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Tiroler Echo

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Ein Fähnlein von Sieben Aufrechten, genauer: des „Vereins Luds-Amplatz-Spende“, versammelte sich am vergangenen Samstag morgens in der Wiltener Basilika in Innsbruck und anschließend am Berg [sei, um des dritten Todestages Luis Amplatz' — dessen mysteriöser Tod immer noch nicht aufgeklärt ist — mit Kranzniederlegung und Gedenkrede von Altlandeshauptmann Dr. Gamper zu gedenken. Eine kleine, symptomatische Episode...

Nur: für einen solchen Mythos ist es zu spät, zumindest um ein paar Jahre. Eine Herz-Jesu-Nacht von i960 hatte noch etwas von einer Volkserhebung in Südtirol, und solche Demonstrationen fanden in Nordtirol ihr herzhaftes Echo, zu-mindestens für kurze Zeit, bis der politische Verstand dann doch die Oberhand über die Begeisterung gewann.

In anderen Händen

Heute ist der Terrorismus in Südtirol in ganz andere Hände geraten als der „Aktivismus“ der, sechziger Jahre: die ehemalige stille oder auch laute Sympathie mit den „Befreiern“ Südtirols ist längst einer gründlichen Ernüchterung und lebhaften Ablehnung gewichen. Heute steht das österreichische Bundesheer an der Grenze zu Südtirol, was man in Tirol weitgehend akzeptiert; nur bedauert irian, daß den Bombenwerfern und Mördern an der Grenze

nicht schon zwei Jahre früher das Handwerk gründlich gelegt wurde; nur hat man immer noch nicht verwunden, daß es beim Bundesheer-einsatz so herauskam, als ob die Tiroler Soldaten für den Grenzeinsatz zu unverläßlich wären — sozusagen potentielle Terroristen. Daß man diese Meinung aufkommen ließ, ist schade, denn die Gründe, warum die Tiroler zunächst nicht zum Grenzeinsatz herangezogen wurden, sind rein organisatorischer Natur.

Inzwischen ist nun auch die Salzburger Südtirolkonferenz und das Pressegespräch in Wien über die Bühne gegangen, die Südtirolpolitik des Ballhaüsplatzes neu formuliert worden. Es weht wie ein bißchen wehmütige Resignation durch die Tiroler Herzen — so glaubt man in manchen Gesprächen feststellen zu können —, daß sich die offizielle Südtirolpolitik der Bundesregierung anschickt, wieder einmal (zum wievielten Male?) „umzufallen“, daü sich das offizielle Wien vom italienischen EWG-Veto ins Bockshorn jagen läßt und „Realpolitik“ betreibt, indem sie Schritt für Schritt zurückgeht und vor dem jeweiliger römischen „Nein“ kapituliert: Von der Forderung nach einer internationalen Südtirolkommission sei man auf den Internationalen Gerichtshof, gegen den man als ungeeignetes Forum opponiert hatte eingeschwenkt, um gleich zu er-

klären: wenn Rom partout keine juridische Verankerung des „Pakets“ beim IGH wolle, so würde man auf eine „politische Verankerung“ drängen, unter der man sich dann doch sehr wenig vorstellen kann.

Das große Unbehagen

So ungefähr stellt sich die verbreitete Meinung über die „neue Südtirolpolitik“ der Bundesregierung dar. Ob etwas Wahres daran ist? Es ist kaum zu leugnen, daß die Bundesregierung so manches getan hat, um diesen Eindruck des stetigen Umfallens in der Öffentlichkeit zu erwecken; man kann ebensowenig leugnen, daß die offizielle Wiener Südtirolpolitik einen Zickzackkurs gesteuert hat.

