6649237-1958_43_10.jpg
Digital In Arbeit

Tragödien...

Werbung
Werbung
Werbung

Thomas Wolfe, der im deutschsprachigen Raum früh durch Rowohlt bekanntgeworde amerikanische Dichter, hat seine Romane als Fragmente seines Lebens aus sich geschleudert. Wut und Trauer, Haßliebe zu seiner engeren Heimat und Familie, ein berserkerhafter Zorn; diese und andere schwarzgallige Elemente werden versöhnt, und versöhnen den Leser, weil der Grundton ein einziges Liebeslied ist: Erde, wie bist du schön, Amerika, Kontinent des Menschen, wie bist du groß, gerade weil du eine neue Welt neuer Schmerzen bist. Wolfes amerikanischer Freund und Verleger hatte bereits große Mühe, aus den ihm zur Verfügung stehenden Manuskripten Wolfes große Romane der letzten Jahre dieses früh verglühenden Lebens herauszuschälen; aus Bergen von Manuskripten. Nun hat sich mit der Kühnheit und Entschlossenheit einer erfolgsicheren Frau Ketti Frings darangemacht, aus Wolfes autobiographischem Frühwerk, „Schau heimwärts, Engel“, ein Drama zu bauen; das denn auch in New York mit Erfolg uraufgeführt wurde und gegenwärtig in Berlin und Wien sein Publikum sucht. Heinrich Schnitzler, wohlerfahren in amerikanischen Verhältnissen, führt im Volkstheater Regie. Die beklemmende, beklommene Welt amerikanischer Kleinstädte und der scharfe Dunst des Hasses, auswegloser Verlorenheit, die uns aus vielen amerikanischen Dramen unserer Zeit bekannt ist, bilden die erstickende Atmosphäre, in der hier in ihrer Familienpension ein schreckliches Weib ihre eigene Familie und ihre Gäste tyrannisiert. — Vilma Degi-scher lebt sich, sie, die liebliche charmante Salondame, erstaunlich stark in diese Gestalt hinein. Neben ihr behauptet sich, auf der Bühne, voll und ganz nur ihr jüngster Sohn, Eugene, Thomas Wolfes Selbstporträt in vielen Zügen: Helmuth Lohner. Hier ringt wirklich eine schwierige Jugend um Freiheit, um ein schmerzbewußtes Sichlösen aus gefährlicher Verstrickung im Bann der Mutter und im Bann unreifer Gefühle. Ihm, diesem Jungen, ist sein älterer Bruder, hier Arthur Pipa, in keiner Weise gewachsen. Im Schatten der Urmutter kämpfen einige Damen tapfer, um ihre Rollen mit eigenen Zügen zu akzentuieren: so Maria Emo als Laura, die Herzensflamme Eugenes, so Sigrid Marquardt als Madame Elisabeth, so Ursula Schult als Tochter Helen. Aus der Schar der vielen Mitspieler seien noch Wolfgang Hebenstreith als Arzt genannt. Heilung aber für diese Gesellschaft gab es, wie für Thomas Wolfe selbst, nur im Tode. Ihm drängt, dröhnt alles zu, was da über die Bühne wirbelt...

Shakespeares „König Lear“ im Burgthea t e r l Wir glauben, daß niemand recht froh ist mit dieser Aufführung, es sei denn ein jugendliches Stehparterrepublikum, das seine Helden, Werner Krauß, Fred Liewehr und andere, hell begeistert beklatschte. Wie diese blutrünstige Tragödie, ein Schauerstück voll von Mord, Wahnsinn, Schurkerei, aufgeführt werden kann, zeigt Oliviers Gastspiel des „Old Vic“ mit „Titus Andronicus“. Dort gibt es noch mehr Tote, Vergewaltigung, Gliedabschneiden, Blenden usw. Und doch ist's, in der Aufführung, echte Tragödie, die ergreift, weil sie den Schrecken glaubhaft macht. Darauf kommt es nämlich hier an! Eine Zeit und ein Publikum, die hartgesotten sind wie heute, wohlerfahren in Mord und Gewalttat — jede Wochenschau, jeder Kriegsbericht, jede Zeitung meldet greuliche Dinge, wie eben da das Geschehen um König Lear und seine drei Töchter: einer solchen Zeit muß der Schrecken, soll er transparent wirken, als Widerschein einer inneren Dimension der einen, furchtbaren Wirklichkeit anders vorgestellt werden als durch statische und stelzende Figuren, filmische Bühnenbilder, leere Räume und leeres Gerede.

Shakespeares Schrecken ist archaisch, dem Märchen nah, und ist zeitgeschichtlich: noch haben sich die Bäche Blutes in England aus einem hundertjährigen Bürgerkrieg nicht ganz verlaufen. Wer diesem Schrecken heute Leben, Faszination geben will, muß auf das Archaische zurückgreifen. Große, ungeheuere Bilder und eine innere Dynamik, die das Chaos ahnen läßt. Hier aber werden statuarische Szenen serviert, bisweilen weht der kalte Wind der Grottenbahn im Prater von der Bühne her ins Publikum. Genug. — Werner Krauß — ist er indisponiert oder verloren? — geistert allein im großen Bühnenraum umher, Günther Haenel, als Narr und als Gast in der Burg, singt im Kammerton, so wie wenn er direkt aus Jonesco kommen würde. Eiskalte Scheusale als böse Töchter Lears: Susanne Almassy und Judith Holzmeister. Ihre erbarmungswürdigen Männer sind Helmut Janatsch und, besonders unglücklich, Stefan Skodler. Eine besonders auffallende Fehlbesetzung: Johanna Matz als verstoßener Liebling Lears. Fred Liewehr macht die Treue des edlen, schlichten Kent glaubwürdig. Erich Auer schlägt sich tapfer mit der Wahnsinnsrolle des Edgar herum. Sich herumschlagen, mit der eigenen Rolle, in riesigen, leeren Räumen: diese undankbare Aufgabe fällt allen anderen Statisten zu. Innerlich verkühlt tritt man aus dem kalten Haus in die kalte Nacht dieses Wiener Oktobers hinaus.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung