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Trockener Donner in Brasilien

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Wie eine langerwartete Regenwolke unter Blitzen und Donner ging die Interamerikanische Gipfelkonferenz in Punta del Este vorüber, ohne die dürstende Erde getränkt zu haben. 20 Staatschefs unterschrieben: Latednamerika ist auf dem Wege zu einem Gemeinsamen Markt. Wir werden die Lebensbedingungen unserer Landbevölkerung verbessern. Wir werden die Alphabetisierung durchsetzen... Wir werden... Wir werden... „Der Durchschlag früherer Manifeste, weiter nichts“, kommentierte die größte Zeitung in La Paz.

Dem Präsidenten der Vereinigten Staaten, Johnson, hatte der Senat fürsorglich eine Fußfessel angelegt, so daß auch weiterhin die Preise für die „materia prima“ nach dem Belieben der Industrieländer bestimmt werden. Also: die Gäste machen die Rechnung und nicht das Hoteil Washington wird die Investierungen verdoppeln. In jede Caboclohütteam Amazonas ein Eisschrank! Ein Staubsauger! Es wird Dollars regnen. „Ende des Kolonialismus? Wie?“ Ist der Erzbischof D. Helder Camara endlich zufrieden? — Nein: „In den lateinamerikanischen Ländern leben wir noch im allerschlimmsten Kolonialismus. Wenn man die ausländischen Investitionen mit den Summen vergleicht, die wieder zurückfließen, wenn man die durch die reichen Länder übermittelten Hilfeleistungen mit den Verlusten vergleicht, die durch die aufgezwungenen Preise unserer Rohstoffe entstehen, ist leicht zu erkennen, daß es sich bei dieser Hilfe um eine wahre Blutsaugerei handelt, und das arme Volk muß sie bezahlen.“

Der „Estado“, Säo Paulo, Leibblatt der Kaffeekönige, zieht jetzt gegen ihn vom Leder. Die Kommunisten können sich dabei die Hände in Unschuld waschen. Sie „investieren“ zu billigsten Preisen. Gerne hätten wir unsere Leser in den Zoll von Santos geführt, als da noch Berge von Literatur aus dem Sowjetblock aufgestapelt lagen, konfisziert. Inzwischen sind die sowjetischen Staatsverlage dazu übergegangen, ihre Schriften in den Bestimmungsländern selbst drucken zu lassen. (Einige Kostproben solcher Katechese liegen vor den Augen des Berichters.)

Wenn Karl Marx sähe, was für Kapital heute die Kommunisten aus seinem „Kapital“ schlagen! Falschgeld obendrein! In den letzten Jahren verschickte die Nationalbibliothek von Peking 30.000 Bände des „wahren Marxismus“ in mehr als hundert Länder über das Meer. In den Bibliotheken der Universitäten liegen die Bücher offen auf. „Wie? Im Austausch?“ Wohin geht unsere Literatur? — In die Keller verschwindet sie.

Am 14. April ließ die New Yorker Wochenschrift „Life“ als herzerhebendes Finale der OAS-Konferenz die modernen Flugplätze, Wolkenkratzer, Fabriken, Stauseen in Lateinamerika aufmarschieren. Die alte berauschende Fortschrittshymne! Hinter die Paläste können die „Life“-Leser glücklicherweise nicht sehen, die Rudel nackter Kinder mit ihren mageren Müttern, wie sie aus den Mülleimern die Reste der Mahlzeiten fischen, indes die Männer betteln oder ihr Diebsgut verschachern. In Punta del Este fiel davon kein Wort, vom wolkenlosen Himmel strahlte die Sonne des „Progresso“.

Johnson hatte nicht den Einfall, seine Kollegen an jenes Datum von 1914 zu erinnern, als Henry Fori den „Proletarier“ aus der „Knechtschaft des Kapitalismus“ befreite, indem er den Achtstundentag einführte und die Löhne verdoppelte. Zu solcher Revolution hätte Johnson aufrufen müssen.

Kaum hatten die Kellner die Tafel abserviert, ertönte aus dem Äther die wohlbekannte Stimme des seit zwei Jahren totgemeldeten „Che“. Wer lachte nicht über den Meistertrick Fidel Castros? Und wie die großen Nachrichtenagenturen

prompt auf den Zauber hereinfielen! Ganz Amerika mußte aus Guevaras Mund die Tagesparole des „Führers“ von Havanna hören: „Genossen, errichtet überall Feuerstellen der Rebellion gleich Vietnam! Tausendmal Vietnam! Macht euch frei vom Yankee-Imperialismns!“ Auf dem Bildschirm erschien der Kopf Guevaras. Weggewischt war Punta del Este. Doch wer denkt daran, die Amerikaner aus dem Lande zu jagen? Sie sind die besten Arbeitgeber. Sie zauberten die nackte Wirklichkeit wieder in die Köpfe der zur Hoffnungslosigkeit verdammten Menschen. Auf der Flucht vor dem Hunger in die Mühle der Riesenstädte verlieren sie Gott und die Heiligen. Nirgends sind sie daheim. Und wenn die Kirche endlich ihre Ländereien verteilt, was soll Manoel damit anfangen? Wer pflanzt hier Obstbäume in seinen Garten? Hat er das Feld bestellt, wie soll er zu einer Ernte gelangen? Die Nacht ist die Stunde der hungernden Wölfe. Es ist leicht, von Prinzipien und Geboten und Verboten zu predigen, in der Sonnenglut des Alltags zerschmelzen sie. Wenn die Reform nicht an die Wurzel geht, nähren auch die modernsten Thesen nur Aufruhr und Abfall.

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