Tief in den Wäldern

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Michael Stavaric macht in seinem neuen Roman und mit seiner Sprache das Vertraute fremd.

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Michael Stavaric macht in seinem neuen Roman und mit seiner Sprache das Vertraute fremd.

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Von postapokalyptischen Szenarien bleibt die Literatur der Gegenwart nicht verschont. Sie heißen "Die Abschaffung der Arten" oder "Die Arbeit der Nacht". Sie entwerfen neue, teils unheimliche, teils reizvolle Gedankenspielwelten nach vernichtenden Ereignissen. Und sie setzen die Fantasiebereitschaft des Lesers voraus. Damit rechnet auch der Roman "Brenntage" von Michael Stavaric, der bereits 2009 mit seinem Geschlechterkampfroman "Böse Spiele" für einige Aufmerksamkeit gesorgt hatte.

Legenden und Rituale

"Brenntage" spielt in einer Zukunft ohne Ort und ohne Zeit, deren Interieur aber so vertraut ist, dass sie nicht allzu fern vor uns liegen kann und man mit guten Gründen vermuten kann, dass sie mehr Vergangenheit enthält, als uns lieb ist. Es gibt Wälder und Häuser, Soldaten und Siedlungen, Jäger und wilde Tiere. Merkwürdig aber ist der Umgang mit den Dingen dieser Welt. So wohlgeordnet, wie diese "ärmliche, jedoch liebenswerte" Siedlung erscheint, in der der namenlose Ich-Erzähler lebt, so befremdlich ist sie mit ihren "blickdichten Zäunen","immergrünen Hecken" und dem Brauch, am "ersten Tag des Herbstes" allen Unrat zu sammeln und zu verbrennen. Was das Feuer verschmäht, wird im Garten vergraben. "Mit nahezu religiösem Eifer hoben die Menschen unserer Siedlung Gräben und Gräber für ihre Vergangenheit aus, darin landeten Matratzenreste und Kachelöfen, Motorenteile und Rasenmäher, Mikrowellen, Kleiderbügel, und was sonst noch das Herz nun nicht mehr begehrte".

Doch diese schöne neue Welt ohne Überfluss, ohne Prinzipien und individuelle Träume ist kein biotopisches Idyll, sondern ein brachialer, unerklärter Versuch, die Vergangenheit loszuwerden, die Geschichte durch Legenden oder Rituale zu ersetzen und sich mit dem Ausbleiben der Zukunft klaglos abzufinden. Der einzige Gewährsmann für den Erzähler ist der Onkel, ein weiser Welterklärer, der betont, dass die neuen Welten gegen die alten nicht ankommen und der dem Neffen Geheimbotschaften und allerlei Lebens-und Überlebenskünste beibringt. Mit ihm und auch gegen ihn sucht der Erzähler seinen eigenen Weg, um sich schlau zu machen. Am Ende erfassen die "Brenntage" die gesamte Siedlung, die Bewohner flüchten in die nahen, teilweise von den Häusern aus erreichbaren Minen, der Erzähler verfängt sich in Wiederholungsschleifen, die Geschichte bricht urplötzlich ab.

Reiz der Sprache

Worin besteht der Reiz dieser Geschichte? Es passiert nicht viel, obwohl Menschen spurlos verschwinden, Verletzungen wundersam heilen, Geister vorkommen. Die Sehnsucht nach einer realen Welt jenseits des Virtuellen ist es wohl auch nicht, die den Leser antreiben mag, diese bizarre Story zu Ende zu lesen. Es ist die Sprache, die einen eigenen starken Sog entwickelt, eine Sprache, die recht unprätentiös daherkommt, der es aber immer wieder gelingt, mit leichten Verschiebungen und Verrückungen das Vertraute fremd zu machen. Vielleicht wird unsere Welt einmal in der Sprache beschrieben werden, in der sich Stavarics Erzähler aus der Zukunft an sie erinnert: warmherzig und abschreckend zugleich, mit dem Motto, "lieber die Vergangenheit eines Böseren" zu haben als die "Hoffnung auf bessere, sorglosere Zeiten".

Auf diese Weise mutet der Roman seinen Lesern einiges an Mitimagination zu. Was surreal ist und was real, das kann manchmal kaum unterschieden werden: Echos bleiben ohne Tonquellen, Erzählungen finden keine Erklärungen. Mit seiner zentralen Metapher jedoch vermag der Roman zu überzeugen: Mit dem Feuer, mit dem Brennen und Verbrennen, beginnt - und endet vielleicht - der uns bekannte Weg des Menschen. Ein Weg, der zur schöpferischen Kultur und zur Zerstörung führt. Der merkwürdige Roman, zwischen einer postapokalyptischen Vision und einer vulkanistischen Erzählung angesiedelt, ist lesenswert, aber nicht so spannend wie die eingangs erwähnten Bücher von Dietmar Dath und Thomas Glavinic.

Brenntage

Roman von Michael Stavaric

C. H. Beck 2011

230 S. geb., € 19,50

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