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Um nichts machet eudi Sorge

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Irgend jemand unter den Gästen war auf die Idee gekommen, statt der üblichen Neujahrsglückwünsche ein nettes Gesellschaftsspiel zu veranstalten. Dabei sollte jeder seinen Glücksund Sinnspruch, gleichsam sein Motto für das neue Jahr, in der „Lotterie Fortunas“ ziehenl Es war einfach: jeder schrieb auf einen Zettel einen heiteren oder besinnlichen Leitspruch, faltete ihn und warf ihn in einen umgestülpten Hut. Darnach wurde kräftig geschüttelt — und wieder machte der Zylinder die' Runde —, diesmal zog jeder seinen Jahresspruch auf gut Glück! Was dabei herauskam? Gelächter — Schmunzeln — Heiterkeit.

Es war allerlei Binsenweisheit mit philosophischen Denksprüchen vermischt. Lachend tauschte man die Resultate.

„Wer das hier geschrieben “hat, möchte ich wissen!“ sagte der Bürgermeister kopfschüttelnd, „dieser sonnige Optimist muß sicher im Lotto gewonnen haben — hört doch: ,llm nichts machet, euch Sorgen!' Etwas für Millionäre, aber nichts für einen geplagten Bürgermeister. Wer kann mir den Rat zugedacht haben? Er ist undurchführbar!“

Der Direktor des Chemiekonzerns ihm gegenüber zwinkerte verdächtig: „Sagen Sie das nicht, Herr Bürgermeister. Ich zum Beispiel

habe ausprobiert, daß sich wunderbar darnach leben läßt, auch ohne im Lotto gewonnen zu haben.“

„Was, das behaupten gerade Sie, der Sie doch auch für Hunderte von Arbeitern und Angestellten geradestehen müssen? Das machen Sie mir nicht weis. Ich nagle Sie fest: verraten Sie uns das Geheimnis, wenn's stimmt.“ Es wurde still in der lustigen Runde. Alle sahen den Direktor an. Der schob sein Punschglas beiseite:

„Was ich zu berichten habe, paßt gut zu Neujahr — ein Terminkalender ist schuld an dem ganzen Geschehen, das mich zur Besinnung brachte. Vor zwei Jahren war ich noch ein Mann der Sorgen. Muß ich lange beschreiben, was sich so hinter der gepolsterten Doppeltür des Direktoriums tat? Die Schreibmaschinen meiner beiden Sekretärinnen rasselten sich heiß, drei Telephone schrillten um die Wette — und mein Terminkalender - ja, da war für Wochen kein Fleck mehr, so groß wie ein Pfennigstück, alles belegt, besetzt, vorgemerkt auf Stunde und Minute. Der Terminkalender war ein Dämon,

der mich fast zu Tode hetzte. Unausweichliche Konferenzen, unaufschiebbare Besprechungen, unvermeidliche Telephonate, und drunten wartete beständig mein Chauffeur, mich von,einer Stadt zur anderen zu jagen.

Ich führte gerade ein Blitzgespräch mit Berlin, gegen sieben Uhr abends, meine Sekretärin mußte Ueberstunden machen, da hatte ich plötzlich ein Gefühl, als greife mir eine Faust in die Brust und presse das Herz zusammen. Ich wollte etwas rufen, merkte aber nur noch, daß ich mit dem Kopf gerade auf den Terminkalender sank, das letzte, was ich sah, war der Vermerk: ,eilt!'

Das erste, was ich wieder sah, waren drei Aerzte, die mit bedenklichen Gesichtern um mein Bett standen und unverständliches Latein murmelten. Daß ich die Managerkrankheit hatte, erfuhr ich erst viel später. Mein erstes Wort war: ,Die Konferenz in Köln —' Der Professor lächelte fast grimmig. ,Ruhe, Ruhe, Herr Direktor, das besorgt jetzt Ihr Vertreter. Wir wollen die ersten vier bis sechs Wochen einmal nicht mehr an den Betrieb denken, nicht wahr?' Ich glaubte, in ein Irrenhaus geraten zu sein. Ich — und nicht an den Betrieb denken!

