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Überwelt und Innenwelt

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Teilbard de Chardin hat erklärt, es sei höchstes Gesetz der Sittlichkeit, alles in die Richtung des größten Bewußtseins zu drängen, ja, eine Beschränkung dieser Kraft sei Sünde. Eben dies zeigte Goethe im „Faust“ auf dem Weg vom Teufelspakt zur Erlösung. Schon Strindberg stellte fest, daß man das Werk verstümmle, wenn man, wie üblich, nur den ersten Teil spiele. So ist es zu begrüßen, daß sich in der nächsten Zeit sowohl „Faust I“ als auch „Faust II“ im Spielplan des Burgtheaters befinden.

Wie die Inszenierung des ersten Teils der Dichtung wurde auch die des zweiten Teils von den Salzburger Festspielen mit nur geringen Änderungen übernommen. Zweifellos gehört die Wiedergabe dieser allegorienträchtigen Phantasmagorie zu den schwierigsten Aufgaben der Bühne. Doch gelingt es Leopold Lindtberg als Regisseur, sie aus den Regionen des Literarischen zu lösen und weitgehend ins Szenische umzusetzen. Bei der Kürzung der Verse auf etwa die Hälfte — Spieldauer in Salzburg viereinviertel Stunden, in Wien eine halbe Stunde weniger — wurde das dramatisch Wirksame und für den Gesamtablauf Entscheidende, das Spielbare und Anschauliche aneinandergerückt, wodurch eine weitgehende Geschlossenheit entsteht.

Das Geistige dieser Dichtung entfaltet sich in Vorgängen von besonderer Phantastik auf einer Vielzahl optisch Überaus ergiebiger Schauplätze, wie sie kaum ein anderes Bühnenwerk gleichermaßen aufzuweisen hat. Der gewaltige Aufwand an Darstellern, Tänzern, Bühnenbildern und Kostümen bietet dem Auge Außerordentliches, aus dem Geistigen ersteht geradezu prun-kend-sinnliche Vielfalt. Auch hier binden die Chöre — großer Vorzug der Inszenierung — das Überquellende vom Verbalen her zur erlebnismäßigen Einheit. Alles Choreographische freilich bleibt trotz der überlegenen Führung der Tanzgruppen durch Dore Hoyer allzusehr ballettmäßig, das sind keine Elementargeister, das sind Trikotdamen, die sie darstellen. Überhaupt bleiben die geheimnishaften Vorgänge immer noch viel zu greifbar, das Irreale läßt die Mache spüren. Entscheidender Eindruck: Das Absurde — Mephisto spricht davon —, das Klaffende, Diskrepante der Welt, wie sie hier in Erscheinung tritt, wird durch die Dekorationen von Teo Otto verharmlost. Er bietet mitunter durchaus reizvolle Bildvisionen, aber das Geglitzere und Geschimmere der Geheimniswelten geht allzuoft ins billig Märchenhafte, ins süßlich Kunstgewerbliche über. Teo Otto beeinträchtigt die Leistung von Leopold Lindtberg.

Thomas Holtzmann kommt in diesem Teil als Faust über seine innere Steifheit nicht hinweg, mit knarrend lauter Stimme betont er fast gleichmäßig jedes Wort. Will Quad-flieg bietet als Mephisto die stärkste schauspielerische Leistung der Aufführung, er legt ihn auf die Dämonie geschmeidiger Beweglichkeit hin an. Das scharf Intellektuelle kommt etwas zu kurz. Eine besonders klare Sprecherin ist Sonja Sutter als das „klassische Schönheitsideal“ Helena. Unter den überzahlreichen Darstellern heben sich heraus: Wolf gang Stendar als König, Alexander Trojan als Herold, Günther Haenel als Wagner, Michael Janisch als Chiron, Heinz Ehrenfreund als Euphorion.

Pirandello mag in seinem Stück „Man weiß nicht wie“, das derzeit im Kleinen Theater der Josefstadt gegeben wird, die unschuldige Schuld des ödipus vorgeschwebt halben, das von den Göttern über die Menschen verhängte Schicksal. Er führt uns einen Grafen Daddi vor, der an den Rand des Wahnsinns gerät, weil er, wie er vermeint, ungewollt seiner geliebten Frau Ginevra, der Gattin seines Freundes, untreu geworden ist. Es sei dies von ihm, wie schon Ginevra, ein „unschuldiges Verbrechen“, das „man weiß nicht wie“ begangen wurde. Dennoch nimmt Daddi die Verantwortung auf sich und wehrt sich nicht, als sein Freund — Schlußknalleffekt — die Pistole auf ihn anlegt.

Aber Pirandello irrt sich. Hier liegt — im Gegensatz zu ödipus — auch ein inneres Verschulden vor,

eine hitzig-sinnliche Verirrung hat Voraussetzungen, aber echte Liebe bindet so sehr, daß selbst eine flüchtige Vereinigung unmöglich wird. Das Stück sitzt tief. Doch ist es bemerkenswert, daß in dem Land, in dem die meisten Männer der

Meinung sind, daß für sie der außereheliche Verkehr mit größter Selbstverständlichkeit erlaubt sei, hier-Pirandello männliche Untreue zentral mit bohrender Energie zu einer Gewissensfrage macht. Das schwierig zu inszenierende Stück akzentuiert Erik Frey als Regisseur, worauf es ankommt, an den sinngebenden Stellen. Unter den Darstellern überzeugt Karl-Heinz Martell als Daddi, nicht dem Typus nach, wohl aber in den Grenzzuständen des Bewußtspins.

In den Außenbezirksvorstellungen des Volkstheaters gelangte die Komödie „Geliebtes schwarzes Schaf“ von Hans Friedrich Kühnelt zur Uraufführung. In diesem Amüsierstück um eine Schauspielerin, die einst ihrer Schwester den Bräutigam weggeschnappt hat, ersteht eine Schwankwelt, die wir längst versunken glaubten. Unter der Regie von Wolf Dietrich zeichnet Harry Fuss trefflich einen Pantoffelhelden, der mit Leidenschaft Zierflsche züchtet.

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