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Theatralisches Spektrum

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Was ist Wahnsinn? Was ist Wirklichkeit? Diese Frage mußte Piran-dello um so mehr bewegen als er, in peinvollem Zusammenleben mit seiner am Rand des Irrsinns vegetierenden Frau, sich mit ihren Wahnvorstellungen ständig auseinanderzusetzen gezwungen sah. In dem Stück „Heinrich IV.“, das derzeit im Burgtheater aufgeführt wird, fand dieses Erlebnis seine szenische Umsetzung.

In einem reichen Adeligen, der Titelfigur, werden drei Bewußtseins-zustände der Fiktion, „Heinrich IV.“

Zeichnung: Susanne Thaler zu sein, zum Teil rückblickend, aufgezeigt: als bewußtes Spiel bei einer Maskerade in der Tracht des Canossa-Kaisers; als Wahn des Gei-stesumnachteten nach einem Sturz vom Pferd, den ein Nebenbuhler um die Gunst einer Marchesa verursachte; als Festhalten an diesem Gehaben, nachdem der Wahn gewichen war, bis der nunmehr nur vermeintlich Irrsinnige die Verstellung selbst aufgibt. Rückwendung: Der Genesene tötet seinen ehemaligen Nebenbuhler und flüchtet wieder in die Rolle des Wahnsinnigen. Pi-randelio wollte damit der Maske des Wahns die lügnerische Maske der angeblich Maskenlosen entgegenstellen, aber er deutet das gerade nur an. Was die Szene beherrscht, ist dialektisch durchgearbeitetes psychologisches Theater, um nicht zu sagen psychiatrisches. Wir befinden uns in klinischer Atmosphäre. Pirandello sah die Aufgabe des Dramatikers darin, zum Herzen der Menschen zu sprechen. Das ist hier nicht der Fall.

Eben das Ineinander des dialektisch Dialogischen arbeitete Kurt Meisel als Regisseur gut heraus. Boy Gobert bietet in der Titelrolle in hektischer Beweglichkeit den vorgetäuschten Wahnsinn, eine treffliche Leistung. Susi Nicoletti als mondän-zwielichtige Marchesa,

Achim Benning als zum Dozieren neigender Psychiater, Edd Stavjanik als präpotenter Nebenbuhler bieten ebenfalls starke schauspielerische Eindrücke. Die Innenräume, die der Bühnenbildner Lois Egg schuf, haben das Düstere, das manche italienische Palazzi kennzeichnet.

In ähnlicher Art wie die Shaw-Briefe an die Schauspielerin Stella Patrick-Campbell für eine genähert bühnenmäßige Darbietung adaptiert wurden, hat Loelc Huisman unter dem Titel „Johann Wolfgang“ zu gleichem Zweck Briefe und Schriften um und von dem jungen Goethe zusammengestellt. Beginnend mit der Geburt Goethes in der Erzählung seiner Mutter reicht diese Dokumentation bis zur Beziehung zu Charlotte von Stein. Die Gefühlskultur einer versunkenen Zeit ersteht lebendig als ein Gegensatz zu der unseren, die geistige Problematik kommt in der Auswahl etwas zu kurz. Im Akademietheater gaben, in modernen Kleidern, Helene Thimig der Frau Rat Abgeklärtheit und Impulsivität, Johanna Matz den sonstigen Frauengestalten Sanftheit, Michael Heitau dem jungen Goethe Leidenschaft.

Christopher Fry ist Quäker. Er verweigerte im zweiten Weltkrieg den Waffendienst und mußte vier Jahre lang in einer Pionierkompanie ohne Waffen Bombenschäden beseitigen. Aus dieser Einstellung heraus entstand das Stück „Das Dunkel ist licht genug“, das vor elf Jahren im Burgtheater gespielt wurde und nun im Theater in der Josef Stadt zu sehen ist.

