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Thesen zum Kirchenbau heute

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• Es gibt gewisse Dnge, die hier nicht in Frage zu stellen sind:

Daß es die Kirche gibt, und ihr Wesen von Christus, im weiteren von der Theologie bestimmt ist.

Daß wir der Kirche angehören.

Daß die Kirche allen Menschen zu dienen hat.

Daß die Kirohe sich in Gemeinden verwirklicht.

• Was hier nicht mehr außer Frage steht, sind die Formen des Lebens und der Tätigkeit der Kirche. Sie müßten nicht nur für den Priester, auch für den Architekten ein Problem sein, sonst wird dieser zum „Behübscher“ unbefragter Konzepte. Ein Fortschritt ist heute nicht im Baustil, sondern im Konzept, in der Programmerstellung zu suchen. Im Zeitalter der Demokratie sind die Konzepte im Prinzip von der Gemeinde, im besonderen von den Priestern, „Kirchenräten“, Fachleuten (Soziologen ...) und auch Architekten zu erstellen.

• Für ihr Leben benötigt die Kirche Bauten; das wäre „Kirchenbau“ im umfassenden Sin. Eine lokale ■Verwirklichung der Kirche, die Gemeinde, benötigt Bauten (Gemeindezentren oder anderes). Der Bau für die Feier des 'Gemeinschaftsmahles, die sogenannte „Kirche“, ist war ein Teil davon.

• Die Bauten für die Gemeinde haben mit vielen Dingen zu tun, die man laicht vergißt, wenn man konkret zu bauen hat. Die Situation der Kirche ist eingebettet in die allgemeine geistige und gesellschaftliche Situation.

Diese ist gekennzeichnet durch Ereignisse, Erkenntnisse und Tendenzen. Daau gehören Kriege, die Realität der Atombomben und die Möglichkeit der Selbstzerstörung der Menschheit, Bevölkerungszunahme. Neue Erkenntnisse in allen Wissenschaften (leider heute noch stark beschränkt auf die Naturwissenschaften). Neue Erkenntnisse und Erfahrungen der „modernen Kunst“. Tendenzen, vom Menschen ausgelöst, aber nicht mehr völlig unter seiner Kontrolle: Technik, Industrialisierung, Automation, Nachrichtenübermittlung, Weltraumfahrt. Verstädterung und damit in Zusam-menhang Freiheit der Wahl von Arbeitsplatz, Wohnort, Lebensformen, Bekanntenkreis, Freizeit. Von der geschlossenen zur offenen Gesellschaft. Vom Statischen zum Dynamischen in vielen Beziehungen.

Streben nach höherem Lebensstandard, Wertpluralismus, zunehmende Ausprägung gesellschaftlicher Züge und zugleich individualistischer Züge. Interesse an Konsum, Mode, Auto, Stars, Sex. Aber nur für einen kleineren Teil der Menschheit, der größere hungert und ist krank. Die Tatsache, daß heute erst 40 Prozent der Menschen gut leben können, wird uns immer mehr bewußt und wird zu einem Maßstab unseres Lebens, unserer Arbeit.

• Der „Kirchenbau“ ist nur eine Aufgabe neben anderen. Es gibt noch Städtebau, Wohnbau, Krankenhaus -bau, Industriebau, Schulbau und vieles.

• Der Begriff des „Sakralen“ kann für den Kirchenbau heute kein Ausgangspunkt mehr sein. Die sitim-mungsmäßigen Elemente im Bauen sind sehr kritisch zu überprüfen. Das Wissen um Gott kann sich nur im Wort, nicht im Stein realisieren. Man kann aus den Bauten fremder Völker nur sehr beschränkte, ungenaue Auskunft über ihre Religion erhalten.

• Die Zeichen der Technik sind an Größe nicht zu^ überbieten. Die Kirche soll keine neuen Kathedralen bauen. Es hat keinen Sinn, die Bauten der Gemeinde als Zeichen oder als Symbol aufzufassen. Kein Zeichen aus Stein kann den modernen Menschen (im besten Sinn) überzeugen.