Aber es ging — vor der Tür fingen sie mir die Sekretärinnen ab und alle, die beruflich was von mir wollten. Strengste Ruhe — Entspannung. Ich war nochmal am Tod vorbeigekommen — Herzinfarkt. Ganz moderne Krankheit. Als ob ich Ruhe gehabt hätte! Mein Kopf war eine Telephonzentrale, in der es ständig schrillte.

In dem Zustand besuchte mich Pater Clemens. Nein, nicht um mich zu versehen. Um mir Glück zum neuen Jahr zu wün:rhen, denn es war soweit. Und er schenkte mir etwas, was die Aerzte nicht sehen durften: einen schönen,

weißen, funkelnagelneuen Terminkalender, ein Labsal für mein Gemüt — aber — ich stutzte. Da war etwas in Rotstift über die erste Seite hingekritzelt. Ich buchstabierte:

,Um nichts machet euch Sorgen.'

Ich sah Pater Clemens an. ,Was soll denn das? Wohl ein Witz, was?'

Pater Clemens runzelte die Stirn. .Haben Sie je gehört, daß Christus einen Witz machte?' Ich erstarrte. Ja, das hat Er gesagt, Seinen besorgten Zwölfen und uns. Jeder Tag habe genug an seiner Plage und man solle erst gar nicht an morgen denken. Nicht mal ein Haar unseres Hauptes gehe verloren ohne des Vaters Zulassung — und andere schöne Dinge, die Herz und Nerven gesunden lassen, wenn man sie betrachtet.'

Ich brauste auf. ,1m Kloster vielleicht. Das paßt nicht für die Welt.'

Peter Clemens: .Dachte ich auch, als ich noch draußen war, ich bin ja nicht als Ordensmann geboren. Aber dann versuchte ich es einfach — und es ging von da an alles besser, gesundheitlich, beruflich — in jeder Beziehung.' .Aber das geht doch nicht, Mann, stellen Sie sich vor, ich machte mir um nichts Sorgen — in meinem Betrieb!'

.Christus hat Direktoren nicht von Seinem Programm ausgenommen. Sie dürfen sich sorgen — aber mit Maß — und richtig — zuerst um das Reich Gottes und Seine Gerechtigkeit — und alles andere wird Ihnen nachgeworfen werden. Ich garantiere es.' ,Wie könnten Sie das?' Pater Clemens lächelte: .Erlebt. Habe Hunderte von Heiligen hinter mir, die es ausprobierten. Man muß nur mannhafte Courage mitbringen, ohne Sorgen zu leben — so wie Er es meint, das ist alles. Aber was rede ich zu einem Kranken von Courage?'

Das ärgerte mich. War ich denn schon am Ende — ein Greis? Mut zur Sorglosigkeit? Ich würde es ihm zeigen! Andern Tages verblüffte ich die Aerzte damit, daß ich endlich zusagte, sechs Wochen ins Sanatorium zu reisen, zur Kur. Mit Händen und Füßen hatte, ich mich dagegen gewehrt. Jetzt fuhr ich. Ließ meinen Vertreter wui stein. Um nichts machet euch Sorgen! Täglich sagte ich es mir vor — täglich wollte das geübt sein. Und zwar — ich schäme mich nicht, es hier zu sagen — im Gebet.

Ja, und dann wurde ich gesund, zuerst innerlich. Ich erfuhr, daß der Glaube an die göttliche Vorsehung ein unentdecktes Medikament für unsere abgehetzte Menschheit ist, eine Wundermedizin! Eine, die Gott verordnet hat, die wir aber verachten, weil wir uns an Opiate gewöhnten, an das tödliche Opiat der Selbstüberschätzung, unserer Unentbehrlichkeit! Als ich in den Betrieb zurückkam, stellte ich zuerst den Terminkalender des Pater Clemens auf — mit seinem Sinnspruch. Er galt fürs ganze Jahr. Und ihm danke ich, daß ich an dieser schönen Silvesterfeier heute als gesunder Mann

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