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Tibet unter dem roten Stern

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Eines der wichtigsten Ziele meiner vierjährigen Asienexpedition war es, Kulturgüter zu retten, die noch nicht in die Hände der Rotchinesen gefallen waren. Wir wissen aus der internationalen Presse von den Bücherverbrennungen in den Klöstern in und um Lhasa, deren Vernichtung jeglichen Hinweis auf eine eigene tibetische Kultur tilgen sollte. Zum Glück gelang dieses sinnlose und barbarische Vorhaben nur zum Teil.

Da waren die Tibet-Flüchtlinge und da war vor allem der Dalai Lama selbst. Er errichtete 4n Neu- Delhi ein Museum, welches eine Vielfalt kostbarster tibetischer Kunstwerke beherbergt. Vieles ist aus seinem Privatbesitz, manches ließ er durch seine Abgesandten bei den tausenden Flüchtlingen aufkaufen. Und damit komme ich zu einem Problem, dessen fast tragische Seite mir mein Vorhaben, die Vervollständigung unserer Tibet-Sammlung, so erleichtern sollte. In Tibet sind praktisch alle Objekte kultisch gebunden. Selbst wenn sie profanen Zwecken dienen, haben sie Beziehungen zum Religiösen, die sie über alltägliche Zweckbestimmung hinausheben und dadurch auch den

-rein erwerbsmäßigen Handel verbieten. Dies waren ungeschriebene Gesetze, denen sde seit Jahrhunderten in ihrem Heimatland Tilbet gehorchten. Dort kannten sie keine Not und konnten friedlich ihrer Arbeit nachgehen, ohne daran zu denken, einen ihnen heilig- und liebgewordenen Gegenstand veräußern m müssen.

Arme unter Armen Völlig veränderten Verhältnissen standen sie als Flüchtlinge im fremden Land gegenüber. Als Arme unter Armen besaßen sie nichts weiter als die paar Kultgegenstände, die sie unter großen Mühen über fünf- und sechstausend Meter hohe Pässe geschleppt hatten: eine Butterlampe, ein paar Bilderrollen, den Rahmen um den Bauch gewickelt, oder gar eine goldene Götterstatue, zerlegt im Kleiderbündel. Hatte der Tibeter diese kleine Kostbarkeit nun sicher nach Bhutan, Nepal oder Indien gebracht, stand er vor dem Zwiespalt, daß er einerseits das Geld als Erlös des Verkaufes dringend zum Leben benötigt, anderseits aber den Gesetzen seiner Heimat gehorchen möchte, die nur das Opfer, nie den Verkauf erlaubt. Gegen die gierige Meute der Händler, die ohne Ansehen Pauschalsummen bieten, wehrt er sich noch und zögert. Die Abgesandten des Dalai Lama bekommen nur Teile seiner geretteten Habe zu sehen, denn er wagt es nicht, von seinem König Geld zu verlangen, wenn er ės auch noch so nötig hat. Diese tragische Situation sollte für mich als Sammler Vorteile bedeuten.

Ich war kein Händler, in dessen Hände die Tibeter ihre religiösen Motive einem ungewissen Schicksal auslieferten, und ich war auch kein Abgesandter des Dalai Lama, von denen sie nur ein nominelles Entgelt erwarten durften. Mich kannten sie fast alle von Lhasa her, sie wußten, daß ich ein Freund des Dalai Lama und des Tibet-Volkes bin. Ich spreche ihre Muttersprache und respektiere ihre Religion. Bei mir waren sie sicher, daß ich keinen Frevel mit ihren Kultgegenständen treiben würde. Sie vertrauten, daß ich keines ihrer heiligen Bücher auf den Boden legen, keinen Thanka von oben nach unten aufrollen oder gar die gesegneten Opfer aus dem Leib einei Götterstatue nehmen würde. Sie erinnerten sich, daß ich in Lhasa niemals ihre Gebetsstunden in der Tempeln durch das Klicken einei Kamera gestört habe, niemals — trotz Überfülle — gefischt oder gejagt habe. Wie hätte ich auch ihn Gesetze mißachten können, als id mitten unter ihnen lebte, ihn Frömmigkeit und Hingabe sah unc beobachten konnte, wie sie klein Würmer von der Arbeitsschaufe nahmen oder Fische vor dem Erfrieren retteten.

Diese gemeinsame Vergangenhei prädestinierte mich geradezu, al: Käufer bei ihnen aufzutreten.

Es war nicht immer leicht, innen diese geliebten Dinge für Geld abzunehmen, da sie aber in jedem Fall verkaufen mußten, war ich immer noch der am ehesten vor ihrem Gewissen zu entschuldigende Abnehmer.

Nicht immer ehrlich

Natürlich traf man auch nicht immer ehrliche Geschäftspartner. Der Tibeter ist von Natur aus ein talentierter Händler, und er oder die Inder und Napalesen kopieren einzelne Kunstwerke so täuschend ähnlich, daß nur der Experte und niemals der Tourist zwischen alt und neu unterscheiden kann. Ich fand so eines Tages eine kostbare alte Ritualschürze, aus Menschenknochen geschnitzt, die für mich unbezahlbar war; ein Nepalese, der meinen vergeblichen Verhandlungen zuhörte, bot mir kurz darauf an, er könne mir eine neue machen, ich brauche nur ziu sagen, wie alt sie aussehen sollte — fünfzig oder fünfhundert Jahre!

Tibet, ein vielgestaltiges Land mit allen Farben des Reįenbogens, die auch seine Tempelfahnen säumen. Mystisch und voller Geheimnisse. Aber nicht die Geheimnisse, die ein Spenglermeister aus Dublin im „dritten Auge” in das Land und seine Menschen „hineingeheimnist”, sind für uns wissenswert. Das Geheimnis Tibet liegt für uns woanders: in seiner unerforschten, wechselhaften Geschichte, seiner farbigen, vielseitigen Kultur und dem Wesen seiner Menschen. Nähern wir uns diesem „Geheimnis”, so erkennen wir, daß es neben unserer eigenen Religion und Kultur noch andere gibt, welche die gleiche Daseinsberechtigung haben.

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