6700081-1963_24_11.jpg
Digital In Arbeit

Über den Prozeß des Schreibens

Werbung
Werbung
Werbung

WERKSTATTGESPRÄCHE MIT SCHRIFTSTELLERN. 15 Interviews. Von Horst B i e-nek. 224 Seiten, 15 Photos. Carl Hans er-Verlag, München, 1962. Preis: Leinen IS DM, Paperback 12.80 DM.

Angeregt durch das Interview eines Jungen Amerikaners mit William Faulkner — „Ich erfuhr mehr daraus als aus allen Essayt über ihn“ — hat Horst Bienek „Werkstattgespräche“ mit 15 repräsentativen deutschschreibenden Schriftstellern geführt, die zunächst über den Funk gesendet wurden und nun auch als Publikation vorliegen.

Bienek geht bei seinen Interviews so Tor, daß er mit jedem Autor über ein besonderes, sich aus seinem Gesamtwerk ergebendes Zentralthema spricht und dabei die Phasen des schöpferischen Prozesses, Bedingungen und Methode des Schreibens allgemein herauszukristallisieren versucht.

Was das Besondere angeht, so steht in dem Interview mit Hans Erich Nossack etwa die Frage nach der Existenz, der „Aufbruch ins Nichtversicherbare“ im Mittelpunkt; bei Wolfgang Koeppen das Thema der Moral, die Auflehnung gegen bürgerliche Tabus; bei Martin Walser die Freude am Detail; bei Max Frisch das Thema der Identität, um nur einige Beispiele zu nennen.

Was das Allgemeine betrifft, so fällt auf, daß in diesen Interviews sehr viel von Fleiß und geregeltem Arbeitspensum des Schriftstellers die Rede ist. Die Zeit, in der der Dichter ein „leidender Bohemien“ war, scheint endgültig vorüber! Friedrich Sieburg stellt beinahe vorwurfsvoll fest, daß die junge deutsche Schriftstellergeneration „sehr geschäftstüchtig, sehr ehrgeizig und sehr erfolgreich ist“. Auch soziales und politisches Engagement spielt nicht selten eine Rolle. Intuition und Imagination dagegen, als Voraussetzung des schöpferischen Gestaltens, werden nur von einigen erwähnt, während sich beinahe alle Befragten über das Greifbare beim Prozeß des Schreibens, über Konstruktion und Komposition des Werkes, gründlich Gedanken machen. Aber irgendwo rückt dann doch das Unerklärliche, rational nicht Faßbare in der Arbeit des Schriftstellers ins Blickfeld. Das zeigt sich am deutlichsten bei der Frage nach dem „Eigenleben des Kunstwerkes“, die Bienek in fast jedem Interview stellt. Hier ergibt

sich die seltsame Tatsache, daß selbst denen, die nach einem festen Konzept arbeiten, ihre Figuren irgendwie davonlaufen. „Ein Kunstwerk, einmal begonnen, löst sich vom Intellekt des Schöpfers und nimmt, von welchen Mächten auch immer gelenkt, seinen eigenen Weg“ (Bienek). Heinrich Boll zum Beispiel sagt, daß nur die Personen, die, bevor er zu schreiben anfängt, unwiderruflich tot sind, „festgelegt“ seien; alle anderen entwickeln sich auf ihre eigene Weise, entschlüpfen jedem vorherigen Plan. Noch deutlicher schildert Hermann Kesten diesen Vorgang: „Ich weiß, welche Nebenpersonen, welche Hauptpersonen ich aufführen will, ich weiß den Fortgang der Erzählung. Aber inmitten der Arbeit verändert sich alles ... Nicht ich, der ich diesen Roman geschrieben habe, lenkte seinen Verlauf, kommandierte die Aktion und die Figuren, ihre Welt und ihr Leben, sondern meine Figuren taten es selber, kaum daß gb zu leben begannen, kaum daß sie mir ein Stück meines besten Lebens geraubt hatten...“

Man erfährt also aus diesem Interview sehr viel Interessantes: über persönliche Neigungen und Abneigungen unserer Schriftsteller, über ihre Schreibtechnik und ihre Arbeitsbedingungen. Aber man sieht auch, daß es keine Rezepte, keine Methode des Schreibens gibt. Eine Frage Martin' Walsers an Bienek bleibt im Gedächtnis haften: „Glauben Sie, Sie hätten nun wirklich etwas Vertrauenswürdiges über die Methode, über die Art dieser Schriftsteller zutage gefördert? Ich bezweifle es ein bißchen, ob das möglich ist.“

Wir schließen uns diesem Zweifel an. Was bleibt aus den Gesprächen, ist immer noch genug: Einige wesentliche Hinweise auf den Zustand und die Vielstimmigkeit der modernen deutschen Literatur und die Erkenntnis, daß alle echte Poesie, heute wie eh und je, sich nicht einfangen läßt in Plänen und Systemen. Sie ist und bleibt „der Zauberspiegel der Zeit, welche nicht ist“ (Jean Paul). Alles Schöpferische geht seine eigenen, im letzten unergründlichen Wege. Anneliese Dtmpi

DIE CHIMÄRE AUS AREZZO (5. Jh. v. Chr., jetzt Florenz, Archäologisches Museum) ist das berühmteste in Arezzo gefundene Bronzewerk aus den dortigen metallverarbeitenden etruskischen Werkstätten. Die antike Schriftsteller zählen Arezzo (Arretium) zu den zwölf großen autonomen Städten des etruskischen Bundes. Die zwölf Städte verband eine gemeinsame Religio; aber ein Etruskerreiclt im politischen Sinn hat es nie gegeben. Das hier abgebildete Fabeltier — Löwenkopf, auf dem Rucke der Kopf eines Ziegenbocks, als Schweif eine Schlange — zeugt von dem eigentümliche Hang der Etrusker zum Absonderliche, Abstruse, Schreckerregende. Und auch das gehört zu de vielen noch ungelösten Fragen nach dem „etruskischen Geheimnis“, etwa nach dem Ursprung dieses Volkes, dessen Schrift noch immer nicht ganz enträtselt werden kote. In Etrurie, zwischen Florenz und Rom, abseits von der große Heerstraße der Italienurlauber, erwartet auch de heutigen Reisenden eine Entdeckungsfahrt alten Stils, er tut daher gut daran, sich vorher über die verborgenen Schätze dieses auch heute noch stillen Landes entsprechend zu informieren. Dazu verhilft ihm ein Reisebuch und ein Bildband in einem: „Land der Etrusker“ von Karl Lukan. Durch die wissenschaftlich exakte, lebendige Beschreibungen der Fundorte, der Ruinenstädte und der Gräber, die mit 125 ausgezeichnete Photos hauptsächlich von Gerhard Klamm et und durch 36 Zeichnungen und Wegskizzen illustriert sind, wird der Leser zugleich auch in die Etruskologie eingeführt, was diese schöne Publikation des Wiener Antou-Schroll-Verlages (Preis 156 S) besonders schätzenswert macht. Marti PI achner

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung