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Um eine neue Kunst des Religiösen

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Di Josefstadt bringt Thornton Wilders „The skin of our Teeth“ unter dem Titel „Wir find noch einmal davon-g e k o m m e n“, das berühmte Stück * eines weltbekannten Autors, zur österreichischen Uraufführung: eine Leistung der Regie und der Schauspieler, welche dieses Theater augenblicklich an die Spitze der Wiener Bühnen stellt, was ganz nüchtern festgestellt werden muß — die Burg hätte es nicht geschafft... Ein einziger Einwand soll jedoch erhoben werden: es ist untunlich, Werke diesen Formats, nämlich eines neuen umfassenden und an sich großartigen, aber unserem Publikum noch fremden Stils der Weltanschauung, ohne eingehende Vorbereitung vorzuführen. Man bedenke doch, nein, man besehe dieses unser Publikum, wie es sich etwa bei der Premiere unserem wenig entzückten Auge darbot: dieses Publikum schlendert sorglos unbeschwert in den Raum des Theaters, es erwartet anscheinend Bonbons, vielleicht gemischte Kost oder gar etwas Pikantes, Prickelndes, falschem Sekt vergleichbar; und wird nun, da es bunte Bilder der Phantasie, der dichterischen Laune erhofft, zu seinem nicht geringen Entsetzen in den Weltraum hineingestoßen: Eiszeit und Sintflut brechen über die harmlosen Seelen herein —, ein gutmütiger amerikanischer Schuljunge entpuppt sich als Kain. Wie geschmacklos: unsere gutmütigen Wiener Bürger heute noch an den Tod zahlloser Mitbürger in Gas- und Folterkammern zu erinnern —, aber seien Sie getrost, im Stück wird davon nicht gesprochen, mit keiner Silbe! Allerdings: von Kain wird gesprochen — immer wieder läuft er selbst auf die Bühne... schrecklich, nicht wahr? Und dann der lezte Akt: es spielt nach einem großen Krieg... das Haus ist halb zerbombt, ein paar Suppenwürfel sind ein großer Schatz geworden, Elend, Not... das Publikum aber lacht — lacht... 1947 in Wien!

Sein „Lachen“ ist kaum verzeihlich. Es ist allerdings nicht nur Ausdruck von Herzenshärte und Abgebrühtheit, sondern auch einer tiefgehenden Verlegenheit. Man ist verwirrt: was soll das heißen? Im ersten Akt laufen ein entzückender Dinosaurier und ein liebreizendes kleines Mammut im modernen Einfamilienhaus von Mister und Missis Antrobus herum, eine Eiszeit naht, Mr. Antrobus aber erfindet gerade das Alphabet und das Rad, was er telegraphisch seiner Familie vermeldet. Dann sammelt sich eine Schar zerlumpter Bettlerflüchtlinge! — um den letzten Ofen —, der Richter Moses, Homer, drei Musen..., Mr. Antrobus kommt nach Hause und bricht zusammen, weil Henry — Kain, viertausend Jahre alt, schon wieder üble Streiche ausgeheckt hat. Und so geht es weiter: In jeder Szene, oft in einem einzigen Satz komprimiert Wilder 6000 Jahre Welt-geschidite und wirft sie dem erschrockenen Zuschauer an den Kopf! Benommen und beklommen erahnt das fühllose Publikum den'SiAn: das alles das sind wir — diese Menschheit, die immer wieder am Abgrund äußerer und innerer Katastrophen steht, über deren Torheiten und Sünden stets das Schwert des Gerichtes, vor deren tapferem Kämpfen und Ausharren sich aber stets neu das Tor der Hoffnung und des Glaubens auftut — das alles sind wir—, Kain und Adam, Mann und Frau, in jeder Stunde unserer Geschichte . ..

Gut, diese lobenswerte moralische Tendenz ließe sich der Bürger noch gefallen, aber nun fragt er: Muß denn das sein, in dieser Form, in diesem Gemisch von Ironie und blutigem Ernst, Theater und Leben, phantastischer Unwirklichkeit und grausamharter Wirklichkeit unseres Tages?

Ja, es muß so sein — und nun stehen wir vor dem großen und ergreifenden

* Ich darf auf meine eigene größere Besprechung — mit Auszug aus einzelnen Szenen in „Wort und Wahrheit“, Heft 4, Mai 1946 — vorweisen.

Grundanliegen unseres Dichters: Wilder geht es um eine neue Form der Aussage des Letzten, Tiefsten und Heiligsten, das die Menschheit besitzt, im Raum, im Feld, der Kunst, des „Literarischen“! Ihm, dem feinnervigen Erspürer des Seelenlebens des modernen Menschen, ist es seit langem klar geworden, daß diesen Mensdien nahezu alle alten Worte zerredet, alle alten Farbea des Gefühls verblaßt, alle alten Töne des Seelischen klimpernd Sind hohl geworden sind. Die Inflation der Worte hat eine Inflation der Werte mit sich gebracht, die von den verhängnisvollsten Folgen sowohl auf dem humanistischen wie dem religiösen Gebiet begleitet ist. Die Entwertung und Entweihung des Göttlichen durch einen 100jährigen Mißbraudi der Sprache hat den Menschen in eine äußerst gefährliche Situation gebracht: die breiten Massen des Volkes, auch die der sogenannten „Gläubigen“ besitzen heute kein Organ mehr für die Sprache des Religiösen! Hier nun setzt Wilder ein, er sagt sich: Wenn die Menschen so abgebrüht,' so „realistisch“ nü htern, so zynisch und ironisch, so brutal-kalt, so objektiv-sezierend sind, dann muß ich ihnen auf eben diese ihre Art und Weise kommen, um ihnen mit meiner Predigt beikommen zu können! Der Dichter Wilder hat, auf seine Art, die Forderung des Paulus und vieler großer Verkündiger und Lehrer des Wortes aufgenommen: Wer dem Volk predigen will, der muß ihm auf den Mund sehen, und Wilder sieht auf Mund, Herz und Sinn der modernen Massen — und ver-dichtet in den Formen und Formeln des modernen Lebens die ewigen Anliegen der Menschheit! Dies „V e r - d i c h t e n“ ist sein Grundanliegen und siehe da: eine neue Welt entsteht unter der Zauberhand dieses echten und wahren Dichters: die armen, kargen Dinge und Gegenstände des modernen Lebens, scheinbar platt, nichtig, leer, verloren -in der trostlosen Mechanik unseres Alltags, füllen sich plötzlich mit metaphysischer Weite, sie beginnen von Rand und Mitte her wie elektrisiert zu knistern und zu sprühen. Letzte Fragen — um unser Menschsein, um Gott — stoßen pfeilschnell aus ihnen hervor und auf uns zu. Dies eben ist die große Kunst Wilders und hier ist er ein Bahnbrecher für eine religiöse Kunst der Zukunft: er läßt die Dinge, so wie sie sind, in und aus ihrer Armut und Nacktheit predigen — er läßt den Abgrund, die Leere, che scheinbare Sinnlosigkeit, die Hölle des modernen Lebens von Gott sprechen — und damit ein einzigartiges neues Zeugnis ablegen sowohl für den ewigen Durst des Menschen nach Höherem wie auch für sein Vermögen, aus Schutt und Asche verkohlter ausgebrannter Herzen und Sinne Lebendiges anzurufen und zu gestalten ...

Wilder also ein Prediger, ein Gestalter eines neuen religiösen Stils? Darf er so ernst genommen, will er selbst so gesehen werden? Für ersteres legt im bejahenden Sinne Zeugnis ab das aus einer Fülle von heute schon klassischen Werken bekannte dichterische Vermögen unseres Dichters (wir erinnern nur an ;,Die Brücke von San Luis Rey“). Für das Zweite stehe sein persönliches Bekenntnis. 19^28 bereits sprach sich Wilder in einer Einleitung zu seinen „Dreiminutenstücken für drei Personen“ sehr offen über diese Grundfrage neuen Kunstschaffens aus. Diese Dreiminutenstück behandeln fast ausschließlich religiöse Probleme — genannt seien hier nur einig Titel: „Und der Knecht hieß Malchus“ „Und das Meer wird seine Toten herausgeben“, „Die Flucht nach Ägypten“. Wildet geht es hier um die Überwindung der sentimental-pathetischen verlogenen Rhetorik des „Religiösen“, wie es die Vergangenheil und ihre Vertreter in der Gegenwart nocl lieben, durch eine zeitnahe Aussage in gam neuem Gewände, da er in ihr die einzig! Möglichkeit sieht, eine den religiöser Fragen entfremdete Generation zu einei neuen Begegnung mit diesem Grundanlieger der Menschheit heranzuführen! Wilder kämpft also gegen die „unangenehme Lehr-haftigkeit“, gegen die penetrante Aufdringlichkeit so vieler berufsmäßiger Prediger und bekennt dabei selbst: „Hier spricht wieder der Lehrer aus mir. Er sieht, daß gerade das Sdiönste der christlichen Überlieferung der neuen Jugend durch die Art der Diktion, in. welcher es gebradit wird, abstoßend gemacht wurde. Der i zeitweise Mangel an Lauterkeit in ganzen Generationen von Geistlichen und Lehrern hat die Formulierungen des geistigen Lebens peinlich und sogar lächerlich gemacht. Nidits lähmt so sehr das .Trachten' dieser Jungen — wer wagt es, mit Überlegung das Wort ,Trachten' zu gebrauchen, ohne es in Anführungszeichen zu setzen? —, wie die Benennungen, die man dafür gefunden hat. Die Wiedergeburt der Religion ist fast eine Sache der Redekunst. Die Aufgabe ist schwer, vielleicht unmöglich (vielleidit sterben die Religionen aus mit der Erschöpfung der Sprache), aber es erinnert uns zum wenigsten daran, daß Gott in seiner Schrift uns aufforderte, nicht nur sanft zu sein wie die Tauben, sondern auch klug wie die Schlangen.“

Wir, die wir zumeist weder sanft wie die Tauben noch klug wie die Schlangen sind, tun gut daran, di Anliegen Wilders ernst zu nehmen. Es geht hier um mehr als um die Eigenwilligkeit eines begabten Dichters, es geht um den Aufbruch einer jungen Generation, um die Geburt einer neuen Form des Religiösen in der Kunst aus dem Geist unserer Zeit!

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