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TRAGÖDIE UND KOMÖDIE

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Daß die Größe des wahren Dichters in der Kraft besteht, aus den Worten der Dichtung dem Leser oder dem Zuschauer die Illusion eines Kosmos zu geben, dies ist bei der Aufführung der „Kleinen Stadt“ von Thornton Wilder im Studio der Josefstadt wieder deutlich geworden. Diese Tragödie des Alltagslebens läßt den Zuschauer auf einer kulissenlosen Bühne ohne Requisiten den scheinbar uninteressanten Ablauf des Lebens von Durchschnittsmenschen aus einer amerikanischen Kleinstadt, ihr Leben und Lieben, Arbeiten und Altern zum Abglanz eines Geschehens werden, das den Charakter des Zufälligen abgestreift hat. Wenn ein Drama der letzten Jahre allgemeinmenschlich ist, an das Elementare unseres Daseins rührt, dann dieses Schauspiel von Thornton Wilder. Es geschieht viel in diesem Schauspiel und es geschieht doch nichts. Aber man könnte diese Behauptung auch umdrehen: Es geschieht nidus. zu mindest nichts von Bedeutung, in „Our Town“ — und doch so viel! Werden denn nicht alle Maße von groß und klein lädier-lich angesichts der Ewigkeit? Tief innen im Menschen aber gibt es etwas, das ewig ist an ihm. Man erinnert sich als Österreidier an Adalbert Stifters Metaphysik des Kleinen und Kleinsten, in der die Gesetzmäßigkeit und nicht das Kolossale der Dimensionen von Bedeutung ist. Thornton Wilder ist. ein Dichter der Innerlichkeit, ein Kenner der menschlichen Seele und ihrer Sehnsüchte, die immer von neuem den sinnlos-sinnvollen Kampf mit der Zeit, der Vergänglichkeit aufnehmen.

Hans Thimig ist der gegebene Regisseur für eine so subtile Aufgabe. Getragen wird die Aufführung von Alfred N e u g e-b a u e r, der die Rolle des „Spielleiters“, die eigentliche Hauptperson des Schauspiels, verkörpert. Wie Neugebauer dem Zuschauer die Illusion der kleinen Stadt zu geben versteht, wie er Szene an Szene mit wenigen Gebärden und leisen Worten fügt, gehört zu den großen schauspielerischen Leistungen des gegenwärtigen Wiener Theaters. Noch eine Leistung, ergreifend in ihrer Schlichtheit, sei aus dem großen Ensemble herausgegriffen, die Arztensgattin Frau Gibbs Dagny Scrvaes'. Es ist die stille Tragödie des Hausfrauentums, die diese große Künstlerin sichtbar werden läßt.

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„Leben heißt dunkler Gewalten Spuk bekämpfen i sich, Dichten Gerichtstag halten über das eigene Ich“ — in keinem Drama kommt dieses innere Lebensgesetz Ibsens so überwältigend zum Ausdruck wie m den „G espenster n“, dieser modernen Schicksalstragödie, - die doch weit über eine dichterische Formung der Vererbungstheorie, als die sie oft und lange empfunden wurde, hinausweist in einen Bereich letzter ethisdier Verantwortlichkeit, in dem sich die Mensdien vor die Wahl Zwischen Wahrheit und Lüge gestellt sehen. Das große Thema der Lebenslüge, in den „Gespenstern“ wird es zum erstenmal von Ibsen in seiner ganzen Tiefe gestellt; und weil wir Menschen uns immer werden mit den Konventionen herumschlagen müssen, weil — durch die Natur einer jeden gesellschaftlichen Ordnung bedingt — jede Generation vor eine andere Lebenslüge sich gestellt sieht, deshalb werden die „Gespenster“ immer ihre aufrüttelnde Wirkung üben, wird das Schicksal der Frau Alving und ihres „wurmstichigen“ Sohnes Oswald, der für die Sünden seines Vaters zahlen muß, immer von neuem erschüttern. Die „Gespenster“ sind eine düstere Tragödie, ein Drama, wie es nur von einem Germanen gedichtet werden konnte — aber hinter aHen düsteren Nebeln des Nordens spürt man die Sehnsucht nach der Lebensfreude, die das ganze Werk Henrik Ibsens durchzieht, jene Sehnsucht, die uns immer wieder nach dem Süden mit seiner Tageshellc und Klarheit blicken läßt.

Als vor einigen Jahren, während des großen Ringens, in dem der einzelne nichts mehr zu gelten schien, die Tragödie in den Spielplan des Akademietheaters aufgenommen wurde, wirkte sie trotz ihrer Schwere befreiend. Das Problem der Wahrheit erleuchtete das dunkle Gestrüpp wirrer Gefühle und gleisnerische Lüge, das uns umgab. Die Welt hat inzwischen ihr Antlitz

verändert, aber mehr' denn je ist uns die Aufgabe gestellt, die Lebenslüge zu überwinden, die uns auch heute von innen her zu ersticken droht, den Spuk dunkler Gewalten in uns selbst zu bekämpfen.

Die Aufführung im Akademietheäter hat nichts von ihrem hohen Rang verloren, sie hat eher dadurch gewonnen, daß jetzt Otto Wilhelm Fischer den Oswald spielt. Horst Caspar war ein .bedeutender Oswald Alving, aber Fischer bringt etwas mit, das uns in ihm eine große Bereicherung des Burgtheaters sehen läßt, ein gebändigtes inneres Feuer und eine Sprache, die Höhen und Tiefen, Härte und Weichheit in

gleichem Ausmaße umspannt; vor allem ist Otto Wilhelm Fischer ein typisch österreichischer Schauspieler, der bei aller intellektuellen Reife nie den Primat des Ästhetischen vergißt. Frau Käthe Dorsch als Frau Alving and Ewald Baiser als Pastor Manders ließen die zeitlose Tragik, die weiten geistesgeschichtlichen Perspektiven und die Tiefe der ethischen Problematik des Ibsenschen Familiendramas sichtbar werden. *

Die Wiederaufnahme von Schnitzlers „Liebelei“ in den Spielplan des Burgtheaters läßt sich damit rechtfertigen, daß eine große Künstlerin wie Frau Alma S e i d 1 e r die Christine spielt, jenes junge Wiener Geschöpf, das zum erstenmal liebe und an der Erkenntnis zugrunde geht, daß es für den Mann, den es mit all der Glut seiner ersten reinen Leidenschaft liebt, nur eine Liebelei gewesen ist und er im Duell für eine andere Frau sein Leben gelassen hat. Diese Christine hat so gar nichts von einem süßen Mädel an sich, sie ist eine heißliebende, aber verhaltene Natur, innerlich zu reich, um in einer Atmosphäre gelangweilter Lebejünglinge und oberflächlicher Püppdhen leben zu können Frau Seidler trägt die Aufführung, ihre Darstellung erschüttert. Diese Christine läßt in jeder Bewegung die kömmende Katastrophe ahnen und ihr Zusammenbruch im dritten Akt stellt eine so überragende schauspielerische Leistung dar, daß man alle Brüchigkeiten und Schwächen des Stückes vergißt.

Die Regie lag in den Händen von Karl Eidlitz. Eine gepflegte, saubere Art der Spielführung von unleugbarem Niveau, daß man nur wünschen kann, daß das Burg-

theater diese Kraft Bafif vor neue XtifgaSen

stellt.

Es war ein guter Einfall, vor der „Liebelei“ den Einakter „Weihnachtseinkäufe“ aus dem „Anatol“-Zyklus zu geben. Die Anatol-Einakter stellen vielleicht den Höhepunkt der Schnitzlerschen Stimmungskunst dar. Besonders die „Weihnachtseinkäufe“ haben Viel Atmosphäre, wozu bei dieser Aufführung noch kam, daß Käthe Dorsch und Otto Wilhelm Fischer die beiden Rollen verkörperten.

Die Aufführung der „E m i 1 i a Gi-1 o 11 i“ in der „I n s e 1“ hat eine interessante und charakteristische Tatsache sichtbar werden lassen: wie schwierig es ist, gut Lessing zu spielen. Ist es der hohe Grad von Rationalität, der für dieses revolutionäre Drama unserer Vorklassik kennzeichnend ist, der eine Aufführung der „Emiliä“ ZU einem ernsten Problem für den Regisseur und für die Darsteller macht? Es bedarf einer überaus gepflegten Spielkültur, um gerade dieses Lessingsche Werk, das Sturm-

und Drangzüge aufweist und andererseits geradezu klassische Prägung zeigt, in seiner klaren Schönheit lebendig werden zu lassen.

Direktor Epp hat sich nidit fruchtlos bemüht. Die Aufführung der „Insel“ zeigt ein beachtenswertes Niveau und vor allem Eva Z i 1 c h e r s Emilia und Alfred Stögers Mariftelli waren bemerkenswerte schauspielerische Leistungen. Langsam aber stetig bekommen die einzelnen Schauspieler der „Insel“ ein Antlitz von eigener Prägung und dies kann für die Durchbildung des Ensembles dieser in mancher Hinsicht interessantesten Bühne Wiens nur von Vorteil sein. Fräulein Zilcher hat mit der Darstellung der „Emilia“ gezeigt, daß sie auch großen Aufgaben gewachsen ist und daß ihre Begabung ebenso auf das klassische Drama wie auf die moderne Komödie hinweist. *

Ferdinand Raimunds erstes dramatisches Werk, die Zauberposse „D er B a r •-metermacher auf der Zauberin s e 1“, auf der Bühne des Volkstheaters; und in der Hauptrolle als Quecksilber Karl P a r y 1 a. Zweifellos ein Ereignis für Wien. Gibt es doch keinen Dichter, in dessen Werk die echtesten Saiten des Wienertums so aufklingen wie bei Raimund. Manche Motive der späteren Meisterwerke werden schon in diesem naiven Erstlingswerk angeschlagen und die Figur des Barometermachers Quecksilber darf eine Meistergestalt genannt werden. Der Bogen vom Schein zum Sein, er wölbt sich auch schon in dieser derbkomischen Zauberposse, die das Volkstheater in einer leuchtenden Farbenpracht herausgebracht hat. Und das Ideal der inneren Zufrieden-

heit und des Gleichmutes, “die ASkehr von

äußerer Scheingröße, die Entlarvung der mensdilichen Schwächen, ohne -dabei die menschliche Güte aufzugeben — all dies begegnet uns im „Barometcrmadier“. Paryla hat das Verdienst, mit seinem Quecksilber eine der ältesten Figuren der klassisdien Wiener Zauberposse zu neuem Leben wiedererweckt zu haben. Und wir wollen gerne darüber hinwegsehen, daß bei den Bemühungen, die Liedertexte dem Heute anzupassen, beziehungsweise sie im Hinblick. auf unsere unmittelbare Gegenwart zu ergänzen, manche — nun sagen wir — Zugeständnisse gemacht würden, die besser unterblieben wären. Alles in allem: eine Raimund-Aufführung, die den köstlichen Reichtum an schöpferischer Naivität dieses genialen Wiener Komödianten sichtbar werden läßt.

Premiere der österreichischen Länderbühne

Die österreichische Kunststelle hat eine Länderbühne geschaffen, die sich vor kurzem in einer Presseaufführung dem Wiener Publikum vorstellte. Ihre Aufgabe soll es sein, kleine Orte in ganz Österreich, die über keine eigene Bühne verfügen, mit Theatervorstellungen zu bereisen.

Als erstes Stück wurde ein leichteres Werk, das einem breiteren Publikum verständlich sein soll, gewählt, Martin Costas den Wienern von der Josefstadt her seit langem bekannter „Hofrat Geiger“.

Die Inszenierung, durchgeführt von Philipp von Zeska, nimmt sorgfältig bedacht auf primitivste Vorbedingungen, wie sie auf kleineren, zum Teil wohl auch behelfsmäßigen ländlichen Bühnen zu erwarten sind. Die Schauspieler — es handelt sich durchaus um junge, noch unbekannte Kräfte, vermögen trotz der noch lebendigen Erinnerung an Aufführungen des Stückes in größeren Wiener Theatern einen schönen Erfolg herauszuholen, ohne das künstlerische Niveau absinken zu lassen. Die junge Bühne wird zweifellos die kulturellen Ziele, die sie sich gesteckt hat, zu erreichen wissen.

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