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Touristen sind immer die anderen

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Alternativtouristen sind nicht besser als Pauschaltouristen: Beide treten zumeist in Massen auf und haben wenig Sinn für fremde Kulturen.

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Alternativtouristen sind nicht besser als Pauschaltouristen: Beide treten zumeist in Massen auf und haben wenig Sinn für fremde Kulturen.

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Fußballänderspiel Deutschland gegen England. Live, zwei Uhr morgens. Feuchtfröhliche Männerrunde. Schlachtgesänge, bierselige Verbrüderungen, triefender Nationalstolz. „One more banana pancake and two mueslis, please": Man bestellt englisch, auch deutsch - und all das ist eigentlich nicht selbstverständlich.

Denn ßali ist nicht Europa. Und Fußball dort nicht gerade Nationalsport. Satellitenfernsehen ein Luxus, Muesli keineswegs das Nationalgericht und Rier im Moslemstaat Indonesien verpönt. Kein Zufall: Einheimische Gäste sind auch nicht vertreten im Eldorado Coffee Shop. Auch nicht in Adam's Reer Garden oder der Peanuts Disco. Eigentlich nirgendwo in Kutas Lokalszene, dafür sorgen schon die grimmigen Rausschmeißer. Gefragt ist westlicher Lebensstil vor exotischer Kulisse, Lokalbevölkerung unerwünscht, lediglich in der Dienerrolle akzeptiert: Noch'n Rier, Mann, aber dalli ... Quasi eine geschlossene Gesellschaft, die Freizeitgesellschaft der Anti-Touristen, der Rackpacker und Traveller, die einer hedonistischen „Have-a-good-time"-Menta-lität frönen.

Kuta steht für Rali. Und Rali für Südostasien. Die Szene lebt, pulsiert, breitet sich krebsartig aus. Waren es in den 70er Jahren lediglich punktuelle Freakzentren, die die Hippiebewegung auf ihrem Zug in die heile Welt des Ostens hinterlassen hat, so schießen Travellerenklaven mittlerweile wie Giftpilze aus dem billigtouristischen Gestrüpp und überziehen die gesamte Region mit einem Netz westlicher Rackpackerburgen: Eintrittskarte Rucksack.

Die Stützpunkte der Rlumenkinder auf ihren Überlandfahrten nach Indien blieben - mit Ausnahme Kabuls (Afghanistan) - bestehen: Kathman-du (Nepal), Goa (Indien) oder Kuta (Rali/Indonesien) wurden übergangslos die ersten Zentren des Ruck-sackbooms der Gegenwart; Mikrokosmen gleichermaßen, wie etwa die 700-Meter-Welt von Rangkoks Kao San Road, Südostasiens größter Ansammlung billigtouristischer Infrastruktur.

Was sie tun, ist rasch erklärt. Devise: „Enjoy yourselves, guys." Wer sie sind, ist bedeutend schwieriger zu sagen: Die Klischees vom zivilisationsmüden Aussteiger sind so überholt wie die Mär vom drogensüchtigen Freak, langhaarig und schmutzstarrend, der die Konsumwelt hinter sich gelassen hat. Die Söhne und Töchter der ersten Asienfahrer sind heute eigentlich die geistige Elite der westlichen Welt. Doch die Zeit des Protestes scheint vorüber, Ideologien nicht mehr gefragt. Reisen als Alternative zum westlichen Lebensstil? Uninteressant. Die Dritte Welt wird degradiert zur Spielwiese der Selbsterfah-rung.

So unterschiedlich die Reisemotive auch sein mögen, verbindend ist die gemeinsame Einschätzung als NichtTouristen, als bessere, ja elitäre Alter -nativ-Reisende: Nur weg von den Pauschaltouristen, den vielgelästerten Neckermännern, die die Strände Europas zu gesichtslosen Großfeldsiedlungen und die Kulturstätten der Welt zu Self-Service-Imbißbuden umfunktionierten. Touristen machen alles kaputt, aber Touristen sind ohnedies die anderen ... Ob Traveller, Backpacker oder Globetrotter: die Terminologie der Deckmäntelchen ist so vielfältig wie die Menüpalette der Alternativszene: Mousaka an der burmesischen Grenze? Schnitzel in Sulawesi? Heineken-Bier in Hanoi? No problem, sir ...

Der Subkulturcharakter des Alternativtourismus ist Vergangenheit, die Tourismusindustrie hat die Marktlücke längst erkannt: Die ersten handgeschriebenen Insider-Tips geschäftstüchtiger Hippies haben längst Alternatiwerlagen Platz gemacht; „South-East Asia on a shoe-string", die „Gelbe Bibel" des australischen Branchenleaders Lonely Planet machte Südostasien 1975 zur Wiege des massenhaften Bucksacktourismus. Ein .Geheimtip bezüglich „bestes Hotel", „billigstes Bestaurant" oder „schönster Strand" jagt verzweifelt den anderen; man reist „anders", „selber", auch „preiswert" oder „auf eigene Faust" (Serientitel!) Unter dem Zauberbegriff „alternativ" läßt sich alles verkaufen - warum nicht auch Beisen?

Alternative Beisebüros nehmen dem im Alternativausrüstungsshop alternativ (aber nicht unbedingt billig) eingekleideten alternativen Abenteurer und Forscher der neuen Generation die lästige Vorbereitungsarbeit ab. Man besucht zwar - fotohalber - die bunten Märkte nur rudelweise, für das leibliche Wohl sorgt, mit mitgebrachten Speisen natürlich, der reisebüroeigene Koch, dafür schläft man aber im Zelt: Man ist schließlich alternativ und keineswegs einer von diesen Touristen, die sich in ihren Luxushotels um nichts kümmern müssen. Touristen, das sind die in den kurzen Hosen mit den großen Kameras am Bauch, Witzfiguren quasi, die von Land und Leuten nichts mitbekommen.

Man sitzt in den Traveller-Lokalen Bangkoks und Balis, ist und ißt unter seinesgleichen, verzehrt Hamburger und Banana Pancake, dazu ein kühles Bier, denn es ist verdammt heiß hier. Ein paar Schnappschüsse von den zerlumpten Bettlern; Geld bekommen sie natürlich keines, man ist ja schließlich nur ein armer Student. Und dann zurück ins Billighotel, das seit der Erwähnung im Beiseführer auch nicht mehr ganz so billig ist. Doch wozu anderswo suchen, hier sind sie ja alle, die Alternativen, und den doppelten Preis können wir uns noch immer leisten, ist ja spottbillig.

Die einheimische Bevölkerung wird zur exotischen Kulisse. Kolonialismus, Coca-Kolonisierung sozusagen. Soziokultureller Wandel. Ausbeutung und Ausnützung des niedrigen Preisniveaus: Alles berechtigte Vorwürfe an die Pauschaltouristen, die prestigeträchtige Fernreiseziele von ßorneo bis Burma sammeln wie andere Muscheln in Jesolo. Nur: Wer hat die Trampelpfade für die massenhafte Invasion zu „den letzten Kopfjägern" in den „unberührten Dschungeln" ausgetreten, wer hat durch Bei-seberichte und Dia-Shows erst das Interesse an den „letzten Paradiesen" fern der Zivilisation geweckt?

Und, noch ketzerischer: Ist die Vorbildfunktion der Alternativtouristen der zweiten Generation vielleicht sogar noch negativer als die der verachteten Beisegruppen, deren Kontakt zu Einheimischen stark eingeschränkt (Ghettoeffekt) und dadurch in seinen Folgen kaum so durchschlagend sein kann wie die tägliche, direkte Konfrontation mit der ansässigen Bevölkerung: Der Demonstrationseffekt des freien, pflichtenlosen, zeitlich und finanziell ungebundenen Jungvertreters einer begehrenswerten Welt (Walkman, Kamera) ist umso verheerender, je weniger er bewußt ist - und das ist selten genug der Fall. Ein Rier, importiert selbstverständlich, kostet den halben Monatslohn des thailändischen Kellners; und es bleibt selten bei einem, denn hier ist ja alles sooo billig. Allein der Flugticketpreis ins Schlaraffenland setzt die finanzielle Hierarchie zwischen armen Rack-packern und Einheimischen gewaltsam ins rechte Lot und bringt die hehre These der Völkerverständigung (Motto: „Arm sind wir alle") einigermaßen ins Wanken; und das Statussymbol Rucksack allem kostet oft genug den Jahreslohn.

Wo kein Heineken-Rier, wo kein Müsli oder Pommes Frites, da findet sich nur eine Minderheit - man hat ja schließlich auch seine Kultur, selbst wenn man über die Pauschaltouristen mit ihrer ständigen Suche nach Schnitzel und Grillhahn seine Späßchen macht. Das sind die einen, die Möchtegern-Abenteurer und Nachwuchs-Traveller, die sich auf vorgezeichneten Trampelpfaden durch Asien essen, trinken und sonnen - rudelartig und massenhaft, wie das Feindbild „Tourist", geleitet von Alternativreiseführern und begünstigt durch landeseigene Billigstinfrastruktur (Restaurants, Hotels, klimatisierte Russe).

Die wenigen Abenteurer unter ihnen, die die Trampelpfade verlassen und sich auf die Suche nach den weißen Flecken der Tourismuslandkarte begeben, sind mit Sicherheit um einiges alternativer. Doch: Sie sind die Speerspitzen des Massentourismus, sie halten die Teufelsspirale mit ihren Rerichten von „noch unberührteren Paradiesen" in Gang, versorgen die Traveller-Szene mit Geheimtips, die selten lange geheim bleiben, und tragen so zur unaufhaltsamen und selten erwünschten Erschließung bei: Zunächst die alternativen Nachahmer, einzeln zuerst und immer mehr, dann die reisebürogesteuerten Pauschaltouristen - selten dauert es länger als ein paar Jahre, wie das Reispiel Ro Samui zeigt. Noch vor zehn Jahren Geheimtip, verfügt die thailändische Insel heute zwar über keinen einzigen freien Zugang zum Meer, dafür aber stolz über einen neuen Flughafen. Die heuschreckenartige Flucht der alternativen Alternativen zu anderen Inseln war unausbleiblich: „Wieder ein Paradies von Touristen vernichtet!", klagten sie.

Anders ist nicht gleich alternativ: Ein Rucksack allein bedeutet noch kein anderes, besseres, landesverträglicheres Reiseverhalten, sondern nur die Rilligvariante des kritisierten Massentourismus, der Ferien der Reichen in den Ländern der Armen. Und reich sind auch die Alternativen, selbst wenn sie es nicht wahrhaben wollen.

Der Autor ist

Lehrer und freier Publizist

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