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Uberwundene Schwierigkeiten

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Als größter Aktivposten der Kirchenmusik im Lauf der letzten Jahre ist die Opferfreudigkeit der Wiener Kirchenchöre zu buchen. Hier muß einmal das Hohelied auf den Chorgeist der Kirchensänger gesungen werden. Ein Außenstehender kann sich keinen Begriff machen, welcher Mut und welcher Idealismus dazu gehörte, tätiges Mitglied eines Kirchenchores zu sein. Äußere Anerkennung gab es nicht, die Zeit für Proben und Aufführungen mußte man sich abstehlen. Wenn der Kuckuck rief, sang man unbeirrt weiter, erst bei Fliegeralarm raste man die Chortreppen herunter, um irgendwo Schutz zu suchen. Die Zahl der Kirchenmusikaufführungen im Jahre ist nicht gar so klein; sie mag wohl zwischen 50 und 100 schwanken.' Der Prozentsatz der durch Zeitverhältnisse ausgefallenen Aufführungen ist verschwindend klein, viele Kirchenchöre haben überhaupt keine Aufführung ausfallen lassen. Dafür sei den Wiener Kirchenmusikern gedankt!

Nach der Befreiung Österreichs konnte sich auch die Kirchenmusik, die früher gerne in einen Topf mit der berüchtigten „politisierenden Kirche“ geworfen wurde, wieder frei entfalten. Nicht nur, daß uns die Pressefreiheit wiedergegeben wurde, auch die Behörden erkennen den zwiefachen Wert der Kirchenmusik an, einmal als Kunstfaktor und dann als pädagogisches Mittel. Denn unter den Wegen, die zur Kunst führen, ist der kirchenmusikalische bestimmt nicht der schlechteste. Dazu kommt die Tatsache, daß die Kirche heute der einzige Ort ist, an welchem das Volk noch gemeinsam singt.

Die Abteilung für Kirchen- und Schulmusik wurde wieder ins Leben gerufen, an ihrer Spitze steht wiederum Prof. Lechtaler, ein Name, der für Niveau und österreichischen Geist bürgt. Die Musica divina wird in Kürze wieder erscheinen — Österreichs Kirchenmusik hat wieder ihr Sprachrohr!

Von größter Bedeutung ist das rasch aufblühende Chorleben. Tenor und Baß füllen sich wieder mit Heimkehrern, junge Kräfte sind am Werk und es wäre zu wünschen, daß die „Geistliche Stunde“ der Ravag bald wieder den Kirchenchören offen stünde. Von kirchlicher Seite wird alles getan, um die materielle Lage der Kirchenmusiker zu verbessern, die ja die Idealisten unter den Musikern sind. (Man vergleiche einmal das Monatseinkommen etwa eines Jazztrompeters mit dem eines Chorregenten und man wird sich für die heutige „Kultur“ schämen müssen.)

Nicht zuletzt ist der Wiederaufstieg der Kirchenmusik gewährleistet durch die Gründung des „Verbandes für katholische Kirchenmusik“, der vorderhand für die Wiener Erzdiözese besteht und sich später über ganz Österreich erstrecken soll. (Sitz des Verbandes ist Wien, I., Singerstraße 26, Abteilung für Kirchen- und Schulmusik.)

Es gilt nun, auch die Wunden zu heilen, die der unselige Krieg der Kirchenmusik geschlagen hat. Wie viele Orgeln und Musikarchive vernichtet wurden, kann zur Zeit noch nicht überblickt werden, doch dürfte ihre Zahl nicht so gering sein, als man wünschen möchte. Am schwersten hat der Stephansdom gelitten. Die Walckersche Rie-senorgel und die Riegersche Chororgel sind restlos, das berühmte Dommusikarchiv fast zur Gänze verbrannt. Mit bewundernswerter zäher Energie schafft der 71jährige Domkapellmeister Hofrat Habel am Wiederaufbau der Dommusik, eine Musikergestalt, würdig seiner großen Vorgänger am Dom.

Man -wird die Kirchen wieder aufbauen und ihnen ihre äußere Gestalt wiedergeben. Wie werden die Orgeln aussehen, die man hineinstellen wird, und wie werden sie klingen? Wir glauben heute einen eigenen, zeitgemäßen Orgeltyp gefunden zu haben, sind aber andererseits auch in der Lage, jeden beliebigen historischen Typ mit ziemlicher Genauigkeit nachbilden zu können. Wie die Synthese aussehen wird, müssen wir der Zukunft überlassen, die den österreichischen Orgelbau (der bisher zum großen Teil auf Import angewiesen war) vor ernste Probleme stellt.

Zum Schluß möchten wir noch der Hoffnung Ausdruck geben, daß sich die schöpferischen Kräfte der österreichischen Kirchenmusik bald regen möchten, daß der Stamm, der bereits viele gute Namen, wie Wöß, Goller, Springer, Lechthaler, Koch usw., hervorgebracht hat, bald neue Blüten ansetzen möge, zur Ehre und zum Ruhm der musica sacra austriaca!

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