• In einem Augenblick, in dem die Kunst die toten Formen ausschaltet — der behauene Stein, die mit Farbe bemalte Leinwand — und durch dynamische Strukturen, Vorgänge ersetzt (happenings), kann nicht die Gemeinde ihre Zeichen aus Stein oder Stahl in der Stadt, in der Landschaft aufrichten. Es sollten endlich auch gewisse Architekten verstehen, daß das Christentum keine mythologische Religion ist.

• „Kirche als Zeichen“ heute: das ist die lebendige Gemeinde.

• Es ist aber auch ein Anliegen des Architekten, sich der legitimen gefühlsmäßigen Bedürfnisse der Menschen anzunehmen.

• Es muß nicht immer ein vollständiges „Gemeindezentrum“ gebaut werden. Es kann nicht immer nur eine „Kirche“ gebaut werden. Es gibt auch Situationen, wo der Bau eines Kindergartens oder eines Fußballplatzes, eines Spitals noch wichtiger sind als eine „Kirche“.

• Die hohen Geschwindigkeiten unserer Autos, Flugzeuge, Raketen und die Weltraumfahrt haben unser Bewußtsein (Gefühl) für Raum und Zeit grundlegend verändert, auch wenn das noch vielen unbewußt ist. Der Kirchturm heute kann nicht mehr „nach oben“ zeigen, der hohe Kirchturm hat für uns nicht mehr die alte Symbolkraft.

An die Stelle äußerer Demonstration muß der innere Vollzug treten.

• Die Aufgabe, in Afrika, Asien, Südamerika Kirchen zu bauen, wird immer mehr auch an uns herangetragen werden. Justus Dahinden hat neuerdings wieder über den „Missionskirchenbau“ ein überflüssiges Buch geschrieben. Es gibt keine Missionsländer oder: überall sind Missionsländer (Österreich, Schweden, Europa ...). Es gibt also auch keinen speziellen Missionskirchenbau.

Die Neger sind klüger als Herr Dahinden. Für die Neger muß man und kann man am fortschrittlichsten bauen, nicht „primitiv“ („Lehmhütten“).

• Es wird viel und zu Recht von den kleinen Gemeinden gesprochen. Die Gefahren eines Ghettos oder einer Sekte sind dabei gegeben. Die kleine Gemeinde sollte nicht ohne deutliche Begründung angestrebt werden.

• Eine Tendenz vom Statischen zum Dynamischen, von der Ruhe zur Bewegung. Das Dynamische in der Architektur hat nicht mit bewegten Formen zu tun; im Gegenteil. Im Raum der Liturgie ist auch echte Bewegung, das heißt Lageveränderung des Priesters und der Gemeinde möglieh. Durch die große Zahl werden diese Möglichkeiten scheinbar eingeschränkt.

• Die sogenannten „Funktionsorte“ der Liturgie, wie Tisch des Mahles, Tisch des Wortes, Priestersitze (Sakrament, Taufe und Buße), sollten entweder improvisiert werden (Messe in einem Saal, in einer Fabrikshalle) oder fixiert werden, wenn man überhaupt „Kirchen“ baut. Fixierung heißt, daß diese Funktionsorte Beziehungen zum Raum haben, die stimmen und die nicht beliebig verändert sind.

• In der Betonung der Aktion, der tätigen Mitfeier der Messe darf die Meditation nicht in Vergessenheit geraten. Die Meditation ist die einzige Verbindung zu manchen niehtchrist-lichen Religionen.

Die Offenheit der Kirche und auch des Kirchenbaues muß so sein, daß Außenstehende nicht durch Äußerlichkeiten abgestoßen werden und daß es ihnen möglich ist, ohne Ärgernis an einer Messe teilzunehmen (nach Paulus ist nur das Kreuz Ärgernis).

