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Theaterpremieren um Ostern

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Unsere oft verlästerte Zeit ist, wie wenige, eine Zeit der Dichter: Versuchung und Verführung, die Not auszudrücken und alles das zusammenzureimen, was ungereimt ist im Lauf der Welt, im Wechsel der Jahre und des Herzens. Der Walliser Dylan Thomas, der da im November 1953 dahinstarb, ist einer der großen Dichter unserer Zeit. Pulsschlag eines stürmisch pochenden Herzens, das sich selbst vernimmt in allen „Geräuschen“ der Zeit und der Dinge: im Tropfen am Gras, im Weinen kleiner Kinder und alter Männer. „Deaths and Entrances“, englisch und deutsch in einer zweisprachigen Ausgabe erschienen, sollte jeder einmal aufzunehmen (nämlich zu hören, lesen läßt es sich nicht) versuchen, der die große Melodie unserer Zeit vernehmen will. Dylan Thomas, der Dichter, der Lyriker, singt. Sein einziges „Stück“, wenn wir das so nennen wollen, ist ein Hör-Spiel „linder Milk Wood“, jetzt im Volkstheater in einer sehr schönen Aufführung, in der Nachdichtung von Erich Fried herausgebracht. Das ist eine Tat, das ist eine Leistung! Nicht einfach wegen der sechzig und mehr Schauspieler, die da aufgeboten werden, wegen der überaus sorgfältigen Regie Mankers, dem Bühnenbild Heyducks, der Unsumme von Arbeit, die in dieser Aufführung investiert ist. Das beglückende Wagnis besteht einfach darin: daß hieT gewagt wird, mitten ins verdutzte Gesicht des Publikums hinein, das Dichtung und große Kunst erst immer vierzig Jahre nachher versteht (genau so hat es Gertrude Stein, die große Erzieherin und Er-weckerin Ezra Pounds, und James Joyce in Paris einst gesagt) — siehe heute den Van-Gogh-Massen-besuch im Belvedere —, Dichtung erscheinen zu lassen. Schönheit erscheint. Kunst ist da. Der eine vernimmt sie, der andere wird sie vielleicht später einmal vernehmen. Die Organe für sie, für die Erscheinung des Schönen, das Phänomen, gind zu erziehen, zu entwickeln. Eben diese Aufgabe, hat das Volkstheater in seinem Sonderzyklus unternommen. „Unter dem Milchwald“: hier geschieht gar nichts, außer dem Leben, besungen in einem hohen Lob der kleinen Dinge, die Gott preisen. Zwei Pole halten' den großen Lobgesang zusammen, sie stehen steh auch bildmäßig gegenüber in der eindrucksamen Aufführung: Kapitän Gat (Otto Woegerer) und der Pfarrer Eli Jenkins (Karl Skraup). — Ein Sprecher, der an „Die kleine Stadt“ Thornton Wilders erinnert, spricht verbindende Worte (Heinrich Trimbur). So verrauscht die, Zeit,. ein Tag, in dem alle Ewigkeit dieser vergänglichen Erde ist.

