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Träume von Schale und Kern

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Das Nestroy-Stüdt „Müller, Kohlenbrenner und Sesselträger oder Die Träume Von Schale und Kern Hel bei der Uraufführung durch, errang vor Jahrzehnten einen mäßigen Erfolg und erwies sich bei den Salzbdfgfer Festspielen 1952 — unter vertauschtem Titel — als ein runder Erfolg. Man scheint somit im Laufe von hundertündzwanzig Jahren darauf gekommen zu sein, daß dieses Stück unter seinen ein wenig vertrockneten Schalen einen zwar bitteren, aber noch genießbaren Kern enthält.

In der Tat teilt es init dem großen „Lumpazivagabundus" nicht nur die ähnliche Grundkonzeption — es ist vielmehr neben ihm das einzige Stück, in dem sich Nestroy an der Schaffung einer Art geschlossenen Weltbildes versucht. „Die Träume von Schale und Kern" sind, wie der „Lumpazivagabundus", zwar nicht gerade ein bösartiges Spiel von der Unverbesserlichkeit des Menschen, zweifellos aber von einem pessimistischen Realismus erfüllt, wie er in dieser erbarmungslosen Schärfe selb6t bei Nestroy selten anzutreffen ist. Zudem repräsentiert es die prinzipielle und, wenn das Wort gestattet ist — totale Satire. Denn es richtet eich nicht füt, sondern gegen „jedermann", und was immer es berührt, entblättert sich seiner Sdieinbätkeit bis auf da6 Skelett. So werden die Persönlichkeiten der drei „Helden“ Sehr schnell auf einen ebenso simplen wie vermutlich nur für geborene

WieneT völlig einsehbaren psychischen Grundriß reduziert, in dem ein unverhüllt brutaler Egoismus hart neben einem starken Hang zu jener wienerischen Abart des Begriffes „Kameradschaft“ 6teht, jener Kollegialität nämlich, die dem Kollegen buchstäblich alles z?u opfern bereit ist — außer eines: das Recht auf üble Nachrede. Dem Satiriker erscheinen andererseits die weiblichen Gegenspieler in Wahrheit ebenso, wie sie dem Müller und seinen zwei Kollegen erscheinen: als notwendig, aber störend. (Auf den völligen Mangel an Erotik, der bei allen Nestroy-Stücken und bei diesem besonders auffällig ist, hat gerade der Bearbeiter der „Träume von Schale und Kern schon verschiedentlich aufmerksam gemacht.) Weiter richtet 6ich die Satire, uns belustigend, wenn auch nicht mehr 6ehr beeindruckend, im besonderen gegen den literarisch-idealistischen Gefühlskitsch de6 19. Jahrhunderts und im allgemeinen gegen jegliche Hoffnung, daß irgend etwas irgendwie besser werden könnte, und schließlich — total, wie sie ist — wird die Satire selbst noch satirisch behandelt: das Streben dfe6 Menschen zum Künstlertum ist Chimäre, der Künstler lächerlich wie der Mäzen — aber die Nachwelt, die feine Locke des verhungerten Dichters mit schwerem Geld bezahlt, ist noch lächerlicher. — Die Unerbittlichkeit, die da Spiel und Widerspiel durchzieht, das eine und das andere verätzt und doch in einer zwar ungreifbaren Weise das Verspottete durch die anschließende Verspottung seines Gegensatzes rehabilitiert, diese trügerische Spiegelung — dies ist in einem nicht nur vagen Sinn dämonisch.

Axel vdn Ambesser hat feinen guten Griff getan, als er dieses Nfestroy-Stück Wählte — aber der Kern, den er da entdeckte, dürfte ihm Wohl selbst zu bitter vorgekommen 6ein. Und so hüllte er ihn als Regisseur in die neuen Schalen allzu vieler Späße und Possierlichkeiten, die einander nahezu vier (!) Stunden lang jagen; statt Strichen Meß er Ergänzungen eihfügen und um die Akteure ein limonadenfarbiges Bühnenbild bauen. So ist unter all defh Scherz die tiefere Bedeutung nicht fnehf, die Satire nur mehr stellenweise zu 6püren. Nichtsdestoweniger i6t natürlich Axel von Ambesser ein vorzüglicher Regisseur und sicherlich genau das, was man gemeinhin einen „Könner nenht, Und wenn eines sich nicht zum änderen schicken wollte es war doch immer fein Regifeeinfall da, der Schalen und Kern zusammenkittėte. Der letzte Akt, ln dem die Satire nicht mehr Gelächter, sondern nur mehr Rührung erweckt, gelang ihm, wie man es sich schöner nicht wünschen könnte. Alles in allem; die Wahl des Stückes war ein voller, seine Inszenierung doch ein halber Erfolg.

Dem Bearbeiter Hans Weigel ist zu danken, daß er mehrere ungleichwertige Szfenen und Übergänge mit Geschick und Takt solange zu lasieren und firnissen wußte, bis sie sich mühelos und ohne Sprung zwischen die stärkeren einfügten: eine literarische Restaurationsarbeit und ein künstlerisches Spezialistentum von hohen Graden, Die schauspielerischen Leistungen Waren Nestroys und Salzburgs wert. Hans Putz und Bruno Hübner — grob- feuriger Sesselttäger und melancholischer Kohlenbrenner “ und Inge Konradi als Nanette: Wer würde behaupten wöllen, daß es keine N e&t r o y -Da rs tel le r mehr gebe?

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