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TV - bei Tageslicht betrachtet

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WENN ICH NACHTS WACHLIEGE, kommen mir schon lange die Überlegungen, die DDr. Lorenz in seinem Leitartikel „Am Vorabend einer Revolution“ in der „Furche“ vom 15. Februar 1968 entwickelte. Als Verleger und Chefredakteur mußten sie auch ihm kommen, denn er ist, was ich bin — ein Volksbildner, der vom Geist her lebt und das Buch als seine Heimat betrachtet. Wird das neue Massenmedium „Fernsehen“ das Buch, das Gespräch, die Einzelkommunikation von Mensch zu Mensch zerstören?

Wenn ich aber die Klarheit des Tages um mich spüre, fange ich an,

Mut zu schöpfen. Ja, wir leben in der Welt der huschenden Phantome, schon seit der Filmstreifen die Massen hypnotisiert hat. Und schien es nicht anfangs, als würde der Film das lebendige Theater verdrängen, die Gewohnheit des Lesens, des Sich-Besinnens in Frage stellen?

Das Fernsehen wird als „kühles“ Medium bezeichnet , wie das gesprochene Wort und die Handschrift — anders als der Film. Das Fernsehbild ist von geringer Intensität, es ist kleiner als das Filmbild und gibt im Gegensatz zum Film keine Informationen über Einzelheiten von Gegenständen. Der Mensch muß dahier gedanklich Details immer ergänzen. Schon dadurch erfordert es eine stärkere Beteiligung des Publikums. Die konventionelle Auffassung, daß es den Zuschauer passiv mache, schießt weit übers Ziel. Es verlangt eine mdtgestaltende Reaktion.

DIE WICHTIGSTE AUFGABE DES FERNSEHENS ist, die Welt ins Zimmer des Teilnehmers hereinzubringen und ihn miterleben zu lassen, was irgendwo geschieht. Es kann also das objektivste Medium sein, es kann anregem, aktivieren. Es zwingt zur Stellungnahme zu Informationen aus aller Welt, von denen der Mensch der Vorfernsehzeit keine Ahnung hatte.

Ja, es ist ein gefährliches Medium, das ein Fidel Castro als „Telekrat“ verwendet, wie ein Hitler den Hörfunk als „Trommler“. Es schafft Moden und Gebräuche; ebenso wie der Film den Afro-Asiaten den Konsumgüterreichtum des einfachen weißen Mannes zeigte und sie neidisch machte. Aber es ist ein Medium der ungeahnten Möglichkeiten, zum Guten wie zum Bösen!

DAS „FERNSEHKIND“ der gleichen Eltern wie das ältere Kind, das vor dem „Fernsehzeitalter“ geboren wurde, ist vifer, informationsfreudiger und weltnäher. Wenn es mit dem Großvater die Pressekonferenz der Politiker anschaut, ist die erste emst- zunehmende erzieherische Rolle des Fernsehens deutlich geworden. Das Fernsehen wird zum Lernvorgang, es verlangt aktive Anteilnahme, Zwiegespräch und gesamtpersönliche Wirkung. Ob es einmal in ganz großem Stil ins Schulzimmer ein-

dringen wird, ist unwichtig. Die Revolution hat schon zu Hause stattgefunden.

Das Fernsehpublikum verlangt nach tieferem und vor allem nach umfassenderem Wissen.

WIE DAS TELEPHON Sprache ohne Wände und die Photographie Museum ohne Wände war, so kann das Fernsehen Klassenzimmer ohne Wände sein.

Ich höre schon die Kassandrarufe von der Langeweile des Brustbildunterrichts der Professoren. Über diese Bemerkungen der Frühzeit kann man ruhig hinwegsehen. Die Gestalter der deutschen drei Fernsehprogramme, der Bildungsprogramme der BBC und des ITV in Großbritannien haben sie längst überwunden.

Zunächst soll aber hier noch nicht vom Fernsehkurs gesprochen werden. Das Ästhetische und Künstlerische einer guten Fernsehsendung wirkt im Zeitalter des Geschmacksverfalls prägend. Die Forderung nach einem kritischen Fernseher hat zu einer Vergabe von Fernsehpreisen gerade von kulturellen Organisationen her in mehreren westeuropäischen Ländern geführt.

ALS TEILNEHMER EINER JURY für den „Adolf-Grimme-Preis“ der deutschen Volkshochschulen, der kürzlich in Marl bei Recklinghausen zum fünften Male vergeben wurde, habe ich die Wirksamkeit einer solchen Bemühung auf die Öffentlichkeit und die öffentliche Meinung beobachten können.

Eine eigene Jury von Journalisten, eine zweite für den wissenschaftlichen Film und eine Hauptjury, bestehend aus Volksbildnem, Fernsehleuten und Journalisten, haben in tagelanger Arbeit gezeigt, wieviel Künstlerisches die deutschen Fernsehanstalten bereits produzieren. „Das ausgefüllte Leben des Alexander Dubronski“ (Zweites Deutsches Fernsehen) zeigt in einer geistreichen Zeitsatire den tierischen Ernst der „verwalteten Welt“. Helmut Käutner wurde für seine hervorragende Fernsehkomödie „Valentin Katajews chirurgische Eingriffe in das Seelenleben des Dr. Igor Igorowitsch“ nach Katajews „Die Zeiten der Liebe“ ausgezeichnet.

