nicht zu sagen ordinär, nur die Waldszenen erreichen Raimundschen Stimmungsgehalt. Soweit die musikalische Einrichtung von Alexander Steinbrecher die Musik von Wenzel Müller verwendet, entspricht sie dem Stück. Fritz Grieb ist ein munterer spielbesessener Barometermacher, bei Erika Pluhar bleibt das kalt Ichsüchtige der Zoraide allzu facettenarm, Helma Gautier kommt der Linda näher. Bester Vormärz ist der thaddädlhafte Beherrscher des Inselreichs von Manfred Inger. Ansprechend wirken Lotte Tobisch und Ulrike Fessel, Fritz Lehmann und Philipp Zeska in weiteren Rollen.

Was wiegt mehr in unserem Werturteil, die Leistung eines Menschen oder moralisch einwandfreis Verhalten? Gesetzt, die Leistung ist mit Schurkerei verbunden, was dann? Kann etwa ein großer Künstler für sich beanspruchen, von ethischen Bindungen frei zu sein? Ist er ein Ausnahmemensch? Nun, die Frage wirkt etwas antiquiert, sie gehört einer ungefährdeten Zeit zu, da Künstler wie Idole verehrt wurden. Bernard Shaw warf sie vor 62 Jahren in seiner Komödie „Der Arzt am

Scheideweg" auf, die derzeit im Volkstheater dargeboten wird.

Der eben geadelte, berühmte Arzt Ridgeon hat ein Heilmittel gegen Tuberkulose entdeckt, das er allein richtig einzusetzen vermag, er kann aber in seiner Klinik derzeit nur noch einen Patienten aufnehmen — wenig glaubhafte Annahme —, entweder den unbedeutenden, gewissenhaften Armenarzt Blenkinsop oder den genialischen jungen Maler Dubedat, der ein Lump und Erpresser ist. Er entscheidet sich für den Anständigen, Gewissenhaften und überantwortet den Maler einem Modearzt und damit dem Tod. Doch Shaw verschiebt den Konflikt dadurch, daß bei der Entscheidung Ridgeons der eigennützige Hintergedanke mit wirksam wird, die Frau Dubedats nach dessen Hinscheiden zu ehelichen. Das gibt der Figur zwar Farbe, beschattet aber die Stellungnahme um die es Shaw merkbar geht.

Eingebettet ist dieses Problem in eine überquellende, ebenso mokante, wie geistreiche Darstellung der menschlichen Mängel und Verbohrtheiten prominenter Ärzte. Hierbei setzt Shaw überlegen das Skalpell seines Verstandes ein. Daß sich aber vier medizinische Kapazitäten dermaßen, wie hier gezeigt wird, um den noch unberühmten Maler bemühen, ist reichlich unwahrscheinlich. Gustav Manker gelingt als Regisseur eine vorzügliche, nahtlose Aufführung. Hans Krgssnitzer ist ein Ridgeon von vornehmer Zurückhaltung, Wolfgang Hübsch ein unbekümmert amoralischer Dubedat, Helga David glaubt man als dessen Frau die leidenschaftliche Hingabe an den Todgeweihten und Regine Felden hat eine wirkungsvolle kleine Soloszene. Herbert Probst, Joseph Hendrichs, Adolf Lukan, Gustav Dieffenbacher und Ernst Meister zeichnen einprägsam verschiedene Arzttypen. Maxi Tschunko schuf die naturalistischen Bühnenbilder.

Wolfgang Hildesheimer hat vor acht Jahren in seiner Erlanger Rede über das absurde Theater erklärt, daß' absurde Stücke Parabeln des Lebens bieten, EänzelbliÄe 'auf die1 Situation des Menschen freilegen. Ein Jahr darnach gelangte sein Stück „Die Verspätung" zur Uraufführung, das nun im Kleinen Theater der Josefstadt zu sehen ist. Den Menschen, der in Selbstschätzung und dann wieder in Kleinmut dem Geheimnis seines Daseins nachjagt, stellt Hildesheimer in seltsames Zwielicht. Ein skurriler Professor glaubt im Wirtshaus eines verfallenden, aussterbenden Dorfes vom Fenster aus den Fabelvogel Guricht beobachten zu können, von dem seiner Meinung nach das Menschengeschlecht abstammt. Aber es gibt

diesen Vogel nicht, der Professor sinkt tot zusammen. Metaphern des Verfalls kontrastieren in diesem verschlüsselten Stück, kraß dargeboten oder vage angedeutet, mit Metaphern des Werdens. Unter der Regie von Friedrich Kallina gelingt Kurt Sowinetz eine meisterliche Darstellung des abstrusen Professors.

Im Anschluß an dieses Stück fand die Uraufführung des Einakters „Notizen zum Verhalten der Würmer" von dem Tiroler Heinz Zechmann statt, der in Villach lebt. Ein Ordinarius für Zoologie hat sich mitten im Wald einen Bunker angelegt, um das Verhalten der Bodenwürmer zu beobachten. Als im Radio gemeldet wird, daß der Ausbruch eines Kriegs droht, begehren ein Liebespaar und ein Pilzsammler in erbittertem Streit untereinander Aufnahme in diese Höhle, die ihnen als Atömschutzbunker dienen soll. Da sie nur für eine zusätzliche Person Luftraum bietet, tötet der Pilzsammler die beiden anderen, muß aber erkennen, daß die Radiomeldung Teil eines Hörspiels war. Diese Groteske schließt das Amüsante ebenso ein, wie das Verbrechen als Folge des menschlichen Selbsterhaltungstriebes und den Hohn darüber, daß sich die Morde in der Schlußwendung für den Mörder nutzlos erweisen. In der Aufführung, die ebenfalls von Friedrich Kallina sicher geleitet wird, bekundet Ernst Waldbrunn milde Überlegenheit im Lächerlichen.

Mit einigem Staunen liest man, daß der englische Autor Peter Shaffer das Stück „Komödie im Dunkeln" vor drei Jahren im Auftrag von Sir Laurence Olivier für das Nationaltheater schrieb, ja, daß es spater auch Zeffirelli in Rom und in Mailand inszenierte. Bei der Aufführung in den Kammerspielen erweist sich dieses Welterfolgsstück lediglich als eine Burleske ohne jeden Gehalt, die allerdings einen zunächst szenisch wirksamen Grundeinfall besitzt. Zu dem jungen Bildhauer Brindsley und seiner Braut kommen deren Vater, Nachbarn, seine Verflossene, doch es gibt Kurzschluß und — Annahme! — es ist so finster, daß sie alle hilflos herumtapsen, sich in Telephon- schnüfe verwickeln, sich aufeinander MSi&hėbėhėIharidėr setzen, was uns bei “hdllem Licht gezeigt wird. Das ist nicht mehr als ein abendlanger Klamauk, Gags am Laüfband, doch Gags leben von der Überraschung' hier aber überrascht bald nichts mehr. Spaß macht dieses Stück zweifellos vor allem den Regisseuren und — einem sehr anspruchslosen Publikum. Inszeniert von Hermann Kutscher, werfen sich Peter Vogel, Brigitte Neumeister und Marianne Chappuis, auch Albert Lieven, Kurt Heintel und die anderen sozusagen mit Bravour ins Spiel. Gottfried Neumann-Spallart stattete das Bühnenbild mit allerlei Pop-Art aus.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung