6610379-1954_48_09.jpg
Digital In Arbeit

Tíere in Wíen

Werbung
Werbung
Werbung

Ja, meine Lieben, sollten die Tiere eines Tages in Wien zur Wahl gehen müssen, dann würden die Spatzen gewiß die meisten Stimmen abgeben, sofern wir die nur zeitweilig auftretenden und die Menschen marternden Fliegen, Gelsen und anderes Ungeziefer außer acht lassen. Sollten sie überdies nicht gerade die Partei der Katzen, sondern ihre eigene Spezies wählen, ihre Fraktion würde mit erdrückender Mehrheit in das Tierparlament einrücken. Ob es woanders nicht auch so ist? Ohne Zweifel, nur für Wien charakteristische Tiere — der Leser mag enttäuscht ein — gibt es nicht. Oder ?

Ob die Spatzen in Paris, in Rom, in Berlin ein anderes Aussehen, andere Eigenheiten und einen von den anderen verschiedenen Charakter haben, das konnte ich nicht feststellen, obgleich ich mich in diesen Großstädten eingehend nach ihnen umgesehen habe. Der Pariser Spatz ist nicht eingebildeter und der römische nicht frecher als der Wiener, sie sind allerorts gleicherweise intelligent, das heißt über das Mittelmaß hinaus begabt, denn sie lassen sich von keinerlei neuem politischen System täuschen, sondern erfreuen sich der Politik des Herzens von alters her — und sie fahren gut dabei.

Dieses graubraune Heer der aufgeweckten Frechlinge, wen hat es nicht schon lächeln gemacht! Die Pensionisten auf den Bänken im Stadtpark teilen die Jausensemmel mit ihnen und werden dafür mit komischen Darbietungen bedankt: den spaßigen Bewegungen, der lärmenden Streitsucht, den klugen Ueberlegungen, die alle dieses heitere Völkchen anscheinend bewegen und die wir als das Geistige von ihren Visagen ablesen. Sie sind in Wien wohl auch nicht besser organisiert als andefswo. Verschieden sehen sie nur die Dichter und vielleicht noch mehr die Maler. Sie machen sie zu unverwechselbaren Individuen, und zwar nicht in chauvinistischer, nationaler Absicht, sondern durch die Art ihrer künstlerischen Darstellung. Der Spatz bei Zola ist ein anderer als der bei Peter Altenberg, und so ist das auch bei den anderen Tieren und anderen Künstlern.

Nur einen Augenblick glauben wir, daß die Hunde wenigstens eine bestimmte Rasse für die Bundeshauptstadt als repräsentativ ausersehen hätten, die der Dackel nämlich mit den kurzen, gedrehten Beinen, dem braun- oder schwarzglänzenden Fell, dem schmalen, supergescheiten Kopf mit der spitzen Schnauze, den langen, seidenweichen Ohren und dem lustigen Schwänzlein, aber bald erkennen wir, daß diese Dackeltiere auch anderswo,, vorwiegend in den Alpentälern, ihr Herrl auf die Jagd begleiten, oder den, der so tut, als jage er. Eine strenge Mahnung begleitet sie durchs Leben, nie zuviel Appetit zu entwickeln, sie werden sonst einer Straßenwalze ähnlich, die gerade noch einen Zentimeter über dem Erdboden gehalten wird, aber bald sich ganz zu diesem herablassen wird müssen. Traurig! Aber die Verführung ist oft zu groß. Selbstverständ lich tummelt sich in Wien auch eine Vielfalt von Rassehunden zwischen Straßenecke und Lichtkandelaber, bevorzugte werden streng an der Leine geführt. Die mehr oder minder gelungene Mischung aus verschiedenen Rassen, das Promenadenpotpourri, befindet sich natürlich in der Ueberzahl.

Die Wiener lieben ihre Hausgenossen und halten ihnen die Treue trotz Hundesteuer und Tierhalteverboten in neugebauten Zinshäusern. Es soll vorgekommen sein, daß Menschen auf eine ersehnte Wohnung in einem Gemeindehaus verzichtet haben, weil sie sich von ihrem Tier nicht trennen konnten.

Wie selbstzufrieden verfolgen dafür von den Fenstern anderer Großstadthäuser mit milder gestimmten Hausherrenherzen aus die Katzen stundenlang Leben und Treiben auf der Straße, zusammen mit ihren Frauerln und Herrin, die ausgedient haben und nur noch ein Ende ohne Schrecken erwarten. Ungern sehen wir diese oft schön gezeichneten Vierbeiner auf Vogeljagd in Gärten und Parkanlagen. Leider fallen alljährlich viele der zierlichen Sänger, Meisen und junge Amseln, die uns auch über den Winter treu bleiben, ihrer Mordlust zum Opfer.

Ueberall bringen die Wiener, und nicht nur die Freunde philharmonischer Orchester, für ihre gefiederten Musikanten Futter- und Nistkästen an, daß sie bei Schnee und Eis nicht hungern und frieren müssen. Oft mischt sich ein großer, schwarzer Geselle unter die kleine bewegliche Schar, schafft sich Raum und Beachtung, hascht einen großen Brocken und fliegt mit ihm im Schnabel schwerfällig auf den nächsten Ast. Die Einstellung der Wiener zu den Krähen ist eine problematische. Keiner ist ihnen noch zu nahe gekommen. Er sieht sie mit gemischten Gefühlen, obgleich sie weit reinlicher sind als die Tauben, die sich nicht einmal angesichts der schönsten Denkmäler Zurückhaltung auferlegen. Die Krähen — der Wiener nennt sie immer noch Raben — wackeln etwas komisch über den Rasen, kommen wie aus einer anderen Zeit, sind scheu und gar nicht zutraulich, als bärgen sie Geheimnisse. Abends fliegen sie dann zur Winterszeit in Scharen von Tausenden in die Auwälder der Donau bei Klosterneuburg, wo sie übernachten. Diese täglichen Flüge gleichen interessanten Manövern in der Luft: es wird viel gekrächzt dabei und niemand begreift das alles und wozu es nütze ist. Aber wer will schon begreifen?

Die Tauben, weniger zart gebaut, also nicht so „putzig“ und in Wien nicht dem Fremdenverkehr dienend wie auf dem Markusplatz, haben es aus schon erwähnten Gründen schwer, Sympathien zu erringen. Den einzelnen eignen bestimmt individuelle Reize, aber eine Taube macht auch in Wien noch keinen Sommer. Die Schwäne und Enten auf dem Gewässer des Stadtparks sind längst richtige Wiener geworden, als wären sie

Haustiere, und halten den Blicken der vielen Kinder stand, die sie an allen Tagen mit Neugier verfolgen. Noch habe ich nicht vom Pferd gesprochen, das nicht nur in Wien des öfteren vom Schwanz aufgezäumt wird. Es ist trotz aller Motorisierung noch auf den Straßen zu sehen: das schwere Pinzgauer und das Haflinger Roß, die zu Lastentransporten herangezogen werden, der leichtere Halb- blütler, Bräunl oder Schimmel, vor die letzten schmucken Zeugl gespannt. Sie erwarten mit ihrem Betreuer auf dem Standplatz vor der Oper die zahlungskräftigen Passagiere. — Kühe stehen in Wien nur noch in den Stallungen der Molkereien und liefern die einst so begehrte „kuhwarme“ Milch. — Ein Feuersalamander schlängelt sich selten in seiner Festtracht über den Kiesweg in unserem Garten, und die Möven blitzen,’ wenn es kalt wird, wie silberne Scheren über der Donau. Die stummen Fische staunen, daß noch immer so viele geduldige Angler am Ufer zwischen Nußdorf und Kahlen bergerdorf sitzen und häufig nur ein kleines Weißfischerl erwischen, ganz selten einen schönen Aal.

Zuweilen verirrt sich auch ein scheues Reh in die Großstadt. Dann finden sich allsogleidi einige von den fünfhundert Lyrikern, die dieses Begebnis als ein Zusammentreffen zweier Welten symbolisch werten und in Verse gießen. Wie hier ja überhaupt die Tiere sich nicht beklagen dürfen, Dichter widmen sich ihnen und leihen ihnen, den stummen Kreaturen, die Stimme für ihr inneres Fühlen. Das ist gewiß rührend. Und sogar denen verhelfen sie dazu, die aus Stoff und Ton, aus Glas und Bast scheintot in den Vitrinen stehen. Auch sie werden lebendig, wenn die Dichterhand ihr Fell streichelt. So streicheln wir allen Tieren in Wien das Fell. Auf Wiedersehen alle, ihr Munteren aus der Arche Noah — seltsame, zauberhafte Herde.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung