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Digital In Arbeit

Tonmobel

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Ein Gespräch zu Beginn:

„Sie sind Architekt, Herr Schröfl?“

„Ja, aber icU möchte in Zukunft hauptsächlich als lndustrieforntgeber arbeiten.“

„Interessant, Sie spezialisieren sich also auf den Bau von Fabriken und Werkstätten}“

„Nein, ich mache Industrieformgebung, gestalte industrielle Erzeugnisse.“

„Ach so, mehr kunstgewerblich also ..,' *

Wir wollen nicht von den Geräten reden, die da als kombinierte Fernseh-Radio-Magneto-phon-Bars mit „antikem“ Dekor oder „modern“ gestaltet zum Verkauf angeboten werden. Dagegen zu polemisieren wäre sinnlos, diese Ungetüme werden immer ihre Käufer finden und daher auch immer erzeugt werden.

Wir wollen die normalen Radios betrachten und dabei fragen, wie es dazu kommt, daß oft technisch ausgereifte Erzeugnisse in schlechter Form auf den Markt kommen, wie es dazu kommt, daß der Erzeuger eines technischen Gerätes dieses als Möbel herstellt.

Technische Vollendung, Tonqualität, handliche Anordnung der Einstellknöpfe und Drucktasten, Uebersichtlichkeit der Skala, das alles sind selbstverständliche Forderungen, die kein Erzeuger mehr außer acht lassen kann.

Nicht selbstverständlich ist dem Erzeuger aber die gute Form. Da wird hier und dort etwas „Schönes“ aufgeklebt, eine Goldleiste, ein Emblem, die Drehknöpfe werden vorne verspiegelt, der Bespannungsstoff ist golddurchwirkt, es wird seitlich bombiert und vorne abgerundet, da werden „moderne“ nierenförmige Gitter eingesetzt.

Warum?

Die Funktion eines Radios bedingt keine bestimmte“ Form. Ein Radio soll klangrein das vom Sender-snisgestrahlte Programm wiedergeben. Es muß (mit Ausnahme der Portables) nicht handlich sein, weil es nicht transportiert wird, es hat keine festgelegte Größe, es könnte ebensogut rund, stabförmig, sechzehneckig, in Kristallformen zusammengebaut werden. Und eben das ist der Punkt:

Der Radiotechniker, bewundernswert in seiner sonstigen Leistung, und der (ihm unterstellte, meist firmeneigene) Formgeber sind ungebunden und verfallen hoffnungslos der formalen Spielerei.

Die Geräte werden größer als notwendig (das ist verkaufsfördernd), die Geräte werden verziert (der Kunde wünscht das so), die Geräte werden zu Möbeln (das ist verkaufsfördernd), die Geräte werden geschmacklos (der Kunde wünscht das so).

Der Kunde, der große Unbekannte, wird immer wieder zitiert, seinem Geschmack wird alles unterworfen. So weit, so gut.

Den Geschmack des Kunden aber kennt man nur über Umwege, über Händler und Vertreter. Und sind die Händler und Vertreter über diesen Geschmack richtig informiert? Wird vom berühmten „Lieschen-Müller-Geschmack“ nicht aus sehr subjektiver Schau berichtet? Ist das Beharren auf dem gleichen Standpunkt nicht nur eine Sache der Trägheit und somit gefährlich? Hat sich nicht oft und oft gezeigt, daß der Kunde einer vernünftigen Entwicklung durchaus positiv gegenübersteht, ja ein weit größeres Formempfinden hat, als man sich allgemein vorstellt?

Für den Großteil der Tonmöbelindustrie ist der Formgeber, wenn man ihn überhaupt hat, ein Mann, der für ein bestehendes Chassis die Kassette entwirft, ihm die Flaut überstreift, die sich dem Geschmack des unbekannten Kunden anpaßt. Diese Kassette wird nun im „Rundbau-stil“ oder „modern“ erzeugt, jedes Jahr variiert und in anderer Weise geschmückt. Der Erfolg dieser Arbeitsweise ist in den Auslagen zu sehen.

Was sollte also geschehen?

Eine Formverbesserung kann erzielt werden: • Der Formgestalter sollte mehr Möglichkeiten bekommen; man' darf ihm nicht die Rolle des Kunstgewerblers, des Kosmetikers quasi, sondern die Aufgabe eines schöpferischen Mitarbeiters zuweisen, der im Verein mit den Technikern ein Gerät vom Beginn an bis zur zufriedenstellenden endgültigen Konstruktion entwickelt.

Der Formgestalter darf nicht abhängig sein vom Geschmack des Verkaufsleiters oder der Buchhalterin. Er soll seinem eigenen Spürsinn für das, was dem Kunden gefällt, folgen und ihn soweit wie möglich beeinflussen und erziehen.