Zu all diesem Unbehagen über die österreichische Südtirolpolitik

kommt noch ein zweites und drittes: das Unbehagen über die Entwicklung in der Südtiroler Volkspartei, über die doch sehr weitreichenden Zerfalls- und Zersplitterungserscheinungen; wobei man hierzulande mit der Meinung nicht hinter dem Berg hält, am Ballhausplatz und im Außenamt wisse man diese Situation für den eigenen Zweck eines „elastischen Kurses“ und eines Abschlusses um so ziemlich jeden Preis auszunutzen, indem man wohl mit dem Südtiroier Landeshauptmann Moflrrtago und seinem Präsidium verhandelt, nicht jedoch mit der Dietl-Opposition und natürlich schon gar nicht mit der linken Jenny-Gruppe. Schließlich grassiert ein lebhaftes Unbehagen über die Entwicklung in Österreich seit dem Amtsantritt einer monokoloren Regierung; mit der Auflösung der Koalition — der man sonst kaum nachtrauert — hat sich auch die gute österreichische Sitte aufgehört, die Südtirolpolitik aus dem Parteihader herauszuhalten; was man in Tirol vor allem dem jetzigen SPÖ-Chef Kreisky nur ungern verzeiht.

In Tirol ist man auch nach dem 6. März 1966 den bewährten Weg gegangen und hat die Südtirolpolitik, soweit sie im Innsbrucker Landhaus gemacht wird, dem Parteistreit entzogen und überparteilich behandelt, zumindest hat man sich grundsätzlich darum bemüht. Dies hängt wohl nicht zuletzt mit der Tatsache zusammen, daß auch den Herzen der Tiroler Parteipolitiker Südtirol näher liegt als die Parteidoktrin.

Die „harte Linie“ geht ebenso quer durch die Parteien, wie der mehr oder minder regierungsnahe Kurs, und Dietl hat sicher ebenso viele Gesinnungsgenossen nördlich des Brenners wie der hochgeachtete Dr. Magnago Freunde.

Wallnöfers Grundlinien

Der Tiroler Landeshauptmann, Ök.-Rat Eduard Wallnöfer, selbst ein gebürtiger Südtiroler, ist über jeden Verdacht erhaben, um eines billigen politischen Effektes und Erfolges willen die Südtiroler Sache zu „verkaufen“. „Ich möcht', auch wenn ich nicht mehr Landeshauptmann bin, noch in Tirol leben dürfen“, sagte er uns vor ein paar Tagen auf die Frage, ob die Möglichkeit bestünde, daß Österreich auf die Ein-klagbärkeit des „Pakets“ beim IGH verzichten würde. Wer Wallnöfer kennt, weiß, wie sehr ihm Südtirol ein „Herzensanliegen“ ist — um dieses ebenso abgegriffene wie hier zutreffende Wort zu gebrauchen.

In einem Informationsgespräch mit der „Furche“ zeigte der Tiroler Landeshauptmann die Grundlinien seiner Südtirolpolitik auf:

• Das „Paket“ sei als das Maximum der von Rom erreichbaren' Zugeständnisse in Südtirol zu betrachten.

• Es ging nun darum, das im „Paket“ Zugesagte wirksam zu verankern und die Durchführung des „Paketes“ sicherzustellen.

• Man müsse sehen, zu einem möglichst baldigen Abschluß zu kommen und zu erreichen, daß das „Paket“ rasch durchgeführt wird.

Man kömne nicht noch lange Jahre verhandeln, weil die Substanz des Südtiroler Volkstums ständig zur Ader gelassen werde: jährlich wandern 800 bis 1000 junge Südtiroler ab.

Wallnöfer ist der Meinung, daß man bereits in den nächsten Wochen ersehen werde, wie sich Italien zu der neuen Südtirolpolitik Wiens stellen wird, da schon in Kürze mit

bilateralen Gesprächen zu rechnen sei. Wenn Italien endlich das Paket seinerseits einfach zu verwirklichen begänne, wäre Wallnöfer glücklich. Eine Streitbeilegungserklärung im Nationalrat und vor der UNO allerdings dürfe Österreich erst nach einer vollen, also hundertprozentigen Verwirklichung des „Pakets“ abgeben.