• Die raschen Veränderungen der Stadt, aber auch ländlicher Gemeinden mit Industrie, erfordern umfangreiche Vorstudien über Situ-ierung, Größe und spezielle Aufgabe eines Gemeindezentrums, einer Kirche. Oft ist rasche Präsenz der Kirche in einem Gebiet notwendig. Die Möglichkeiten beweglicher, vorläufiger Kirchen muß weitergedacht werden. Das Bedürfnis vieler, die Kirche als etwas Festes, mit der Erde Verbundenes sehen zu können, wird durch ein neues Bewußtsein abgelöst werden.

Eine vom Pfarrer und Architekt geplante Kirche setzt sich oft als Fremdkörper in eine Umgebung. Besser ist es, wenn die Gemeinde selbst sich in der provisorischen Kirche bildet und den Bau der fixen Kirche als ihr eigenes Anliegen sieht. Die Mobilität der Gesellschaft wird noch zunehmen und wird die Bauten stärker als bisher prägen.

• Licht im Kirchenbau sollte nicht stimmungsmäßig verwendet werden. Licht im Kirchenbau soll aktivieren, die Teilnahme am Geschehen der Messe fördern. Licht im Bauen ist aber auch stark bildhaft, kann Zustände, Situationen darstellen (die Auferstehung, das himmlische Jerusalem). Das ist aber nicht literarisch gemeint.

• Die Rolle des Bildhauers und Malers kann nicht allgemein festgelegt werden. Bei ihrer Mitarbeit müssen sie vom Anfang an, das heißt von der Erarbeitung des Konzeptes an, dabei sein, und ihre Tätigkeit darf nicht etwa in oder neben dem Bau sein, sondern muß sich vollständig (soweit das möglich ist) in das gesamte Konzept integrieren.

• Es gibt kein Material, das für eine Kirche prinzipiell ungeeignet wäre. Es gibt keine Konstruktion, die für eine Kirche prinzipiell ungeeignet wäre. Es gibt Konzepte, die für eine Kirche heute prinzipiell ungeeignet sind. Jedenfalls genügt zum Bau einer Kirche in unserer Zeit kein formales Konzept. Es gibt heute kein formales Konzept. Es gibt heute kein Monument, kein Denkmal mehr. Die Kirche als Monument: Grabmal für den toten Gott.

Es gibt heute keinen Stil, keine fertigen Lösungen, keine Rezepte. Deshalb brauchen wir Experimente. Aber keine verantwortungslosen, formalen Experimente, sondern Grundsätzlicheres.

Es gibt heute kein isoliertes „Haus“ mehr; auch keine isolierte „Kirche“; Alle Bauten sind Teile der einen Struktur der Stadt.

Es gibt keine starren Kompositionen der Vergangenheit mehr, das heißt, es dürfte sie heute nicht mehr geben. Wir brauchen flexible, erweiterungsfähige, veränderbare Strukturen.

• Wichtige Feststellungen zum Bauen.

Das Wichtigste beim Bauen für die Gemeinde ist: immer mit der grundsätzlichen Frage zu beiginnen, wie die Gemeinde leben kann, leben soll, welche Aktivitäten säe hat. Dann erst, weiche baulichen Maßnahmen dazu notwendig sind. Wie gebaut werden muß, damit Veränderungen des Lebens der Gemeinde durch das Bauen erleichtert und nicht erschwert werden. Das Leben der Gemeinden und damit auch die Bauten könnten mit Phantasie und Experiment reicher, vielfältiger sein. „Gemeindezentrum“ ist nur eine Möglichkeit. Beim Bauen für die Feier der Liturgie (dem eigentlichen Kirchenbau) gilt ähnliches. Niemals ist von architektonischen Vorurteilen oder Formen auszugehen. Entscheidend ist die Richtigkeit des liturgischen Konzeptes und dessen räumliche Entspannung.

Der Ernst der Situation verlangt, daß wir offen reden und direkt, und nicht in Fremdwörtern.

• In der extremen Situation des Christemitoms in der heutigen Zeit, bei einem abnehmenden Verständnis für die Transzendenz, für geschichtliche Offenbarung, für Religion, für Kirche als Institution, und erst für Kirche als corpus christi... werden nur eindeutige Haltungen Chance auf Überleben, auf Verbreitung haben.

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