Der Formgestalter muß zur Entwicklung der Form Zeit haben. Er muß alle Möglichkeiten wirklich erschöpfend durcharbeiten, alle Probleme wirklich von allen Seiten beleuchten, alle Herstellungsverfahren wirklich studieren können, um zu einer gültigen Lösung zu kommen. • Der Auftraggeber muß dem formwissen des Gestalters vertrauen. Ein Formgestalter, der, wie das heute so oft der Fall ist, zum weisungsgebundenen Zeichner wird, ist wertlos.

Es gab Zeiten, da waren das Telephon und die Nähmaschine noch Möbel, und die Schreibmaschine wurde in einem verschnörkelten Holzkasten aufbewahrt. Heute sind das alles gutgestaltete technische Geräte, die man in ordentlichen Wohnungen nicht zu verstecken braucht.

Auch in der Radioindustrie aus der Geschmacklosigkeit und der Verwirrung zur reinen und klaren Form zu kommen, wäre eine dringliche Aufgabe.

Fachliteratur

Art and Industry, the Principles of Industrial Design; von Herbert Read. Faber & Faber Ltd. 205 Seiten, reich illustriert; 4. Auflage 1956. Preis 30 S.

„Kunst und Industrie“ wurde im Jahre 1934 zum erstenmal herausgebracht. Heute ist es noch immer das Standardwerk über industrielle Formgebung vom Gesichtspunkt des Kunstwissenschaftlers aus. Read analysiert souverän, klar und verständlich das Wesen von Form, Farbe, Ornament, und grenzt die Frage „Kann die Maschine ein Kunstwerk schaffen?“ gegen Mißverständnisse und Mißdeutungen ab.

Viele Irrtümer könnten vermieden, viel nutzloser Streit erspart werden, wenn alle Entwerfer und alle, die es sonst angeht, dieses Buch lesen würden.

Wir haben kein ähnlich grundlegendes Werk in deutscher Sprache. Da dies nun einmal nicht zu ändern ist — warum haben wir dann aber auch keine guten, neuen Uebersetzungen von „Art and Industry“? Hält man das Thema im deutschen Sprachraum noch immer für nicht aktuell genug?

Modern Publicity 1957- 1958; Hrg. Frank A. Mercer. Art & Industry's Annual of International Advertising Art; Studio Publ. London & New York 1957. 180 Seiten, 1000 Illustrationen. Preis 42 S.

Das Art-and-Industry-Jahrbuch über die graphische Werbung ist ein unschätzbares Hilfsmittel für alle direkt oder indirekt mit Werbung Beschäftigten. Das ist auch der eigentliche Zweck dieser Publikation, so daß man es in Kauf nimmt, daß die einzelnen Illustrationen durch das kleine Format und die Zusammendrängung an individueller Wirkung verlieren. Wir haben dafür einen repräsentativen Querschnitt durch das Schaffen von 33 Ländern. Ebenso wertvoll ist die Einleitung des Herausgebers, der auf wenigen Seiten eine scharfsinnige Analyse der neuen Trends auf dem Gebiet Werbung gibt.

Es wird etwa darauf hingewiesen, daß der Humor, der die Plakatwerbung die letzten Jahre hindurch bestimmte, an Wirkung zu verlieren beginnt; oder es wird empfohlen, die Qualität der kommerziellen Werbung auf das Niveau der kulturellen Werbung zu bringen, und es werden als Beispiele für Einfachheit und Wirkung österreichische und französische Plakate angeführt. Bei Wurfsendungen schwelgt man in neuen Techniken und — der Mode unterliegenden — Materialien. In der Zeitungswerbung sind die Schweiz — mit betont solider Note —, England und die USA führend, wobei „in England die Leser doch eher als Erwachsene betrachtet werden“. Bezüglich der Briefköpfe empfiehlt der Autor mehr Service und weniger Frestige, also mehr Anpassung an die Art der Firma. Sehr berechtigt scheint uns die Frage, warum öffentliche Stellen so wenig Wert auf die Gestaltung ihrer Drucksachen legen. Am erstaunlichsten sind die Fortschritte auf dem Gebiet der Verpackung und ebenso unabsehbar die Möglichkeiten zur Verbesserung.

Nicht nur, weil der Begriff „Design“ in den angelsächsischen Ländern auch die Werbegraphik umfaßt, ist dieses Buch .von so großer Bedeutung für den Industrieentwerfer, aber auch für den Unternehmer. Gestaltung des Produktes, Entwurf, Verkauf und Werbung sind nicht voneinander zu trennen und aus der großen Menge von Beispielen kann man beides lernen: wie man es machen soll und wie man es nicht machen darf.

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