Der Engländer Fry siedelte sein Schauspiel in der österreichischen Geschichte an. Es spielt während der Aufstände in den Jahren 1848/49 an der ungarischen Grenze auf dem Schloß der österreichischen Gräfin Rosmarin Ostenburg. Als die Ungarn ihr Schloß besetzen, gibt sie einem Deserteur der Aufständischen, dem ersten Gatten ihrer Tochter, Unterschlupf, als die Österreicher siegreich vordringen, schützt sie den gefährdeten ungarischen Oberst. Sie setzt sich für jedwedes Leben ein, denn auf der Erde gebe es nichts, das nicht auch im eigenen Herzen vor sich geht. Das scheint nicht nur von den Quäkern, sondern auch von Albert Schweitzers Ehrfurcht vor dem Leben herzukommen.

Aber Fry macht es sich leicht, er deutet die gegensätzlichen Motive, die zu den Kämpfen führen, kaum an, bei den Kriegshandlungen hat man den Eindruck von chevaleresken Spielen. Da ist es für die Gräfin nicht schwer zu erklären, wir sollten alle einmal die Plätze wechseln. Es müßten in scharfer Spannung gegen-sätziiche politische Notwendigkeiten, härteste Kriegsmaßnahmen vorgeführt werden. Da dies nicht der Fall ist, verflüchtigt sich Frys löbliche Gesinnung im lauen Klima des Erbaulichen. Die Gräfin stirbt an Aufregungen, statt tragisch zu enden (siehe die beiden Alten in Ahlsens „Philemon und Baukis“). Das Stück lahmt. Vilma Degischer, vorzüglich in bürgerlichen Rollen von heute, versucht der Gräfin allein mit Liebenswürdigkeit beizukommen, das freilich ist zuwenig. Dem Deserteur, einem Bündel disparater Eigenschaften, gibt Karl-Heinz Martell scharfkantiges Profil. Die Regie von Erik Frey — er verkörpert zugleich den martialischen ungarischen Oberst — wirkt spannungslos.

Im Volkstheater gab es ein Gastspiel des Preßburger Slowakischen Nationaltheaters, das schon vordem am Weghuberpark zwei Inszenierungen von sehr beachtlicher Qualität gezeigt hatte. Diesmal wurde das Lustspiel eines slowakischen Autors aus dem vorigen Jahrhundert wiedergegeben, „Najduch“ („Der Findling“) von JonäS Zäborsky. Es zeigt die Verkommenheit der feudalen slowakischen Gesellschaft im Vormärz: Geldgier, Niedertracht, Schiebungen bei der Stellenbesetzung. Die Aufführung unter der Regie von Karel L. Zachar erwies besonderes Spieltemperament der Darsteller. Die bemerkenswerten Bühnenbilder von Pavel M. Gabor vermieden jedweden Naturalismus, der nur unangenehm wirken könnte: An einer gekrümmten weißen Hintergrundwand wurden die Schauplätze gerade nur angedeutet.

In den Kammerspielen gab es die Uraufführung eines Lustspiels „Johanna geht...“, das Ernst Waldbrunn mit dem „SimpP'-Autor Hugo Wiener schrieb. Das allenfalls brauchbare Schwankmotiv, ein Zoologe, der, in ein junges, zum Theater strebendes Mädchen verliebt, den Schauspiellehrer spielt und deshalb selbst Schauspielunterricht nimmt, würde weitere Einfälle erfordern, um über sich selbst hinausgetrieben und dadurch gesteigert zu werden. Statt dessen sinkt das Stück ins Sentimentale ab. Wirksame Rollen, witzige Pointen mit lokalem Bezug sind die Vorzüge. Anschließend wird das nach wie vor ansprechende Lustspiel „Das Veilchen“ von Franz Molnär dargeboten. Ernst Waldbrunn in beiden männlichen Hauptrollen, Lotte Lang im ersten Stück, Elfriede Ott im zweiten, und die anderen Mitwirkenden bedingen den starken Publikumserfolg.

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