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Trend-Scouts für die Liturgie

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Das wichtigste spirituelle Fest der Katholiken, die Liturgie, ist in bejammernswertem Zustand. Den Tatbestand wird niemand leugnen, lediglich in der Analyse der Ursachen gehen die Meinungen auseinander.

Die nach wie vor scharfsinnigste Untersuchung zum Thema stammt von einem Mann, der sich selbst als Atheisten bezeichnet, dem jedoch höhnische Schadenfreude angesichts des Verfalls der Kirche fremd ist: Alfred Lorenzer. Der Frankfurter Psychoanalytiker und Soziologe aus dem Umkreis der Frankfurter Schule hat 1981 eine Polemik gegen die Liturgiereform des Zweiten Vatikanums abgefeuert und ihr den boshaften Titel gegeben: „Das Konzil der Buchhalter". Seine zentrale These: 450 Jahre nach Martin Luther wirft die katholische Kirche ihr komplexes und historisch gewachsenes, sinnliches und persönlichkeitspfägendes Ritual über Bord und setzt statt dessen aufs Wort. Überspitzt ausgedrückt: Indok-trination statt Symbolkraft.

Lorenzer übernimmt die Unterscheidung von Susanne Langer, die diskursive Symbolik präsentativer Symbolik entgegensetzt. Letztere führt an die emotionale Tiefenschicht der Persönlichkeit heran, die „diskursive Symbolik", das Wort also, komme so weit nicht.

Wer das Jahr über Gottesdienste

Die Sonntagsmesse

wird von vielen Gläubigen als Plauderstunde, nicht als tiefes Erlebnis empfunden. Wo sind die Schätze der Kirche geblieben?

der katholischen Kirche mitfeiert oder auch nur besucht, wird feststellen, daß ihm selten etwas widerfährt, was „an die Tiefenschichte der Persönlichkeit" heranführt. Ausnahmen sind relativ symbolstarke Bituale wie Taufe oder Begräbnis, Hochzeiten und - vor allem - die Osterliturgie.

In der Osterliturgie mit ihrer elementaren Symbolik und der lyrischen Kraft ihrer Texte findet sich noch etwas von dem, was Liturgie ist. In Ritual und Mythos „sind nicht einzelne Lebenserfahrungen, sondern sind die ,Lebenssymbole' selbst" ausgedrückt, schreibt Lorenzer. Das wird zu Ostern spürbar, das fehlt in den meisten Gottesdiensten des Jahreskreises.

Was bedeutet es, fragt Lorenzer, „daß die Kirche freiwillig das Feld ihrer bildhaft-rituellen Selbstdarstellung räumt? Daß sie ihr „Theater" schließt, um es in Vorlesungsveranstaltungen zu verwandeln, daß sie Gestik und sinnliche Symbolträger zurückzieht, um die ästhetische Einwirkung auf die ,Masse' der Televisi-on, Werbung und Warenästhetik zu

überlassen?" Die Antwort sucht Lorenzer in der vorschnellen Übernahme von geistesgeschichtlichen Paradigmen.

„Der Mythos verschwindet aus dem Feld der Erkenntnis. Er fällt durch die Maschen der partikulari-sierten Rationalität' hindurch. Das, was er repräsentiert hatte, kann vergessen werden." Die Gesamtdeutung zerfällt, „der Rest wird pathologisiert zu Angst, Wahn und Melancholie -oder privatisiert als unvernünftiges Glücksverlangen, verlacht als Utopie, die keinen Platz mehr fand. Aufklärung, die einstmals die Kraft der Erkenntnis gegen das finstere Unheil mobilisiert hatte, schlägt um in Blendung."

Lorenzer bestreitet nicht die Notwendigkeit der Ablöse des Mythos als „Deutungssystem der objektiven Weltzusammenhänge". Doch sei es „verhängnisvoll" gewesen, die Mythen „als Abbildungen' jener dunklen, irrationalen' Grundschicht, die Freud als das ,innere Ausland' im Menschen entdeckt und beschrieben hat, jenes innere Jenseits' - jenseits des rationalen Zugriffs -, das er ,das Unbewußte' nannte", zu verlieren.

Was sich zum Zeitpunkt des Erscheinens des Buches schon abgezeichnet hat, die Esoterik mit allen ihren kommerziellen Nebenerscheinungen, ist in dieser Analyse schon miterklärt. Sie erscheint als Abfallprodukt einer Kindsweglegung. Anstatt aufzufangen, was durch „die Maschen partikularisierter Bationalität"

fällt, hat sich die Kirche in ihrer Liturgiereform auf die Seite der Nüchternen gestellt, eine Art Bildersturm inszeniert. Mittlerweile eilt schon eine Generation durch die Museen, die nicht nur an der antiken Mythenwelt ratlos vorbeizieht, sondern auch den christlichen Bildern keinen Sinn mehr abgewinnen kann - und das ist nur der - scheinbar vergleichsweise harmlose - ästhetische Verlust dieser Tiefenschicht der Persönlichkeitsbildung. Was fehlt, das liefern andere. Die Werbung etwa „scannt" gezielt das Mythenpotential der Religion und nutzt es für sich.

Die Liturgiereform wie sie sich heute darbietet, hat unter diesen Voraussetzungen die denkbar ungünstigsten Voraussetzungen für ein Überwintern der Christen geschaffen. Am Ende des Zeitalters der Schriftlichkeit, mit der Wiederkehr der Macht der Bilder mit vervielfältigter Durchschlagskraft und marginalisierter Bedeutung, haben die Erben des Konzils sich auf das dürre Wort gestützt und Gottesdienste ausgelaugt zu ermüdenden Plauderstunden. Das Numi-nose, nach dem unter den oben beschriebenen Umständen längst inner-und außerhalb der Kirche intensiv gefahndet wird, sucht man daher meist vergeblich dort, wo es eigentlich zu vermuten wäre: im Gottesdienst der

größten Glaubensgemeinschaft des Landes. Nicht einmal dann, wenn der Markt die Schätze der Kirche entdeckt und zu Geld macht wie im Fall der Gesänge der Mönche von Santo Domingo in Spanien oder der Heiligen Hildegard, nutzt die Kirche die arglose Neugier der Konsumenten, um ihre Botschaft zu verkünden.

Was tun? Josef Sudbrack hält nicht die Reform an sich für den Fehler, sondern deren vorzeitigen Abbruch. Aus Angst vor der Unberechenbarkeit der Folgen habe man rasch dekretiert, wie Gottesdienste in Hinkunft allerorten zu sein hätten. Entwicklungen und Versuche wurden verhindert. Vielleicht ließe sich an manches Unterbrochene anknüpfen, „Trend-Scouts", in der Modebranche erfolgreich zur Entdeckung des Marktes ausgesandt, müßten auf die Suche geschickt werden nach Formen, Texten und Gesängen, die aus der trostlosen Stagnation führen könnten. Sie müßten im Fundus der Vergangenheit ebenso fündig werden wie in den verschiedenen Gruppen und Bewegungen, die heute versuchen, als Christen zu leben.

Die Zeit drängt; die Parolen des Konzils von der Öffnung und Durchlüftung der Kirche verlieren von Jahr zu Jahr an Sinn, weil der Besucher, der die offene Türe durchschreitet, immer weniger von dem findet, was ihn nähren könnte. Die Vorratskammern sind voll. Sie müßten nur aufgebrochen und ihr Inhalt verteilt werden.

Der Autor ist

freier Journalist

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