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Turbulenz im Innenleben

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„Kein Geld und immer noch keine großen Sammler — wird auch nicht kommen“: Das resignierende Eröffnungszitat im hervorragend ausgearbeiteten Katalog der M o r t o n-D.-M a y-Kollektion, die sich für die kommenden vier Wochen im Museum im Schweizergarten einquartiert hat, ist nicht etwa der Stoßseufzer des derzeitigen provisorischen Museumsleiters Otto Graf wegen Minibudget und Vorliebe des Ministeriums fürs „Provisorische“ überhaupt, sondern eine Tagebuchnotiz Max Beckmanns, des großen deutschen Expressionisten, vor seiner Bekanntschaft mit dem US-Mäzen Mr. May.

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„Kein Geld und immer noch keine großen Sammler — wird auch nicht kommen“: Das resignierende Eröffnungszitat im hervorragend ausgearbeiteten Katalog der M o r t o n-D.-M a y-Kollektion, die sich für die kommenden vier Wochen im Museum im Schweizergarten einquartiert hat, ist nicht etwa der Stoßseufzer des derzeitigen provisorischen Museumsleiters Otto Graf wegen Minibudget und Vorliebe des Ministeriums fürs „Provisorische“ überhaupt, sondern eine Tagebuchnotiz Max Beckmanns, des großen deutschen Expressionisten, vor seiner Bekanntschaft mit dem US-Mäzen Mr. May.

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Gleich 45 Bilder Beckmanns, darunter etwa 60 Prozent Spitzenqualität, und weitere 45, die längst als meisterhaft und süradteuer

gelten, von Ernst, Feininger und Grosz über Hechel, Jaxulensky, Kandinsky, Kirchner bis Pechstein oder Rohlfs, hat May vor zwei Jahren auf Reisen nach Europa geschickt: seine Sammlung, die gewiß Amerikas wichtigste, umfangreichste Privart-kollektion deutscher Expressionisten ist. Die rundeste, atmosphärisch härteste, die Stil-charakter und -ftaMutn am präzisesten trdifft. Besser sogar als die von Lackner. Morton D. May, der heute eine Warenhaus-„chain“ mit rund einer Milliarde Dollar Umsatz im Jahr kontrolliert, in Saint | Louis so ziemlich in allen Kunstgremien im Vorstand sitzt und sich nebenbei auf Entdeckungen

in Sachen neue Kunst und ozeanische Plastik spezialisiert hat, ist haargenau der, der Wien fehlt. Seit 1948 hat er, von Freund Beckmann, dem ewig von Existenzangst bedrängten, wohlberaten, seine mustergültige Sammlung zusammengetragen und vor kurzem dem Universitätsmuseum in Saint Louis dezidiert. Und er äst in den USA eigentlich nur einer von vielen. Welch eine Chance für die University von St. Louis, in Kunstgeschichte in Saohlen „deutscher Expressionismus“ in Hinkunft ein gewichtiges Wörtchen mteureden,.. Nun, was man sieht, übertrifft kühne Erwartungen. May, der w den fünfziger Jahren gewiß relativ billig, aber mit Fingerspitzengefühl kaufte, hat sich da großartiger Schätze versichert: Im Mittelpunkt das Schaffen des Freundes Beckmann, der 1948 in St Louis einen Lehrauftrag erhielt. Damals entstand das Porträt Mays, das heute dm Schwei-zergairten die Schau sozusagen eröffnet Übrigens das schwächste Werk hier. Und nicht nur, wenn man es mit Beckmanns Arbeiten vergleicht, wie dem kapriziösen großfigurig-leger hingepiniselten „Lido“ (1924), dem „Bad“ (1930) oder der sich räkelnden „Olympia“ (1946).

Kandinsky ist mit einer zauberhaft duftigen* flimmernden „Mumauer Winterlandschaft mit

Lokomotive“ (1911) vertreten. Die rechte Hälfte des luftigen Bildes kippt scheinbar bereits ins Abstrakte um. Alexej von Jaw-lenskys „Ägypterin“ brennt dem Betrachter ihren stairren Blick ins Antlitz; ein sinnlich-verlebtes, glühendes Gesicht, aus knalligen kleinen Flächen und samtigschwarzen Konturen zusammengefügt. Ernst Ludwig Kirchner führt einmal in eine Weinstube (1909), wo blaue Herren vor roten Vorhängen in der Konversation ermatten, dann in einen Zirkus, zu den verrückten Kapriolen eines befrackten Reiters: Die Welt ist Arena, rostbraun, Rautenkomposition.

Von Klee hat May einen Tänzer in seine Sammlung aufgenommen, genauer: das haarig fein-gestrichelte Psyöhostenogramm eines sich Verrenkenden, und eine Arbeit, in der der Künstler über Landschaft in lappigen Formen und Pastellnuaincen meditierte. Kokoschkas rote „Sklavin“ bebt vor nervöser Spännung, aufgestauter Wollust. Bei Meidner explodieren Städte, wanken Himmel: 1918 und 1945 sind mit heftigem Pinselschlag und kühnem Rhythmus vorweggenommen. Pastoral Stille breitet sich aus bei Macke: Kühe weiden, Segelboote gleiten, Figuren flechten Sich, fast schon Dekor, harmonisch tos Farmengedränge. Aufzuzählen gäb's noch viel. Un-endMch viel, das freilich durch die SammlerpersönlSchkeit in eine Linie gerückt ist. Wer diese Meisterwerke des Expressionismus, harte, gebärdenreiche Bilder voll gestautem Innenleben und übrigens die besten, die seit langem aus dieser Epoche in Wien gezeigt wurden, sehen will, muß sich beeilen. Demnächst schon sind sie fern von Europa. Für immer.

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