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Digital In Arbeit

Tödliche Lebensgier

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Mit gesetzlichen Maßnahmen ist der Sensationslust des Boulevards kaum beizukommen. Aber eine kritische Uberprüfung unseres Medienkonsumverhal-tens täte not.

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Mit gesetzlichen Maßnahmen ist der Sensationslust des Boulevards kaum beizukommen. Aber eine kritische Uberprüfung unseres Medienkonsumverhal-tens täte not.

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Ein Abendessen zu zweit im legendären „Ritz”, dem Pariser Luxushotel auf der Place Vendöme; für danach steht die Limousine mit Chauffeur schon startbereit, um das Paar durchs nächtliche Lichtermeer der französischen Hauptstadt hindurch zum „Schloß” des „Prinzen” zu schleusen.

Das ist der Stoff, aus dem die realen Märchen unserer Zeit von den Reichen und Schönen sind, von denen die Regenbogenpresse lebt - und auch der Chronikteil so mancher Zeitungen, die sich im Meinungsteil haushoch dem Boulevard überlegen dünken.

Solche Märchen werden fortlaufend geschrieben - und es herrscht ein erbitterter

Kampf in der elektronischen und Printmedienlandschaft um die nächste Fortsetzung. Ein Ende ist nicht vorgesehen. Doch Lady Diana und ihr Liebhaber Dodi al Fayed kamen im Edeldomizil des Milliardärs nie an. Das Märchen nahm ein unvorhergesehenes, tragisches Ende; ein Ende, das freilich noch einmal alles jenen abverlangt, deren Spürnasen einzig solchen Stories hinterher schnüffeln.

Doch halt! Wer schreibt wirklich solche Märchen, in diesem konkreten Fall die Geschichte von Lady Di? Die Boulevardpresse und ihre hechelnden Fotografen, die Pa-parazzi, quotenträchtige Fernsehanstalten...? Diana und Dodi hätten vor der Fotografenmeute flüchten wollen, hieß es. Doch glaubten sie wirklich, einmal entdeckt, entkommen zu können? Der Chauffeur war schwer betrunken, erfuhren wir am Lag danach; und die Motorräder der Paparazzi haben möglicherweise den ohnedies schon Fahruntauglichen am Volant des Mercedes buchstäblich ins Schleudern gebracht. Aber ist das mit quietschenden Reifen Davonglühen, die filmreife Flucht vor der Fotografenmeute nicht auch Teil jenes romantischen Kitzels, ohne den solche Affären nicht denkbar sind?

Prinzessin Diana hatte zuvor schon mehrmals ihren Unmut darüber geäußert, daß sie auf Schritt und Tritt verfolgt, der Neugier der professionellen Beobachter ausgesetzt sei. Und vielleicht gab es in diesem

Fall für sie und ihren Liebhaber tatsächlich keine Möglichkeit, den Abend nach dem Luxusdinner ungestört zu zweit zu verbringen. Aber dennoch: dem Boulevard einfach die Rolle des Bösen in einem Spiel zuzuweisen, das sich in rasendem Tempo an unzähligen Schauplätzen gleichzeitig vor unseren Augen vollzieht, verbietet die Redlichkeit. Die Prominenten aus Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, Kultur, Sport brauchen Öffentlichkeit, benötigen Medienpräsenz, sehnen sich selbst nach jenem Schweinwerferlicht, von dem sie bei gegebenem Anlaß klagen, es leuchte mit allzu greller Brutalität.

Der Triumphzug der Massenmedien ging einher mit der Demokratisierung der Gesellschaft - ohne Massenmedien keine Demokratie, denn Demokratie braucht Transparenz. Das ist zu einem Gutteil wahr, und es enthält ein gutes Stück Illusion: die Illusion der Partizipation. Denn zum einen gibt es troz medial vermittelter Transparenz genug, und gerade wirklich Entscheidendes, das undurchsichtig bleibt und bleiben soll - nicht zuletzt mit Hilfe der Medien. Zum ande ren können und wollen die Massenmedien aber gerade das nicht leisten, was sie vorgaukeln: die Aufhebung der Differenz zwischen den „Normalsterblichen” und den auf vielfältige Weise Privilegierten.

Diese Illusion aber brauchen beide Seiten - die Prinzessinnen und Filmstars, ebenso wie die U-Bahnfahrerin, der Supermarkt-Kassier, die Bankangestellte, der Kellner, die Sekretärin... Für die vielen geben die wenigen die Riesen-leinwand ab, auf die sie all ihre Träume, Sehnsüchte und Hoffnungen projizieren, und indem sie das projizierte Bild vor sich sehen, ist es plötzlich nicht mehr unerreichbar. Der Banalität des Alltags, dem wahrscheinlich tödlichsten Gift des Menschen, wird so etwas von seiner Schärfe genommen - ohne daß es freilich an Wirksamkeit einbüßte.

Dem widerspricht nicht, daß die Märchen unserer Zeit keine Heile-Welt-Geschichten sind. Nein, Diana Spencer hätte nie in dieser Weise zur Ikone von Millionen werden können, wären die Risse und Brüche in ihrer Biographie nicht gewesen. Das gerade läßt sie ja als „eine von uns” erscheinen, daß sie das Scheitern einer Beziehung, Affären, psychosomatische Krankheit erfahren hat. Und gleichzeitig umgibt sie die Aura des Glamourösen, in der alles wie auf wunderbare Weise gelöst erscheint, was uns mit den Mühen der Ebene Befaßte niederdrückt.

Aber auch die Personen der Märchen brauchen das Gefühl, „so zu sein wie alle”, auch sie können ohne diese Illusion nicht leben. Sie macht ihnen ihre Abgehobenheit vom realen Leben, ihre Abgeschlossenheit in goldenen Käfigen erträglich. Gewiß nicht nur, aber auch deswegen besuchen sie Krankenhäuser, gehen in Schulen, fahren in Krisengebiete. Weil sie hier Bodenhaftung zu verspüren meinen, weil sie hier (nie zur Gänze, aber doch) ein bißchen mehr sie selbst sein können als sonst.

Und zwischen beiden Welten stehen die Boulevardzeitungen, die Paparazzi und ihre Auftraggeber. Hier ist der Schnittpunkt, an dem sich die Träume von Flucht aus dem Trivialen mit der Sehnsucht nach „Normalität” treffen. Und nur in diesem Schnittpunkt können sie sich treffen, ohne diese Öffentlichkeit liefen beide Linien ins Leere. Es ist die - letztlich zutiefst menschliche - Gier nach Leben, nach Lebendigkeit, die beide Seiten umtreibt, und die tödlich enden kann.

Gerade deswegen können auch die nun wieder geforderten Maßnahmen nach strengeren gesetzlichen Maßnahmen nicht alles sein. Zudem ist zu bedenken, wie schmal der Grat zwischen Einschränkung der Pressefreiheit und einer per Gesetz verordneten höheren Medienethik verläuft.

Das tragische Ereignis von Paris könnte indes wieder einmal Anlaß sein, unsere eigenen Medienkonsumgewohnheiten einer Prüfung zu unterziehen. Nicht nach dem Motto „Wir, das sind die anderen”, sondern in dem Versuch, in uns selbst das Voyeuristische zu entdecken, um es - nein, nicht zu verdrängen, aber domestizieren zu können.

Nicht mehr? Nicht weniger!

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