Man sollte sich in Tirol und anderswo die Frage stellen, ob man sich mit der Forderung der juridischen Verankerung nicht vielleicht in eine Sackgasse verrannt hat. Jedenfalls kann man auch aus berufenem Munde die Meinung hören, daß der Weg zum IGH das Südtirol-schiff dort so fest „verankern“ würde, daß es vom IGH nicht mehr loskomme, daß auch Österreich politisch nicht mehr manövrierfähig wäre, daß man sich in Gefahr begäbe, zur UNO zu gehen, weil man ja sofort an den IGH zurückverwiesen werde, daß man sich — kurz — der Möglichkeit beraube, die Südtiroler Sache politisch weiterzu-verfolgen. Nicht alle maßgeblichen Männer der Tiroler Südtirolpolitik wären mit einer juridischen Verankerung völlig glücklich.

„Politische“ oder „juridische“ Verankerung?

Der sozialistische Landesrat Zechtl, Teilnehmer an der Salzburger Südtirolkonferenz, steht auf dem Standpunkt, daß von einer „neuen Linie“ der Südtirolpolitik nicht gesprochen werden könne. Die politische Verankerung ist für die Tiroler SPÖ nur eine der möglichen Formen der Absicherung. Zechtl erinnerte in einem kurzen Gespräch daran, daß bei den Gesprächen zwischen Kreisky und Saragat eine solche politische Verankerung in Form einer befristeten Schiedskommission ernsthaft in Diskussion war.

In der Öffentlichkeit herrscht

allerdings die Meinung vor, man könne nicht davon abgehen, das „Paket“ wie den Pariser Vertrag von 1964 juridisch, und zwar — als praktische, wenn auch sicher nicht beste Möglichkeit — beim IGH einklagbar zu verankern. Auf diese breite öffentliche Meinung in Süd- und Nordttrol hat sicher auch der Südtiroler Landeshauptmann Dr. Sil-vius Magnago in seiner jüngsten Erklärung zur Frage der Verankerung („wirksame Verankerung“ könnte eventuell auch politische Verankerung bedeuten, was aber noch zu prüfen sei) Bedacht genommen, wohl auch, um seine in der SVP neuerdings nicht gerade starke Stellung im Hinblick auf den kommenden Parteitag im Oktober auszubauen.

„Vollinhaltlich“ hinter die Erklärungen Magnagos und die fast gleichlautende Prof. Ermacoras stellte sich der freiheitliche Tiroler Landtagsabgeordnete Doktor Heinz Mader, der stets zu den überparteilichen Verhandlungen zugezogen wird. „Tatsache ist, daß Magnago in Salzburg um eine wirksame Verankerung gekämpft hat und nicht davon herunterkann, weil er durch die Beschlüsse seiner Partei gebunden ist.“ Die FPÖ gibt sich sowohl in Sachen juridische Verankerung wie auch in einer neuen Beschäftigung der UNO und des Europarates hart. Gerade für diese beiden Aspekte der Südtirolpolitik der Freiheitlichen scheint Dr. Mader hauptverantwortlich zu zeichnen.

Die Kritik überwiegt

Faßt man das Tiroler Echo auf die Neuformulierung der Südtirolpolitik Wiens zusammen, so überwiegt die Kritik zur Zeit noch weit das Lob. In Tirol ist man allgemein überzeugt, daß eine echte Verankerung unumgänglich sei, daß man sich nicht mit einer Augenauswischerei begnügen könne und dürfe. Ob die politische Sicherstellung zum Ziel führt, darüber gehen die Meinungen auseinander. Mehrheitlich scheint man von der Idee einer juridischen Verankerung mehr angetan als von einer politischen, die man vielfach als neuen „Umfaller“ qualifizieren würde. Wenn man jetzt auf die politische Sicherstellung hin tendiert, dann fragen sich viele, warum man sich auf die beschwerlichen und fruchtlosen Verhandlungen um die juridische Verankerung eingelassen hat, warum man nicht den direkten Weg zu diesem Ziel gegangen ist.

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