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Um den großen Frieden unter uns

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Eine gewichtige Botschaft: Die zwischen berufenen Vertretern von Staat und Kirche geführten Beratungen üb,er die obschwebenden eherechtlichen Fragen lassen, wie das Justizministerium verlautbart, die Hoffnung zu, daß „weitere eingehende und sachliche Besprechungen zu einer befriedigenden Lösung für Staat und Kirche führen werden“. Auf welcher. Grundlinie diese einverständliche Lösung gefunden werden kann, hat kürzlich in diesen Blättern Unterrichtsminister Dr. Hurdes mit voller Klarheit umrissen, nicht ohne anzudeuten, daß die friedliche Schlichtung im Bereiche des Eherechtes seine Überzeugung befestigen würde, die Zeit sei reif geworden, auch auf anderem kulturpolitischen Gebiet „einen Schritt zur Klärung der Atmosphäre und damit zur Festigung der verständnisvollen Zusammenarbeit aller aufbauwilligen Österreicher zu tun“.

Durch weite Kreise der Bevölkerung geht ein Aufatmen. Fünf Jahre des „neuen Weges“, der Distanzierung der Kirche von der Parteipolitik, sind nicht umsonst gewesen. Dabei soll nicht übersehen werden, daß Klippen zu überwinden waren und daß die angestrebte Verständigung zwischen Kirche und Staat hier und dort auch manchem Mißverstehen ausgesetzt war. Gelegentlich wurde auch im katholischen Lager die Frage vernehmlich: Tut die Kirche gut daran, sich so sehr um Abkommen und Verträge zu kümmern, zeigen nicht die Schicksale zahlreicher Konkordate ihre Hinfälligkeit auf? Wäre es nicht besser und richtiger, die Anliegen der inneren Reform, der inneren Sammlung und des Neubaus ganz in den Vordergrund zu stellen, statt hartnäckig um möglichst präzisierte rechtliche Vereinbarungen zu ringen? Diese oft persönlich gewichtigen Stimmen wurden aber noch übertönt durch den Chor gegnerischer weltanschaulicher und politischer Kritiker, die der Kirche, wie ihrer Botschaft, so auch ihrer Rechtsträgerschaft die Glaubwürdigkeit absprachen: Kann man ihr denn trauen? Wenn man ihr den kleinen Finger gibt, will sie morgen die ganze Hand. Sie ist unersättlich und strebt nach totaler Herrschaft! — Wie sehr übersahen diese Anschuldigungen in ihrer materialistischen Einkleidung das Wesen, das Unabänderliche der Kirche. In einer Welt, in der täglich das Recht gebrochen wird, in der Verträge splittern wie die Fichten unserer Bannwälder im Aufschlag der Lawinen, in einer Welt, die im privaten wie im öffentlichen Bereich trotz zahlloser Verhandlungen und Kongresse keine zuverlässigen standfesten Bürgschaften der Rechtssicherheit der Völker mehr kennt — in dieser Hölle des Kalten Krieges, des permanent gewordenen Aufstandes gegen Naturrecht, Menschenrechte und göttliches Recht steht die Kirche sichtbar, greifbar, täglich sich manifestierend für alle Gläubigen und Ungläubigen als unerschütterliche Verwahrerin des ewigen Rechts, das die Menschen verletzen, aber nicht aufheben, nicht zum Verstummen bringen können. Unbeirrt durch den Spott der Spötter und die Gewalttat der Täter baut sie am Recht in Geduld und festem Vertrauen. Mit einer großartigen Unbekümmertheit um die Wechselfälle der Geschichte bemüht sie sich deshalb, überall, wo sie nur kann, auf dieser Erde der Gewalttäter Inseln, Territorien des Rechts zu bilden. Als letzte Rechtsmacht, als Schützerin der rechtlichen Grundfesten des, Menschentums schlechthin dokumentiert sie sich dergestalt als die fechterhaltende Macht und zugleich als sorglich aufnehmende Bewahrerin des wahren Fortschritts, der natürlichen Wandlung und Entwicklung. Ihr unbedingtes Festhalten an dem ewigen, der Macht der Menschen entrückten Recht gibt ihr das kostbare Vermögen, fortzuschreiten, weiterzubauen, Ewiges und Zeitliches zu erkennen, auseinanderzuhalten, zu trennen und zu vereinen. Die Geschichte ihrer politischen Stellungnahmen in den letzten hundert Jahren liefert den Beweis. Welchen Weg hat sie zurückgelegt seit der Enzyklika Gregors XVI. „Menti nostrae“ von .1832 und ihrer Verurteilung des Sozialismus alter marxistischer Observanz in den sechziger Jahren bis zur Haltung gegenüber dem demokratischen Sozialismus in unseren Tagen, zu gleicher Zeit, da sie, die waffenlose geistige Macht, ihren Heroenkampf gegen den neuen Tamerlan, den in Diktaturen organisierten Kommunismus, gegen dieses größte Gewaltsystem der Menschheitsgeschichte führt. Täglich mehrt sich das Heer ihrer Getreuen, die für den Geist gegen den Terror, für die Wahrheit gegen die Lüge, für die Menschenwürde gegen die Versklavung in ein stummes, erbarmungsloses Martyrium eingehen, Bekenner und Blutzeugen für das ewige Recht. Wer die Freiheit will, die Menschenrechte, die Bewahrung vor dem tiefsten Absturz, der muß dieser Tatsachen gewahr sein und wird sich nach ihnen richten. Nur wo die verstaubten Relikte antiquierter Vorurteile den Ausblick in die Wirklichkeit verstellen, könnte es anders geschehen. Der demokratische Sozialismus trägt in Österreich, wie anderwärts auch, eine so große Verantwortung, daß er sich dem Kalkül dieser in dem Weltgeschehen sich offenbarenden Realitäten nicht entschlagen kann. Hier in Österreich, auf diesem vorgeschobenen Posten, den keine Panzerwälle umgürten, ist in Staat und Gesellschaft die Sammlung der geistigen Kräfte für den Aufbau und den Bestand unerläßlich.

Deshalb wird es mehr als nur die Bereinigung einer schmerzhaften Rechtsfrage sein, wenn die Verständigung mit der einverständlichen Ordnung des Eherechts einen, festen Ausgangspunkt gewinnt.

Es geht um Höheres als etwa um einen Fortschritt in der politischen Etappe oder um die Schlichtung des Streites um irgendeinen Randstreifen in einem gemeinsamen Interessengebiet von Staat und Kirche. Dieser Tage galt eine von Gemüt und Gedankenschwere durchgeistigte Feier auf Wiener akademischem Boden der Ehrung des Universitätsprofessors Michael Pfliegler. Die dabei gehaltene Rückschau auf sein bisheriges Lebenswerk, in dessen Vordergrund das Bemühen steht, den sozialistischen Arbeitermassen wieder den Zugang zur Kirche zu, erschließen, war wie ein Geleite in die heutige kulturpolitische Situation, die gekennzeichnet ist durch eine fast klassenmäßige Aufspaltung der großstädtischen und industriellen Massen in ihrem Verhältnis, in ihrer Entfernung oder Nähe zu der Kirche, der sie nach ihrem Taufschein angehören. Die Tatsache ist erschütternd, daß das Christentum, die Religion der Liebesverpflichtung, der sozialen Gerechtigkeit und der gleichen Gotteskindschaft aller Menschen, Hunderttausenden unserer Nächsten, Opfern alter tragischer Verkettungen, als eine bourgeoise Einrichtung erscheinen kann, die für sje interesselos geworden ist. Der unheilvolle Riß ist deswegen noch gefährlicher, weil er von vielen diesseits und jenseits kaum in seiner Tragweite empfunden wird. Der bekümmerte weitschauende Priester„ der sich nach dem ersten Weltkrieg um diese unheimliche pastorale Problematik heiß bemühte, ist durch Enttäuschung und Niederlage gegangen, ohne widerlegt worden zu sein. Die auflockernden geistigen Wandlungen, die sich seither in weiten Schichten der Arbeiterschaft vollzogen haben, ohne aber die bestehende Kluft zu beseitigen,rufen aufs neue auf, für das Heilen der großen Wunde zu sorgen, rufen- auf zu dem missionarischen Liebeswerk, das nichts, aber auch gar nichts mit Parteiwesen, Parteimacht und Wahlpolitik zu tun hat, aber alles mit dem Aufhören einer kulturpolitischen Parzellierung, mit dem ' inneren Zusammenschluß unseres Volkes. Heute zertrennen unser Volk nicht mehr die Verschiedenheit der Rechtsstellung, der' Einkommensverhältnisse, des Lebensstandards und der Aufstiegsmöglichkeit, sondern zumeist nur die aus Undefinierten, aus dumpf empfundenen weltanschaulichen Gegensätzen aufquellende Verschiedenheit. — Wollen Parteien von diesem Unglück leben? Ihm entgegenzuwirken, muß doch wohl das erste Ziel jedes sein, der es gut meint mit unserem Volke. Jedes Werk der Befriedung des religiösen und kulturpolitischen Raumes wird uns diesem Ziele annähern. Daher die Bedeutung der zwischen Kirche und Staat geführten Aussprachen. Sie berechtigen zu Mut und neuem redlichem Beginnen. f.

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