Thomas Bernhard: „Wer groß ist, muss auch klein sein dürfen“
Am 9. Februar hätte Thomas Bernhard seinen 90. Geburtstag gefeiert. Dies nimmt der Suhrkamp-Verlag zum Anlass, zwei sehr unterschiedliche Biografien des Autors herauszubringen.
Am 9. Februar hätte Thomas Bernhard seinen 90. Geburtstag gefeiert. Dies nimmt der Suhrkamp-Verlag zum Anlass, zwei sehr unterschiedliche Biografien des Autors herauszubringen.
In der Mitte des Buches kommt Peter Fabjan, der Halbbruder von Thomas Bernhard, vor. Nicolas Mahler, der noch nie Hemmungen hatte, große Literatur von Joyce bis Proust ins Comic-Format zu zwingen, zeichnet in seiner jüngsten Veröffentlichung das Leben Bernhards auf. Er hält sich eng an die Überlieferung, klebt faktentreu an den einzelnen Stationen, führt eine stattliche Liste von Sekundärliteratur an, woraus er seine Informationen bezogen hat. Fehler lassen sich keine nachweisen. Dennoch geht es nicht mit rechten Dingen zu. Wie denn auch, ist Mahler für den bloßen Abbild- und Wiedergaberealismus nicht zu haben.
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Die wissenschaftliche Beschäftigung mit Bernhard ist die seriöse, klinisch reine Auseinandersetzung mit einem Werk, das vom Leben nicht zu trennen ist. Mahler ist für die weniger seriöse, weil künstlerische Bearbeitung dieses unangepassten Lebens zuständig. Nicht, dass er deswegen fahrlässig mit Fakten verfahren würde, aber er nimmt sie zum Anlass, sein eigenes Ding zu machen. Nicht die schlechteste Methode, als Schwindelmeister auf einen notorischen Übertreibungskünstler zuzugehen.
Ironische Typisierungen
Worin aber besteht der Schwindel des Herrn Mahler? Aus Bernhard und den Menschen aus seinem näheren Umfeld macht er Männchen mit wenigen Eigenschaften. Bernhard mit raumgreifender Nase, nach hinten gewellter Frisur, gern im Salzkammergut-Look, sein Verleger Siegfried Unseld massig, hauptsächlich Körper, das sind Typisierungen, die mit den Mitteln des Witzes einen Charakter vorzeigen: Unseld ein erratischer Block, Bernhard ein Sturschädel, der Nähe nicht zulässt, deshalb stets viel Luft zwischen ihm und den anderen. Selbst zwischen ihm und Hedwig Stavianicek, die er als seinen Lebensmenschen bezeichnet hat, bleibt der Abstand gewahrt, wenn sie beide auf einer Bank sitzen. Immerhin reicht er ihr eine Blume, das Zeichen höchster Zuneigung, das Mahler dem ewigen Miesepeter zugesteht. Auf der gegenüberliegenden Seite die gleiche Bank, ein Platz bleibt leer, der Lebensmensch ist gestorben. Das Fenster im Hintergrund bilden zwei schwarze Flächen, der Laden ist geschlossen, wo vorher noch ein Blick nach draußen eine andere Wirklichkeit als ein verfinstertes Innenleben bot. Dazu ein Zitat aus „Alte Meister“: „Wenn Sie den nächsten Menschen verloren haben, ist Ihnen alles leer, Sie können hineinschauen, wo Sie wollen, alles ist leer und Sie schauen und schauen und Sie sehen, alles ist wirklich leer, und zwar für immer, so Reger.“
Mahler spielt mit den gängigen Finsterling-Konstanten, die den Herrn über die Düsternis der österreichischen Wirklichkeit ausmachen. Die Scherzhauserfeldsiedlung in Salzburg? Ein „Schreckensviertel“. Die Lungenheilanstalt Grafenhof? Ein „Schreckensort“. Die Vorstellungswelt Bernhards wird übernommen. Dabei bleibt es nicht, weil Mahler selbst über ausreichend ironisches Potenzial verfügt, um die ironischen Qualitäten Bernhards ausfindig zu machen und ihm mit gleichen Mitteln zu kontern. In dieser gezeichneten Biografie geht es weniger weltabweisend zu wie bei Bernhard, dafür umso witziger. Den Wut- und Brandreden mit all ihrer innewohnenden zerstörerischen Energie wird das Pathos genommen, das Bernhard nicht ganz fremd war. Und das ist gut so, dem Nachplapper- Effekt, dem so viele in ihrer Euphorie für den „bösen“ Bernhard aufsitzen, erliegt Mahler nicht. Seine biografische Vermessung besteht in einem Abstandnehmen von den Vorgaben des ohne Zweifel von ihm Geschätzten und Bewunderten.
Der Todesvogel als Begleiter
Vorsätzlich ironischer Schwindel ist dieser Band auch deshalb, weil Mahler ausgesprochen großzügig mit den literarischen Stationen verfährt. Er pickt sich jene Bücher aus dem Gesamtwerk, die sich gut als Skandal ins Bild setzen lassen, „Holzfällen“ und „Heldenplatz“ insbesondere. Ein schöner Schwindel ist das allemal. Peter Fabjan kommt ins Spiel, als der Todesvogel zum alltäglichen Begleiter wird, nachdem die Diagnose einen Tumor ausweist, an dem Bernhard lebenslang leidet. Fabjan, als Arzt eine Vertrauensperson, dazu: „Er war […] ein Mensch, der seinen Tod eigentlich immer absehen hat können. Er hat nie gewusst, leb’ ich nächstes Jahr noch oder halt’ ich noch ein Jahr durch, halt’ ich noch zwei Jahre durch.“
Mahler spielt mit den gängigen Finsterling-Konstanten, die den Herrn über die Düsternis der österreichischen Wirklichkeit ausmachen.
Peter Fabjan hat sich im Abstand von mehr als drei Jahrzehnten dazu durchgerungen, seine Erinnerungen an den Wilden, als der Bernhard so gern gesehen wird, aufzuschreiben. Er holt noch viel weiter aus, erzählt Familiengeschichte beginnend bei den Großeltern. Harmonische Beziehungen sehen anders aus, und Fabjan ist anzurechnen, dass er nicht als Mitglied des Thomas-Bernhard-Verschönerungsvereins in Erscheinung tritt. Als Arzt unterschlägt er die Krankengeschichten, die seinen Bruder dauerhaft quälen, und nicht die Leiden, die dieser anderen zufügt. In seiner emotionalen Unberechenbarkeit war Bernhard ein Verletzungs-Gigant.
In seinen persönlichen Aufzeichnungen, die Fabjan am Schluss in Auszügen bereitstellt, kommt der Verfasser selbst in seiner ambivalenten Verfassung, schwankend zwischen Zuneigung und Überforderung, zum Vorschein. Er zitiert Bernhard in Phasen seelischer Zerrüttung und zeigt sich selbst in Momenten des Überdrusses. „Ich fühle mich von Thomas schon wieder ganz vereinnahmt“, notiert er im Mai 1981. Oder im Dezember 1986: „Wenn Thomas nicht mehr lebt, werde ich meine Zuneigung viel stärker empfinden, als er es mir heute erlaubt.“ Als er es erlaubt… Damit sind die Verhältnisse geklärt. Thomas Bernhard ließ Nähe kaum zu, und Zuneigung hing davon ab, wieviel er gestattete. Eine einseitige Angelegenheit. Dank seiner literarischen Erfolge hatte er sich eine unangreifbare Ausnahmeposition erarbeitet, die ihm Dominanz zugestand und die er nie infrage stellte.
Thomas Bernhard
Geboren 1931 in den Niederlanden, gestorben 1989 in Gmunden, zählt Bernhard zu den bedeutendsten österreichischen Schriftstellern.
Geboren 1931 in den Niederlanden, gestorben 1989 in Gmunden, zählt Bernhard zu den bedeutendsten österreichischen Schriftstellern.