Im A k a d e m i e t h e a t e r feiert Rosa Albach-Retty • einen währen Triumph. John Patrick, der Mm rkr ?,onderbafe*VDaT#.'l*atiMriBiWien'**B reits mehrfach davon üb#ÜgW!ÄH5 fUSScfcnfdifbift*? Erfolg versteht, Bombenrollen in Stücken, die jeden irgendwie ansprechen, mit Gefühl, Sentimentalität und einem Gran Menschlichkeit zu erfüllen. So im „Heißen Herz“, im „Kleinen Teehaus“ und nun in dieser „Sonderbaren Dame“, die gar nicht sonderbar, sondern mir sehr menschlich, klug und gütig ist. Etwas bösartige Stiefkinder bringen, in Amerika, ihre Stiefmutter, die Alleinerbin eines großen Vermögens, in einem Privatpflegeheim für leicht gestörte, geistig nicht ganz normale Menschen unter. Aus dem Zusammenspiel der überaus liebenswerten Nicht-ganz-Normalen mit den weit weniger liebenswerten Normalen, denen Phantasie, Herzkraft, Geist, Liebe fehlen, ergeben sich die Situationen, laufen, spinnen sich ab wie Fäden von einem bunten Knäuel, der so am Boden dahinrollt. Rosa Albach-Retty als sonderbare Dame ist die Verkörperung der Jugend: der Kunst ewiger Jugend, aus der Kraft einer unerschöpflichen Substanz. Bewunderungswert, und hier repräsentativ für eine ältere Generation, ist diese Bewahrung: die Wahrung von soviel Lebenskraft, Bejahung des ganzen Lebens, durch soviel Katastrophen hindurch. Von da gesehen, gewinnt diese Rolle eine ganz eigenartige, auch sehr österreichische Bedeutung. — Das Ensemble um die sonderbare Dame ist überaus glücklich zusammengestellt, Farben in Rosarot, Grau-GoH und vergilbtem Grün: Inge Könradi, Vera Balser-Eberle, Judith Holzmeister, Josef Meinrad und Alexander Trojan. Glücksmann führt Regie. — Das Publikum läßt sich beglückt verführen.

Eigentlich hätte es der Tragödie erster und zweiter Teil werden sollen — an zwei aufeinanderfolgenden Abenden; nun ist es nach zahlreichen Aufschüben ein Abend geworden, viereinhalbstündig, mit Faust I und sehr gemischten Gefühlen. In der Titelrolle sehen wir Herrn Albin Skoda. Ein Zweifelnder, ein Suchender, Besessener, ein Liebender, sich Verzehrender, Beschwörender — so steht es im Textbuch geschrieben, so wird es ohne Mäkel dargestellt. Indes der Geist des Dämons, der da waltet, die Glut, das Feuer, die ganz abgründige Tiefe dieser geprüften Alchimistenseele bleibt für diesmal im Dichterbuch mit sieben Siegeln. Herr Skoda verkörpert weniger den Faust von Goethe als einen rhetorischen Faust des Burgtheaters: das Wort ist willig, der Geist verhüllt.

In Frau Martha Wallner kündet sich eine neue Tragödin an. Ihr Gretchen ist eine schöne, gute Leistung. Sie nützt des Werkes dramatischeren und für das Theaterpublikum ergiebigeren Teil mit aller eindrucksvollen Kraft einer abgerundeten, wohlgeratenen Gestaltung. Frau Wallner versteht des Gretchens kettsche Mädchenseele von den vor lauter Bühnen-tschuld zitternden verniedlichten Idealgeschöpfen wegzuführen; sie führt infolgedessen mühelos zur echten Tragik und Verzweiflung, zu Schuld und Pein und Sühne. In der Wahnsirinsszene bleiben Wünsche offen. Viktor de Kowa als Mephisto: jedes Wort, jede Pause ist Pointe. Ein Mephisto der affektierten, der launigen, der persiflierenden Geste, ■ belastet durch sprachliche Unzulänglichkeiten. Ein schelmischer, intellektueller, modischer, trivialer Teufel in einer ausgeklügelten, doch unzureichenden Manier. Dagny Servaes ist ausgezeichnet als Marthe Schwerdtlein, Erich Auer ein liebenswürdiger Schüler, Josef Meinrad in der Rolle Wagners.

