Über den Nicht-Glauben

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"Mein Atheismus ist radikal und allgemein": Der Philosoph rudolf burger im Gespräch mit johannes kaup. Vorabdruck aus dem Gesprächsband mit prominenten Zeitgenossen "Woran ich glaube".

Johannes Kaup: In Ihrem Buch "Überfälle. Interventionen und Traktate" findet sich so etwas wie eine Selbstbeschreibung Ihres philosophischen Tuns: "Der Philosoph ist fast immer einer, der nach dem Rechten sieht. Der Skeptiker geht aber nicht aufs Ganze, nicht nur, weil er nicht weiß, was das Ganze ist, sondern auch, weil es ihn nichts angeht." Das ist ein, gelinde gesagt, starkes Zitat vor dem Hintergrund, dass die große Tradition der Philosophie sich immer als ein Fragen nach dem Ganzen und dem Grund und auch als ein Fragen nach Gott verstanden hat. Wieso geht Sie das nichts an?

Rudolf Burger: Weil ich, ebenso stark, knapp und vielleicht brutal gesagt, der Meinung bin, dass nach gut zweieinhalb Jahrtausenden Philosophiegeschichte und - wie Sie sagen - der Suche nach dem Ganzen, der Suche nach der Transzendenz, letztlich der Suche nach dem Gott das Thema erledigt ist. Irgendwann wird man spleenig, wenn man eine Suche nicht aufgibt, nachdem man jahrtausendlang gesucht und nichts gefunden hat. Aber das war eine sehr sarkastische Bemerkung. Die Philosophie ist nicht dazu da, um zu trösten, sondern um falschen Trost zu destruieren. Wer Erbauung sucht, mag zusehen, wo er sie findet, sagt Hegel. Die Philosophie aber muss sich hüten, erbaulich sein zu wollen.

Kaup: Atheisten und viele Agnostiker lehnen Gott ab, weil sie zu dem Schluss gekommen sind, ein guter Gott könne sich nicht vertragen mit dem Bösen, den Ungerechtigkeiten, den Naturkatastrophen, die unterschiedslos über den Menschen hereinbrechen. Das ist ein verständlicher Reflex auf die unlösbare Theodizeefrage, und man könnte sagen, man hat hier nichts Göttliches, keine göttliche Antwort gefunden. Aber mir hat noch kein Agnostiker und Atheist erklären können, woher trotzdem das Gute kommt. Wieso setzt es sich trotzdem durch? Woher das?

Burger: Ich weiß nicht, ob man die Frage nicht umgekehrt stellen muss. Die Skeptiker wollten die Antwort auf die Frage, was das Gute, das Glück sei, und das Wissen darum verhindern, weil sie der Ansicht waren, dass der Glaube, zu wissen, was das Gute sei, selbst das Böse ist. Und die Geschichte gibt ihnen in meinen Augen in höchstem Maße recht. Die größten Gräuel der Geschichte, wenn ich das hinzufügen darf, sind geschehen aus einer kollektiven Überzeugung heraus, dass man wisse, was das Gute sei und wie man es zu realisieren habe. Und dabei gibt es die größte Zahl von Opfern.

Kaup: Ist Ihr "Nein" zu Glaube, Kirche und Gott ein Nein zum christlichen Gott, wie Sie ihn verstehen, oder ist es ein fundamentales Nein in dem Sinn, dass Sie Gott überhaupt für eine Projektion, eine Wunschidee, eine Täuschung halten, die vielleicht manchem Schwachen hilft?

Burger: Letzteres. Mein Agnostizismus, oder wie ich ehrlicherweise sagen muss: mein Atheismus ist radikal und allgemein. Aber selbstverständlich ist mir klar, dass der Gott, gegen den ich denke, der christliche Gott ist, näherhin: der katholische Gott. Ich habe mich einmal ironischerweise als einen katholischen Atheisten bezeichnet. In der Gestalt des katholischen Gottes trat mir die Gottesidee durch meine Umgebung, nicht meiner familiären, meiner kulturellen Umgebung entgegen.

Kaup: Verstehen Sie sich als ein durch die Evolution beiläufig entstandener und mit Intelligenz begabter Zellhaufen, als ein Zufallsprodukt, so dass Sie sinnlos geboren werden, aufblühen und dann sinnlos zunichte werden?

Burger: Ja. Ich hoffe, dass Ihre Beschreibung, mit Intelligenz begabt, dass sie einigermaßen der Wirklichkeit entspricht. Ja, genauso verstehe ich das.

Kaup: Ist das nicht eine nihilistische Position?

Burger: Ja. Auch wieder kleingeschrieben verstehe ich mich als Nihilisten, was nicht heißt, dass alles sinnlos sei, nur, dass das Ganze keinen Sinn hat.

Kaup: Sind Sie der Ansicht, dass Sie Ihr Leben mit dem letzten Atemzug aushauchen? Sie meinen: "Leute, das war's, der Vorhang fällt, passé, aus?"

Burger:Wenn das Bild nicht so pathetisch wäre, ja.

Kaup: Wie begründen Sie dann ethisches Handeln? Woran hält sich jemand wie Sie, der nicht glauben kann, dass es Gerechtigkeit, Wahrheit in einem fundamentalen Sinn überhaupt gibt?

Burger: Zunächst als erste Antwort: An Üblichkeit, das macht man so. Als zweite würde ich sagen: Eine Moral, die sich an etwas hält, das heißt an eine heteronome Setzung eines Gebotes, des Dekalogs oder was immer, ist in meinen Augen unmoralisch, weil sie die Freiheit, die absolute Freiheit des Subjekts negiert. Nur aus der reinen Autonomie, aus der Selbstsetzung heraus kann wirklich moralisches Handeln geschehen. Und hier gibt es sehr wohl Gerechtes und Ungerechtes. Ich halte alle rassistischen Theorien für falsch und in der Konsequenz für unmoralisch und ungerecht. Ich bin auch der Empörung fähig, der Aufregung, auch des Engagements.

Kaup: Weshalb, wenn das Ganze keinen Sinn macht?

Burger: Weil es so ist, weil ich Empörungen empfinde.

Kaup: Da interessiert mich noch eine Frage: Was ist denn für Sie mit den Opfern unserer Geschichte, unserer Welt? Denken wir an Millionen von Kindern in vielen Gegenden unserer Welt, kaum werden sie geboren, können gehen, werden sie dahingerafft durch Hunger, Seuchen, Gewalt und Krieg. Landen die sozusagen unerfüllt und um das Leben betrogen auf dem Müllhaufen der Geschichte? Sind die für ewig verloren?

Burger: Ja. Ja!

Kaup: Empört Sie das nicht?

Burger: Doch. Ich kann da nur mit Gottfried Benn antworten: "Die Welt ist nicht mein Wurf und die Erkenntnis nicht mein Jammer."

Kaup: Was gibt Ihnen denn persönlich in Ihrem Leben Hoffnung, worauf vertrauen Sie?

Burger: Dass ich noch ein paar Jahre zu leben habe, die ich einigermaßen angenehm und befriedigend verbringen kann.

Kaup: Wenn Sie auf Ihr Leben zurückblicken und Sie stehen vor der Pforte des Todes: Was möchten Sie dann gewesen sein, erreicht haben, welchen Sinn soll Ihr Leben gehabt haben?

Burger: Ich möchte mich vor mir selber nicht schämen müssen.

Kaup: Sie haben also vor dem Tod keine Angst?

Burger: Nicht im Augenblick. Das kann schon noch kommen. Ich bin auch nicht so sicher, ob man eine Situation, so eine Haltung durchhalten kann. Es ist nicht möglich, meine ich, wie das die Heidegger-Philosophie versucht, den Tod zu seinem Eigenen zu machen, im Denken an seine eigene Endlichkeit ihn ins Leben hereinzunehmen. Ich glaube nicht, dass das möglich ist. Ich werde entweder körperlich verfallen, eine Krankheit wird mich wegraffen, ein Unfall wird mich treffen,vielleicht werde ich erschlagen: Das heißt, der Tod kommt zu mir. Er ist das absolut Andere meiner selbst. Man weiß nicht, wie man in der Situation reagiert. Vielleicht gibt es dann im Moment der Schwäche den Herzensschrei nach einem transzendenten Trost. Das ist möglich. Ich weiß nicht, ob es nur christliche Propaganda ist, die gesagt hat, dass auch ein Voltaire in seiner letzten Stunde gläubig wurde. Ich weiß nicht, ob es nur christliche Propaganda ist, dass der offensichtliche Agnostiker Montaigne sich die Sterbesakramente hat geben lassen. Möglicherweise hat er sie sich geben lassen,weil er so gelebt hat, wie ich schon sagte: Man tut es eben, was macht man sich Scherereien mit der Umgebung? Ob er wirklich geglaubt hat, weiß ich nicht. Vielleicht hat er es in den letzten Minuten getan. Vielleicht hat er diesen Trost gebraucht. Warum nicht?

Kaup: Aber Sie schließen das nicht aus?

Burger: Ich bleibe als Skeptiker auch mir selbst gegenüber skeptisch.

Woran glauben Sie?

Gespräche mit Sinnsuchenden

Von Johannes Kaup. Styria Verlag, Wien 2004. 256 Seiten, geb. e 22,-

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