6547512-1947_23_10.jpg
Digital In Arbeit

Um die WeltOlreserven

Werbung
Werbung
Werbung

Die amerikanische Eskader, die im Bosporus ankert, hat nicht zu einem bloßen Höflichkeitsbesuch den Atlantik überquert. Ihr Erscheinen am Goldenen Horn ist nur die sinnfälligste unter den Maßnahmen, welche die Vereinigten Staaten in diesem Räume in den letzten Wochen getroffen haben, wie etwa die Gewährung von Anleihen und die Entsendnug von Beratern nach Griechenland und der Türkei sowie die Vorarbeiten zur Errichtung eines Großflughafens bei Ankara, dessen Ausmaße aus der Bausumme von nicht weniger als 38 Millionen türkischen Pfunden abzulesen sind. Es müssen also gewaltige Interessen sein, die sich Amerika im Mittleren Osten zu verteidigen anschickt.

Mögen Mesopotamien und die Arabische Halbinsel durch Jahrtausende darunter gelitten haben, daß durch ihre Wüstensteppen keine Wasserbäche rieseln — die moderne Technik hat ihnen Quellen erschlossen, nach deren Ertrag die motorisierte Welt einen unersättlichen und immer nodi steigenden Durst zeigt: Das Erdöl, dessen Verwendungsmöglichkeiten unerschöpflich scheinen, liegt in wahrhaft bedeutenden Mengen nur mehr im Vorderasiatischen Räume in Reserve. Einige Ziffern mögen die Rohöllage der Welt verdeutlichen: Die Weltproduktion an Rohöl betrug in Millionen Tonnen: ,

1857 0,0001 1910 50

1860 0,001 1920 100

1870 1 1930 200

1880 2 1940 300

1890 4 1946 400

1900 10 1947 412 (geschätzt)

Die Gewinnung des Rohöles verteilte sich im Jahre 1945 auf:

Nordamerika 251,3 Mill. Tonnen

Südamerika

(hievon Venezuela 40) 52,8 „ „ Europa

(hievon UdSSR 40,9) 50,1 „ Asien: 22,3 „ „

andere Länder CÄ5 „ „

377,0 Mill. Tonnen Von der asiatischen Produktion entfielen auf:

Irak 2,4 Mill. Tonnen

Bahrein-Inseln 1,0 „ „

Iran .16,1 „ „

Saudisch-Abrabien 2.8 „ „

22,3 Mill. Tonnen

In den achtzig Jahren von 1857 bis 1946 hat die Welt 7400 Millionen Tonnen Erdöl produziert, von denen 70 Prozent die Vereinigten Staaten, 13 Prozent das übrige Amerika und der Mittlere Osten nur 5 Prozent geliefert haben. Fachleute haben berechnet, daß die* Erde noch 8000 Millionen Tonnen Erdöl birgt. Auch wenn man ein weiteres Ansteigen das Bedarfes nicht in Betracht ziehen wollte, wird daher dieser wichtige Rohstoff in zwanzig Jahren ausgeschöpft sein. Kann man sich aber noch eine Welt ohne Automobile, Flugzeuge, öl-gefeuerte Schiffe und die ganze Skala von wichtigsten Produkten vorstellen, welche die Chemie aus dem Erdöl gewinnt?

Welche Gruben werden nun am ehesten erschöpft sein und wo lagern, aufschlußbereit, die größten, noch ungehobenen Vorräte? Die erwähnten 8000 Millionen Tonnen Erdölreserven verteilen sich zu

45 Prozent auf Nordamerika

42 „ auf den Mittleren Osten

10 „ auf die UdSSR

3 „ auf übrige Länder.

Die US-amerikanischen Petroleumvorkommen reichen nach einer Mitteilung des früheren amerikanischen Innenministers Herold Ickes. bei strikter Ökonomie, noch für 12 Jahre aus. Dagegen werden die ölreserven des Mittleren Ostens, auch wenn sich dessen Produktion vervierfachen sollte, noch durch vierzig Jahre durch die riesenhaften Ölleitungen strömen. Man schätzt nämlich die Vorräte dieser Länder auf:

Persien 1000 Mill. Tonnen

Irak 800 „ .,

Saudi-Arabien 900 „ „

Koweit- u. Barein-Inseln 1200 „ „

3900 Mill. Tonnen

Erwägt man, daß sich die Erdölvorräte der Vereinigten Staaten auf 2 8 0 0 Millionen Tonnen beziffern, so sieht man, wie Verbrauch und Produktion in Kürze, geographisch gesehen, weit auseinander liegen werden und welchen Wert die industriell hochgerüstete amerikanische Wirtschaft auf Sicherung des ihr notwendigen Rohstoffes legen muß. Es muß hier erwähnt werden, daß die Erdölgewinnung der Vereinigten Staaten in den Jahren 1943 bis 1946 zwar noch absolut gestiegen, aber, gemessen an der Weltproduktion, prozentuell konstant gefallen ist, wie nachstehende Zahlen erweisen: Weltproduktion 1943 (1946): 320 (398) Millionen Tonnen, Anteil der USA: 214 (248) Millionen Tonnen, daher k Prozenten: 67 (63) Prozent.

So waren die Vereinigten Staaten schon seit geraumer Zeit darauf bedacht, eine vorausschauende ölpolitik zu betreiben.

Reiche ölfelder liegen zu beiden Seiten des Persischen Golfes. Am nordwestlichen, persischen Ufer ist die Anglo-Iranian Oil Company mit deren Erschließung befaßt. Sie leitet das gewonnene Produkt durch Rohrlinien nach dem Hafen von Abadan. Etwa tausend Kilometer ostwärts, an der Südküste, auf den Bahrein-Inseln und dem Festland von Saudi-Arabien, liegen zwei andere ölfelder. Ihre Exploitierung ist noch neu, aber sie werden einmal, möglicherweise, zu den größten ihrer Art in der Welt zählen. Sie wurden von der Texas Company und der Sundard Oil Company of California erschlossen, die ihre Interessen in der Arabian-American Oil Company vereinigten, welche wiederum mit drei Zehnteln die Standard Oil Company of New Jersey und mit einem Zehntel die Soconny Vacuum Oil Company beteiligte. Ein kleines, aber schnell an Bedeutung wachsendes ölgebiet liegt um Kuweit im westlichen Winkel des Persischen Golfes. Dort arbeitet die Anglo-Iranian, an der die britische Regierung beteiligt ist, gemeinsam mit einem amerikanischen Unternehmen. Weit im Inland, befindet sich das alte Erdölgebiet von Kirkuk und Mossul, das durch je eine Pipeline mit dem syrischen Hafen Tripolis und dem palästinensischen Haifa verbunden ist, und in das sich die Anglo-Iranian, der holländische Royal-Dutch-Shell-Konzern, eine französische und eine amerikanische Gruppe (gleichmäßig teilen. Die Arabian-American Oil hat gewaltige Summen investiert und von der stark steigenden persisdien Förderung der Anglo-Iranian sich jeweils ein Fünftel gesichert, um sie ihren eigenen Raffinerien und ihren weitverzweigten Handelsorganisationen zuzuführen. Jede dieser beiden letztgenannten Gesellschaften wird eine neue Pipeline durch die Arabische Wüste vom Persischen Golf nach Haifa legen, dessen Raffinerien übrigens vor kurzem durch einen Anschlag zionistischer Terroristen sdiwereo Schaden gelitten haben.

Während es so den Westmächten gelungen ist, ihre vitalen Erdölinteressen in den von ihnen geschaffenen arabischen Kleinstaaten auf friedlichem Wege und zum Vorteile beider Partner zu regeln, ist ein solcher Erfolg Rußland, dessen Erdöllager in Baku gleichfalls zur Neige zu gehen beginnen, bisher versagt geblieben. Die von den Sowjets bei ihrem Abzug aus Iran inspirierte nationale Republik Aserbeidschan, in deren Gebiet die wichtigsten persischen ölterrains liegen, wurde von den Persern zurückerobert, wobei geliehene amerikanische Bombenflugzeuge wesentliche Hilfe leisteten. Die Sowjetregierung konnte auch ihre Forderung auf eine 51prozentige Beteiligung an einer zu gründenden gemeinsamen russisch-iranischen Erdölgesellschaft noch nicht durchsetzen, der, nach Rußlands Wunsch, die alleinige Ausbeutung der nordiranischen Erdölfunde vorzubehalten wäre. In diesem Zusammenhang ist es vielleicht von Interesse, daß die russisch-irani-che Grenze wegen des Wiederauflebens der Partisanentätigkeit in Aserbeidschan kürzlich gesperrt wurde und daß eine amerikanische Militärmission die Ausbildung der iranischen Armee übernommen hat. Es kann so auch der traditionelle- Druck der russisdien Politik gegen die Dardanellen und auf Armenien verstanden werden. Denn hinter den Bergen von Erserum und Kars liegt das ölgebiet von Mossul und, daran gereiht, liegt ein ölfeld nach dem anderen bis zum Ausgang des Persischen Golfes.

Amerikanische Quellen schätzen den Riesenbetrag der Kapitalsanlagen der Vereinigten Staaten in diesem Räume auf etwa eine Viertel Milliarde Dollar. Er wird weit in den Schatten gestellt, von dem realen Werte der dort gewonnenen Produkte, öl ist das Blut der Wirtschaft und der Kriegstechnik. Ohne das Erdöl des Mittleren Ostens müßte die britische Mittel neerflotte im Hafen liegenbleiben, wie auch die amerikanische Pacificflotte mit Treibstoff gleicher Provenienz alimentiert wird. Und für jede Tonne Rohöl, die aus den ölfeldern Vorderasiens nach Haifa fließt, kann das gleiche Quantum des dort besonders kostbaren Rohstoffes im Boden von Texas und Oklahoma bleiben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung