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Uber den richtigen Umgang mit der Mattscheiben-Realität

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In Deutschland verbringen die Sechs bis 13jährigen täglich fast drei Stunden vor dem Fernseher. In Osterreich dürfte es ähnlich sein. Fernsehen ist bei Kindern und Jugendlichen zu einem Teil des Alltags geworden. Optimisten halten es für eine intellektuelle Betätigung, welche die Phantasie anregt, zu eigenen Überlegungen Anlaß gibt und die Bildung fördert. Pessimisten fürchten, daß die Kinder in die Passivität getrieben werden oder durch das Überangebot an Gewalt Aggressionen entwickeln.

Die Diskussion über die Sinnhaf-tigkeit des TV-Konsums von Kindern und Jugendlichen ist fast so alt wie das Fernsehen selbst. Die Bealität aber hat längst entschieden. Es geht nur darum, was in welcher Form wie lange gesehen werden sollte, um die positiven Effekte zu nützen, ohne die negativen in Kauf nehmen zu müssen. Be-gina-und Helmut Brandstätter versuchen mit ihrem Buch „Fernsehen mit Kindern: ein Batgeber für Eltern” eine Orientierungshilfe zu geben.

Die erste Kindersendung im OBF lief 1955. Die Urania-Puppenbühne spielte „Der Froschkönig”. Ab 1959 gab es ein regelmäßiges Kinderfernsehprogramm. Damals folgte man der Programmphilosophie, daß Kinder vor Konflikten bewahrt werden müßten. Daher beschränkte man sich auf Puppen- und Schattenspiele, Bilderbuchgeschichten und Märchen. Erst gegen Ende der sechziger Jahre hielt man es für nötig, die Kleinen auf den Alltag vorzubereiten, sie mit Konfliktsituationen zu konfrontieren. Sie sollten unterhaltsam gefördert und ohne Zeigefinger informiert werden. Auf Kinder wirkt die Fernseh-Wirklich-keit oft plastischer und anschaulicher als die Realität des Lebens. Das kann sogar so weit gehen, daß sie den elektronischen Bildern mehr glauben als ihren eigenen Augen.

Da die Kleinen über eine noch eingeschränkte Erfahrung verfügen, können sie das auf der Mattscheibe Gesehene nicht in Beziehung zu Erlebtem setzen. Ein Kapitel des Buches widmen die Autoren der oft hitzig geführten Debatte um die Gefährlichkeit von Gewaltdarstellungen für Kinder. Inzwischen soll es an die 5.000 Studien zu diesem Thema geben. Ein Experte auf dem Gebiet der Kinderprogrammgestaltung ist Jo Groebel. Nach seinen Berechnungen haben 14jährige bereits etwa 14.000 Morde im TV und auf Video gesehen. Die größte Ballung an Gewaltverbrechen weist das Vorabendprogramm auf, das auch von den sehr Jungen konsumiert wird. „Es Jpesteht kein Zweifel, daß besonders jüngere Kinder trotz des zum Teil spielerischen Umgangs mit einzelnen aggressiven Programmen durch Häufung und Intensität von Mediengewalt in ihrer Wahrnehmung, ihren Einstellungen und ihrem Verhalten beeinflußt werden ”, so Groebel. Da sich die Fernsehanstalten um ihr Image sorgen, haben die meisten Richtlinien erlassen, welche die Zahl der Gewaltszenen eindämmen sollen. Der Erfolg erscheint eher mäßig.

Das Taschengeld deutscher Kinder wird insgesamt auf zwei Milliarden Mark geschätzt. Kaufentscheidungen im Umfang von 100 Milliarden Mark sollen von den Kleinen mitbeeinflußt werden. Wen wundert es da, daß die Sender immer heftiger durch spezielle Programme um junge Zuseher buhlen, ermöglichen hohe Einschaltquoten doch hohe Werbeeinnahmen. Besonders die privaten Sender haben ihr Herz für die Jungen entdeckt. Manche Kinderprogramme wirken wie Bahmenprogramme für Werbung.

Aber was sagen die Kinder selbst zu ihren Fernsehgewohnheiten? Die Autoren befragten dazu Volksschulkinder. Daniel, neun Jahre alt: „Ich schau immer Fernsehen. Fred, Barney und Yabba-dabba-doo. Bis um sechs Uhr schau ich Fernsehen, und dann mach ich die Aufgabe. Der Fernseher läuft immer. Mein Papa schaut auch.” Die achtjährige Anja: „Ich frag immer, ob ich fernsehgucken darf, und dann guckt mein Papa immer in die Fernsehzeitung, und dann guck ich das, was der Papa auch gerne guckt, zum Beispiel Western und so etwas.” Oder Sophie, sieben Jahre: „Samstag guck ich, glaube ich, so eine Viertelstunde. Ungefähr acht Sendungen hintereinander.”

Aus theoretischen Überlegungen und praktischer Erfahrung (die Autoren haben selbst zwei Kinder im Vorschulalter) werden sieben Tips für sinnvolles Fernsehen abgeleitet:

■ Eltern und Kinder sollen das Programm gemeinsam sorgfältig und maßvoll auswählen.

■ Eltern sollen immer zusammen mit ihren Kindern fernsehen, um Unverständliches klarzumachen und Ängste abzubauen.

■ Im Anschluß an die Sendungen soll das Gesehene und Gehörte diskutiert werden.

■ Den Programmen können Anregungen für andere Freizeitgestaltungen entnommen werden.

■ Das Fernsehen darf nicht als Druckoder Erziehungsmittel eingesetzt werden, um ihm keine falsche Bedeutung zu verleihen.

■ Die Eltern müssen in ihrem Umgang mit dem Fernsehen Vorbild sein.

■ Den Kindern sind Alternativen zum Fernsehen zu bieten.

Den größten Teil des Buches nimmt eine Übersicht über mehr als 200 Sendungen der Kinderprogramme deutschsprachiger Fernsehanstalten ein. Sie wurden in sieben Kategorien eingeteilt (Puppenspiele, Kinderspielserien, Quiz und Ratespiele, In-formations- und Magazinsendungen, Familienserien und Zeichentrickfilme) und alphabetisch geordnet. Neben einer kurzen Inhaltsanalyse, Angaben zur Länge und zur empfohlenen Altersstufe findet sich auch eine, allerdings zu kurze und schablonenartige, Bewertung der Sendungen

Das Resümee der Autoren lautet jedenfalls: Selektiver Fernsehkonsum kann Kindern Bildung vermitteln und ist zumindest unterhaltsam.

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