Die Inszenierung (Bühnerbilder: Robert Kautsky, Kostüme: Elli Rolf) trägt alle Merkmale der von Professor Adolf Rott kaum mehr wegzudenkenden Projektionen, Licht- und Reflexeffekte: Bühnenzauber, maschinelle Monstertransparenz, überaus gefällig, allegorisch, sinnesfreudig. Die Straßenbilder geraten malerisch und optisch eindrucksvoll. Als wesentlicher Bestandteil der Visionsmaschinerie fungiert ein Schleiervorhang, über den beständig geisterhafte Wolkenfetzen, Nebelschwaden, Stürme, Feuerscheine stieben. Dahinter geht es in Stil und Stoffgestaltung uneinheitlich zu. In der Selbstmordszene ist der Chor der Engel spartanisch weggestrichen, beim Osterspaziergang fiel das Volk einer recht eigenwilligen Schlichtheit zum Opfer. Dafür wuchert in der Walpurgisnacht ein furioser Hexenkessel orthodoxer Hokuspokusmacherei. Als biedere Musikkulisse dienen stilwidrige „Sphärenklänge“, zu einem Teil Musique concrete, zum anderen Präludieren eines nicht sehr einfallsreichen Dorforganisten.

„Es regnet in mein Haus“ von Paul Willems im ..Kleinen Theater der Josefstadt im Konzerthaus“: Da ist ein Dichter, der seine Stücke so schreibt, wie ein anderer Blumen züchtet. Derbstielige, stramme, fettblätterige Blumen in absonderlichen Farben, die von Spinnweben und den (vielleicht künstlichen) Fäden des Hochsommers umgarnt sind, und die man am besten des Morgens betrachtet, wenn Tau auf ihnen liegt(der mit einem Flüssigkeitszerstäuber appliziert sein mag). Dazu die Würze eines nahen Waldes mit Moos und Farnen und mit alten Bäumen. Und ein kauziger, versponnener, schöngeistiger und sehr bewußt intellektueller Humor. Paul Willems produziert einen anmutigen, stillen Hauch der Lyrik von nicht ganz so schlichter Denkungsart, wie er es uns glauben machen möchte; eine zauberhafte, märchenhafte Ab-gekehrtheit, die einem feinfühlenden Geist der Weltfremdheit, der Bonhomie, der Phantasterei entspringt, aber auch einem ebenso großen Quantum an Genever. Seine Figuren sind freundlich, weise, schalkhaft, mit den Geistern wie mit der Natur vertraut; halb Feen und Trolle, halb Vegetarier — mysteriöse, spinöse Geschöpfe aus Poesie und Fabeln und guter, echter flämischer Tinte. Und ihre Welt und ihr Haus, in das es regnet (ohne daß sie etwas dabei fänden), sind träumerische Gaukeleien und Reflexe, Widerschein und Abglanz eines Garten Edens mit skurrilen Bücherwürmern. In Hermann Kutschers Inszenierung gewinnen Land und Leute eine wohlgeratene, anheimelnde Atmosphäre, ein liebenswürdiges Milieu zum Schmunzeln: eine subtile, augenzwinkernde Unterhaltung! In den Hauptrollen: Franz M e ß n e r, Gerlinde Locker, Elisabeth Stemberger, Karl Ehmann, Michael Heitau, Klaus Löwitsch, Melanie Hore-schovsky. Bühnenbilder: Fred Weiner. Kostüme: Inge Fiedler.

„This Property is Condemned“ und „2 7 Wagons Füll of Cotton“ von Tennessee Williams im „Experiment“: Zwei Einakter von starker Wirkung; ein poetisches, mit realistischen Farben durchleuchtetes Theaterfragment, schwebend, ohne Anfang, ohne Ende, in eine ferne, triste Sehnsucht entweichend das eine, drastisch, ein packender, harter Ausschnitt aus dem Leben der Sinne und der Unrast das andere — beide episch-dramatische Meisterwerkchen eines großen Theaterdichters. Im ersten Teil gab es unter der Regie von Niels Kopf eine verblüffende Talentprobe der ganz offensichtlich aussichtsreichen Debütantin Eva S a n t i, im , zweiten ein unzureichendes, ungelenkes, nur auf “äußerliche Wirkung angelegtes Spiel begabter Dilettanten.

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