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Andrzej Stasiuks Essays trösten sogar in ihrer Illusionslosigkeit.

Es ist seltsam, wie tröstlich Illusionslosigkeit sein kann. Ein Wort, ein Satz, die mitten in eine denkfaule Vorstellung z. B. von Glück hineintreffen, und statt enttäuscht zu sein oder voller Abwehr, ist man zu seiner eigenen Überraschung erleichtert. Ein Gefühl, das sich während der Lektüre von Andrzej Stasiuks Essays oft einstellt. Er schrieb die Texte zwischen 1993 und 2000 für verschiedene polnische Zeitschriften und für die Frankfurter Allgemeine Zeitung. In den Parabeln ähnlichen Kurztexten, die Szenen aus des Autors unmittelbarer Lebensumgebung in den Beskiden schildern, genauso wie in den Essays zu Bohumil Hrabal, Michel Foucault oder Philip Marlowe spannt der gefeierte Autor von "Die Welt hinter Dukla" und "Galizische Geschichten" sein intellektuelles Koordinatensystem auf.

Die vorliegende Sammlung hat den Charakter eines Stundenbuchs, in das man sich immer wieder vertiefen kann, in melancholischen Momenten etwa oder auf der Suche nach Gründen für existenzielles Unbehagen an der Gegenwart.

"Wir werden ohne Vergangenheit geboren und leben in der Gegenwart, die Zukunft erinnert uns nicht mehr an den Tod, sondern nur an die unablässige Aktualisierung unseres Besitzstandes. Unsere Existenz gleicht sich der des Tieres insofern an, als das Tier keine Ahnung hat, woher es kommt und wohin es geht, wodurch es im Grunde ein unsterbliches Wesen ist."

Tod, Alter, Körper - ein Komplex, um den Stasiuks Denken kreist. Oft sind es Bilder oder Fotografien, die ihn zum Schreiben veranlassen, z. B. eine Aufnahme Samuel Becketts, dessen Gestalt und Gesicht ihm wie eine "symbolische Darstellung des menschlichen Schicksals" erscheinen.

Eine weitere Motivkette ließe sich aus den Begriffen von Religion, Transzendenz, Gewalt und Utopie knüpfen. Stasiuk übersetzt Camus und Genet in seine Gegenwart, beobachtet aktuelle gesellschaftliche Reaktionen auf Gewalttaten von Jugendlichen oder schließt de Sade mit der heutigen Pornoindustrie kurz. Er erkennt in der Physiologie die neue Theologie: "Die Energie, die einst auf das Erkennen der göttlichen Wirklichkeit verwendet wurde, richtet sich jetzt auf die Geheimnisse, die Haut und Muskeln bewahren." Es ist eine paradoxe Leseerfahrung, wie gerade Stasiuks klare Analysen von Verlust und Auflösung jeder Metaphysik spirituelle Sehnsucht zu wecken vermögen. Aus Angst?

Aber auch Stasiuk hält es nicht in der intellektuellen Erkenntnis allein - da ist seine Liebe zu Metaphern und eine Art von Glauben an die unerschöpfliche Wirklichkeit. Einer der schönsten Dialoge der Sammlung findet sich in dem Text "Erholung". Der Autor trifft auf seinem Sonntagsspaziergang den Nachbarn und fragt ihn: "Na, was gibt's?' - Nichts', antwortet er. Ich bin aufgestanden, weil ich nicht mehr schlafen kann.'"

Auch wenn die Welt vielleicht keinen Sinn hat, gegen die Vermutung, "daß sie trotz ihrer Zufälligkeit versucht, uns Zeichen zu geben, und manchmal, vielleicht zum Spaß, recht menschliche Gesten an den Tag legt", hat auch Stasiuk nichts einzuwenden.

Das Flugzeug aus Karton

Essays, Skizzen, kleine Prosa

Von Andrzej Stasiuk

Aus dem Polnischen von Renate Schmidgall

Suhrkamp Verlag , Frankfurt 2004

231 Seiten, geb, e 20,50

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