Bei dieser Gelegenheit wurden auch zum erstenmal in einer „Kursjury“ die beachtlichen Leistungen der Kurs- und Studienprogramme der deutschen Rundfunkanstalten deutlich. Als Mitglied dieser Kursjury konnte ich sowohl die Verschiedenartigkeit der pädagogischen und mediumartigen Gestaltung solcher Kursprogramme beobachten als auch ihre zum Teil bereits hohe Fernsehqualität feststellen. Zum Schluß wurden die Sendungen „Biologie im Telekolleg“ (eine reine Unterrichtssendung aus Bayern) und die hervorragende Reihe für junge Mütter „Ein Kind wächst heran“ des Hessischen Runfunks ausgezeichnet.

Diese Lehr Sendungen zeigen die zwei möglichen Typen des Fernsehlemens. Dem Lehrer im Biologieunterricht des Telekollegs stehen die ungeahnten didaktischen Möglichkeiten des Fernsehens, aber auch die Strenge eines visuell gestalteten Unterrichts zur Verfügung. Die Mütterschule des Hessischen Fernsehens zeigt nur selten den gestaltenden Arzt, dessen interessante Ausführungen — gemeinsam mit einem Psychologenteam erarbeitet — durch Filme über die Entstehung des Kindes, den Blutaustausch bei Rhesuskindem, die Kindheitssituationen vom frühesten

Alter bis zur Reife illustriert werden. Informationen erfolgen durch qualifizierte Sprecher im „off“ (das heißt als die Filme begleitende Texte). Beide Sendungen wurden in den jeweiligen Programmen je 25 Minuten lang an Abenden durch dreizehn Wochen hindurch ausgestrahlt.

Eine Bronzemedaille erhielt die Unterrichtssendung des „Senders Freies Berlin“ mit dem Titel „Rechtsfälle des Alltaigs“, welche in witzigen Fernsehspielchen Ehren- beleidigungs-, Erbschafts- und ähnliche Fälle eines großen Zinshauses köstlich gespielt darstellt.

Daneben wurde dem bekannten Schweizer Amateurbiologen Hans Traber für seine großartigen Beobachtungen der Welt im Mikroskop in den bayrischen Seen und Flachmooren, die er in der Sendereihe „Leben unter der Lupe“ festhielt, ein Anerkennungspreis gewidmet.

AUCH DIE ÖSTERREICHISCHE VOLKSBILDUNG hat am 12. März

1968 im Palais Palffy zum ersten Male einen Fernsehpreis verliehen. Er wurde an den Journalisten und Zeitgeschichtler Hellmut Andics für seine Sendung „15. Juli 1927“, an den bekannten Filmregisseur Eduard von Borsody für den Film „Auf den Spuren von Joseph Roth“ und an Dr. Marcel Prawy für die Gestaltung und Interpretation der Sendung „Der Opernführer: Madame Butterfly“

gegeben. Außerdem erhielt der siebenundzwanzigjährige Kameramann Dieter Wittich für die künstlerische und neuartige Art der Kameraführung bei den Sendungen „Auf den Spuren von Joseph Roth“, „Macht und Geheimnis der Kathedralen“ und „Wir: das Marchfeld“ einen Preis.

Durch die Hervorhebung der informativen und künstlerischen Bedeutung dieser Sendungen und Mitarbeiter des Mediums wurde die hohe Qualität einzelner Präsentationen des österreichischen Rundfunks deutlich. Von den huschenden Phantomen weg entwickelt sich bei den Mitarbeitern und den Kritikern des Fernsehens langsam ein eigenes „Fernsehgedächtnis“.

DAS HÖCHSTE STADIUM EINES FERNSEHUNTERRICHTS ist die Aussprache über Fernsehkurse im Anschluß an eine Sendung oder mit Bezug auf eine solche. Die Rückkopplung, welche die Kritik des Fernsehers für die Femsehanstalt ermöglicht, ist eines ihrer Ziele, die Erweiterung des Lernens und Wissens durch Befragung eines Fachmannes und Lehrers ein anderes. Solche Fernsehkreise gibt es in der Sowjetunion und Osteuropa seit längerer Zeit, seit kürzerer Zeit auch in der Bundesrepublik. Sie sollten von allen Institutionen der Erwachsenenbildung in Österreich in viel weiterem Maße ausgebaut werden, als dies bisher schon der Fall ist.

So verbinden sich die Alpträume der Nacht mit den rosigen Aspekten des Tages zu einer großen Aufgabe für Massenmedien und Volksbildung: die Bildungsaufgabe des Fernsehens nicht zu übersehen, auch wenn es sich nach dem Infratest heute nur um Prozente der potentialen Fernsehzuschauer handelt.

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