Er, der abhängig war von den anderen, von Verlegern ebenso wie vom Bruder als medizinischem Beistand, spielte Überlegenheit aus. Beziehungen auf Augenhöhe kamen nicht vor. Im Mai 1988 fiel ein Satz, der seine Unleidlichkeit rechtfertigen sollte: „Wer groß ist, muss auch klein sein dürfen.“ Nein, von einem angenehmen Menschen ist in diesem Buch nicht die Rede. Dabei bemüht sich Fabjan um Sachlichkeit und Ausgewogenheit, Kriterien, die man an Bernhards
Literatur nicht stellen darf. Mit Deutungen, den schwierigen Charakter zu verstehen, hält er sich zurück. Als Analytiker fungiert Fabjan nur gelegentlich. Mit „seinem frühkindlichen Schicksal“ erklärt er sich, dass Bernhard Menschen, die sich seiner annehmen und ihn unterstützen als treue Diener ihres Herrn, regelmäßig vor den Kopf stößt. Tatsächlich sind „Verlassenheitsängste und Wirrnisse um die eigene Mutter“ nicht kleinzureden. Belegmaterial dafür gibt es. Als Herta Bernhard, die Mutter, schwanger wird, reist sie nach Holland, um den Vorhaltungen, unehelich ein Kind auf die Welt gebracht zu haben, zu entkommen. Das Kind gibt sie in einem Pflegeheim ab, um früh wieder einer Arbeit nachgehen zu können, kurz darauf schickt sie es zu einer Pflegefamilie in Rotterdam. Nach einem halben Jahr bringt sie das Baby ihren Eltern in Wien, selbst kehrt sie nach Holland zurück. Der Großvater, der erfolglose, aber von sich überzeugte Schriftsteller Johannes Freumbichler, wird zu einer engen Bezugsperson. Emil Fabjan, den die Mutter heiratet, wird von Thomas Bernhard, der sich zurückgesetzt fühlt, zeitlebens abgelehnt. Als seine Mutter im Oktober 1950 an Gebärmutterkrebs stirbt, erfährt Thomas davon in der Heilstätte Grafenhof aus der Zeitung.
Keine späte Abrechnung
Dass Fabjan seinen Halbbruder bewundert, kommt im Buch deutlich zum Ausdruck. Deshalb steckt er klaglos eine Menge ein. „Im engeren Freundes- und Familienkreis war er besonders verletzlich und abweisend, wechselte schnell zwischen Zuwendung und eisiger Verachtung.“ Dass er gleichzeitig etwas Furchterregendes ausstrahlt, lässt sich ahnen, wenn man auf Formulierungen wie die folgende stößt: „Mein Leben war ein Leben mit einem Phantom, ja einem Dämon an meiner Seite.“ An Dämonen ist die literarische Welt des Thomas Bernhard sowieso reich, an Gestalten, besessen von Wirklichkeiten, die allein ihnen zugänglich sind, die weggesperrt leben in ihrem Einsamkeitskäfig. Auf sie trifft zu, was Fabjan auf Bernhard münzt: „Es war und bleibt ein Leben außerhalb der Gesellschaft.“
Warum setzt sich Fabjan nicht zur Wehr? Sein Buch gibt als späte Abrechnung, was sich gut verstehen ließe, nichts her, sondern fordert Verständnis ein im Namen der Kunst. Und dafür Opfer zu bringen ist ihm eine natürliche Pflicht. „Ein Rapport“, so nennt er sein Buch im Untertitel. Der verlangt Sachlichkeit. Daran hält sich Fabjan, solange er bei der Familiengeschichte bleibt. Ist von ihm selber die Rede, bringen Emotionen das Erzählgebäude zum Beben. Es sieht so aus, als bekäme man zwei Bücher in einem: eines von einem Siegelbewahrer der Familientradition und eines von einem in unglücklicher Bruderliebe Verhafteten und sich Verzehrenden. Lesenswert ist das allemal.
Thomas Bernhard
Die unkorrekte Biografie
Graphic Novel von Nicolas Mahler
Suhrkamp 2021 123 S., geb., € 16,50
Ein Leben an der Seite von Thomas Bernhard
Ein Rapport von Peter Fabjan
Suhrkamp 2021 200 S., geb., € 24,70
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