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Tschaikowskys Glaubensbekenntnis

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In den Briefen des großen russischen Komponisten Peter Iljitsdi Tschaikowsky an seine Mäzenin, Frau von Meck, mit der er durch dreizehn Jahre in fast täglichem Briefwechsel stand, die er jedoch persönlich nie gesprochen hat, finden sich einige interessante Äußerungen, die über seine Stellung zur Religion Aufschluß geben. Sie sind um so interessanter, als Tschaikowsky den typischen Entwicklungsweg des Intellektuellen genommen hat: die von Gottglauben und von „um-Gott-wissen" stark beherrschte Kindheit, die religiöse Indifferenz und Skepsis des heranreifenden Mannes, die Hinneigung zu humanistischen und pantheistischen Ideen, ja ihr gewolltes Setzen an Stelle religiöser Werte und Wahrheiten, dann aber die Rückkehr des reifen und abgeklärten Menschen und Künstler zum ursprünglichen Wissen des Kindes um Gott: zum Gottesbekenntnis.

Hier die Briefstellen.

Tschaikowsky an Frau von Meck am 2. November 1877 aus Clärens:

„… Ich muß bekennen, daß ich in bezug auf die Religion sehr in Zwiespalt geraten bin, und ich kann bis heute noch nicnt den Ausgleich der beiden Gegensätze finden. Mein Verstand weigert sich ganz entschieden, die Wahrheit der dogmatischen Seite, sowohl der orthodoxen als auch aller anderen christlichen Bekenntnisse anzuerkennen. Soviel ich auch über das Dogma der Vergeltung, ganz gleich, ob der Mensch gut oder schlecht ist, nachdenken mag, kann ich in diesem Glauben niemals einen Sinn finden. Wie soll man denn auch Schafe von Böcken scheiden?

Ebenso unerreichbar ist meinem Verstände auch der feste Glaube an das ewige Leben. In dieser Beziehung bin ich von dar pantheistischen Anschauung des zukünftigen Lebens und der Unsterblichkeit überzeugt. Anderseits aber, meine Erziehung, die Gewohnheit seit der Kindheit, die eingeflößten und eingefleischten poetischen Vorstellungen von allem, was CHRISTUS und seine Lehre anbelangt … alles das zwingt mich unwillkürlich, mich an IHN zu wenden, mit einem Flehen in Zeiten des Kummers und mit Dank — in Zeiten des Glückes…“

Als Nadjeschda Filarjetowna von Meck ihrem „angebeteten Freund“ ihr „profession de foi“ (Glaubensbekenntnis) beichtet, antwortet Tschaikowsky in einem Briefe aus Wien, am 3. Dezember 1877:

,,… Ich sehe, daß Sie sich auf dem Wege des langjährigen Nachdenkens einen selbständigen religiös-philosophischen Katechismus aufgebaut haben. Aber mir scheint, daß Sie sich irren, wenn Sie sagen, das Gebäude, welches Sie sich parallel mit dem zerstörten Bau des früheren blinden Glaubens aufgerichtet haben, stark und gediegen sei und Ihnen die Religion zu ersetzen vermag. Darin besteht eben die Tragik eines zur Skepsis neigenden Menschen, daß er, nachdem er die Bindung mit dem traditionellen Glauben vernichtet hat, nun zu suchen beginnt, womit er die Religion ersetzen könnte. Vergeblich fällt er dabei von einer philosophischen Theorie in die andere und erwartet in ihr jene unbesiegbare Kraft zum Kampfe mit dem Leben zu finden, mit welcher gläubige Menschen ausgerüstet sind.

Was Sie auch sagen mögen, aber, z u glauben, das heißt nicht in herkömmlicher Tradition und aus Mangel an eigener Urteilsfähigkeit blind zu glauben, sondern vernünftig, alle Mißverständnisse und Widersprüche, die der kritische Denkprozeß heraufbeschwört, in sich versöhnend… so zu glauben ist das allerhöchste Glück… Em kluger und zugleich ein aufrichtiger, gläubiger Mensch — und solche gibt es viele — besitzt einen Panzer, gegen welche alle Schicksalsschläge ohnmächtig sind …“

Zwei Tage später setzt Peter Iljitsch seine Antwort an seinen „besten Freund“ (wie er Frau von Meck nennt) fort und schreibt:

„…Meine Einstellung zur Kirche ist eine andere als die ihre. Für mich behielt die Kirche noch sehr viel von poetischem Zauber. Ich gehe sehr oft zum Hochamt; die Liturgie des Johannes Chrisostomus ist, meiner Meinung nach, das größte Kunstwerk. Wenn man unseren Gottesdienst aufmerksam verfolgt, sich in den Sinn jeder Handlung vertieft, so kann man nicht umhin, in tiefste Rührung zu geraten…

Ich liebe auch den Abendgottesdienst sehr! An einem Samstag in irgendeine kleine Dorfkirche zu gehen, dort, von Halbdunkel umgeben, in Weihrauchwolken gehüllt, zu stehen und in das eigene Ich zu versinken, in sich selbst die Antwort zu suchen auf die ewigen Fragen: warum, wohin, weshalb … dann aus der tiefen Versunkenheit zu erwachen, wenn der herrliche Psalm: ,Von Jugend an beherr schen mich meine Sünden vorn Chor angestimmt wird1, sich der berückenden Poesie dieses Psalmes hinzugeben, durchdrungen zu sein von stillem Entzücken, wenn das ,Zarentor geöffnet und nun ausgerufen wird: .Lobet den HERRN in den Himmeln! — alles das liebe ich unaussprechlich, das ist einer meiner höchsten Genüsse!… Und so bin ich einerseits mit starken Fesseln an die Kirche gebunden, andererseits aber habe ich, wie Sie, den Glauben an die Dogmen verloren. Und, ebenso wie Sie, kam euch ich zur Überzeugung, daß, wenn es jenseitiges Leben nach dem Tode gibt, dann doch nur in dem Sinne, daß die Materie nicht untergehen kann, also im pantheistischen Sinn des Ewigkeitsbestandes der Natur, in welcher ich eines ihrer mikroskopischen Teilchen bin…

Aber die Überzeugung ist das eine und das Gefühl und der Instinkt — das andere. Obwohl ich das ewige Leben ableugne, weise ich auch schon mit Entrüstung den ungeheuerlichen Gedanken von mir, daß meine Mutter,

die ich so sehr geliebt habe und die so ein prächtiger Mensch gewesen, für mich verschwunden sein sollte… Sie sehen, meine Teuere, ich bestehe aus Widersprüchen und bin, trotz meines reifen Altors, noch nirgends endgültig stehengeblieben, habe meinen rastlosen Geist weder durch Religion noch durch Philosophie beruhigt …

Im Jahre 1881 ist Tschaikowsky schon der anerkannte und sehr bekannte Komponist. Behütet von seiner Mäzenin, seinem Schaffen ganz hingegeben, Fanatiker der Arbeit und Selbstdisziplin, steigt er „langsam, aber sicher“ (wie er selbst in bezug auf seinen zukünftigen Ruhm sagt), Stufe für Stufe, immer höher die Leiter hinan zu den höchsten Regionen seiner Kunst und immer näher zu seinem… Gott.

In seinem aus dem Jahre 1881 stammenden Briefe an Frau von Meck aus Paris schreibt Peter Iljitsch:

„Ich erhielt gerade Ihren Brief, in welchem Sie es bereuen, mir den ersten geschickt zu haben, und Ihre Empörung gegen die Leute, die Ihr Leben vergiften, Ausdruck geben. Aber ich stellte mir nicht eine Sekunde vor, daß Sie tatsächlich hassen und nicht verzeihen können. Man kann Christ sein im Leben und im Tun, auch ohne blinde Befolgung der Dogmens, und ich weiß zu gut, daß das unchristliche Gefühl in Ihnen nur wie ein momentanes Aufflackern entstehen konnte, wie ein unwillkürlicher Protest gegen die menschliche Bosheit, ein Protest, der ja im ersten Augenblick immer zu scharf hervortritt. Solch einem seltenen und absolut gütigen Menschen, wie Sie es sind, ist der Haß im Sinne eines tätigen Gefühls fremd. Und was könnte fruchtloser und zweckloser sein als Haß?… Unsere Feinde — nach dem Worte Christi — verursachen uns die Kränkungen schließlich doch nur aus Unwissenheit, nur aus Unwissenheit. Oh! wenn die Menschen nicht der Form, sondern dem Wesen nach Christen wären, wenn alle durchdrungen wären von den einfachen Wahrheiten der christlichen Moral (Ethik), in welcher ja auch die ganze Wahrheit des Lebens enthalten ist!

Leider, dies kann niemals sein. Sonst würde ja das Reich des ewigen vollkommenen Guten kommen, wir aber sind nach der Organisation unseres Wesens unvollkommen, wir sind Wesen, für die das Begreifen des Guten nur als der Kehrseite des Bösen möglich ist! Es ist, als ob wir speziell dazu geboren wären, immer und ewig mit dem Bösen zu kämpfen, um die Ideale zu ringen, um dadurch zwar zur ewigen Wahrheit zu streben, aber niemals das Ziel zu erreichen. Seien wir wenigstens nachsichtig jenen gegenüber, die in ihrer Blindheit das Böse nur aus angeborenem Instinkt lieben. Was können die dafür, daß sie ja nur deshalb leben, um das Licht der Erwählten um so stärker hervortreten zu lassen. Haben wir das Recht, das Böse mit Schlechtem zu beantworten? Nein, wir können nur mit Christus wiederholen: „Herr, verzeihe ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“!

Ich fühle wohl, wie unklar der Ausdruck meiner Gedanken ist, die mir im Kopfe herumziehen. Den Anlaß kennen Sie ja: das Dahinscheiden des mir so nahen Menschen … Aber wenn ięh auch unklar denke und noch verschwommener spreche, um so klarer fühle ich. Meinen Geist fühle ich ohnmächtig gegenüber so vieler Fragen, die für den schwachen menschlichen Verstand unlösbar sind, wie: Tod, Ziel und Sinn des Lebens, seine Endlichkeit oder Unendlichkeit; dafür aber dringt in meine Seele immer mehr das Licht des Glaubens. Ja, meine liebe Nadjeschda Filarjetowna, ich fühle, daß ich immer mehr Zuflucht nehme zu diesem Bollwerk gegen all das Ungemach des Lebens. Ich fühle, daß ich Gott zu lieben beginne, was ich früher nicht konnte. Noch immer suchen mich die Zweifel heim, noch immer versuche ich mit meinen schwachen Kräften des Verstandes das Unbegreifliche zu begreifen, aber immer lauter und lauter ertönt die Stimme der göttlichen Wahrheit bis zu mir herüber. Ich finde bereits eine unaussprechliche Seligkeit darin, daß ich mida vor der unerforschlichen, jedoch für mich unbezweifelbaren Weisheit Gottes beuge. Ich bete oft zu IHM; wo ist ER, was ist ER — ich weiß es nicht, aber ich weiß, daß ER i s t, und ich flehe IHN an, mich zu belehren und mir zu verzeihen, und besonders süß ist es für mich, IHM zu sagen: HERR, Dein Wille geschehe, denn ich weiß, daß Dein Wille heilig ist.

Noch eines möchte ich Ihnen sagen, mein lieber, bester Freund: daß ich oft, während ich über mein Leben nachdenke, darin den Fingerzeig Gottes sehe, der mir offen erkennbar meinen Weg zeigt und mich vor allem Unglück schützt. Warum es dem göttlichen Willen notwendig erscheint, gerade mich zu schützen, das weiß ich nicht. Ich will demütig sein und mich nicht für einen Auserwählten halten, da ER, der Alliebende, alle seine Geschöpfe gleich liebt, aber ich weiß nur, daß ER mich schützt und ich vergieße Tränen der Dankbarkeit für seine unendlichen Wohltaten. Ich will mich auch an den Gedanken gewöhnen, daß, wenn über mich Ungemach und Unglück hereinbrechen sollte, dies audi eigentlich zum Guten führt. Ich will Gott immer lieben: wenn ER mich mit Glück segnet und wenn ER mich durch das Gegenteil prüft. Es muß doch irgendwo jenes Reich der ewigen Glückseligkeit geben, zu dem wir immer wieder vergeblich hinstreben. Aber es kommt die Stunde, da alle für uns unerklärbaren Fragen ihre Lösung finden und wir verstehen werden warum es Gott für nötig findet, uns Prüfungen zu senden. Ich will glauben, daß es ein zukünftiges Leben gibt…“

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