Umberto Eco: Im Namen des Textes

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Bekannt und erfolgreich als Wissenschafter und als Schriftsteller: Umberto Eco feiert am 5. Januar seinen 80. Geburtstag.

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Bekannt und erfolgreich als Wissenschafter und als Schriftsteller: Umberto Eco feiert am 5. Januar seinen 80. Geburtstag.

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"Wie man eine Privatbibliothek rechtfertigt", "Zwischen La Mancha und Babel", "Reflexionen über Bibliophilie" und "Innerer Monolog eines E-Books", so heißen einige der zahllosen Kommentare, Glossen, Aufsätze und Essays, die Umberto Eco in den vergangenen Jahrzehnten in Zeitschriften und Büchern veröffentlichte. Aus seiner Liebe zu Büchern hat Eco nie ein Hehl gemacht, spürbar ist sie auch in seinem Gespräch mit Jean-Claude Carrière, das als Buch, als "Die große Zukunft des Buches", 2010 auf Deutsch erschienen ist. Eco hat nicht nur eine große private Bibliothek, er ist selbst eine. Auch in seinen Romanen wird sein enzyklopädisches Wissen sichtbar, zuletzt fiel Ecos immenses Geschichtswissen in "Der Friedhof in Prag" (2011) auf.

Doch der Wissenschafter und Schriftsteller Eco wäre nicht Eco, würde er in seinen Romanen neben historischen Fakten, Figuren, Dokumenten und Fälschungen nicht auch seine Erfindungen einarbeiten: Für seinen Roman "Baudolino" (2000) etwa erfand er ein hypothetisches Pidgin-Piemontesisch des 12. Jahrhunderts. Was ist gefunden, was ist erfunden: Ecos Romane garantieren Literaturwissenschaftern Arbeit für Jahrzehnte und Jahrhunderte.

Wissenschaftlich und kreativ

Zwischen "wissenschaftlicher" und "kreativer" Schreibweise gibt es keinen ontologischen Unterschied, meint Eco, der einzige Unterschied bestünde darin, dass "man in einem theoretischen Aufsatz gewöhnlich eine bestimmte These beweisen oder eine Antwort auf ein spezifisches Problem geben will. Während man in einem Gedicht oder Roman das Leben in seiner ganzen Unauslotbarkeit darzustellen versucht." Seine Doktorarbeit schrieb Eco über "Das Ästhetikproblem im Werk des Heiligen Thomas". Ein Prüfer -so erzählt Eco, und wir müssen ihm das nun einfach glauben -warf ihm narrative Täuschung vor. Anstatt Ergebnisse der Forschung vorzulegen, erzähle Eco die Geschichte seiner Forschung, als sei sie ein Detektivroman. Das, so Eco weiter, brachte ihn auf den Gedanken, "dass alle Forschungsergebnisse auf diese Weise 'erzählt' werden müssen". Aber vielleicht brachte ihn das auch auf die Idee, viele Jahre später, einen Kriminalroman zu schreiben, für den Eco aus dem Vollen seiner Mittelalterkenntnisse schöpfen konnte. "Der Name der Rose" (1980) wurde Welterfolg und Weltliteratur und gilt als postmodernes Werk. Eco baute Zitate und Anspielungen aus der Kulturgeschichte ein, setzte Ironiezeichen dazu und markierte die Literatur als Literatur.

Ein kleines Beispiel aus seinem umfangreichen Roman mag als Beleg für diese Verfahrensweise genügen, nämlich die Kapitelüberschrift: "Natürlich, eine alte Handschrift". Eco signalisiert damit den Lesern, dass eine alte Handschrift ein literarischer Topos ist, das heißt, dass sie in vielen Literaturen schon auftauchte, der Hinweis, dass sie "natürlich" auch hier nun auftritt, ist ein Augenzwinkern an den Leser. Dennoch gingen viele auf die Suche nach der Handschrift. Vielleicht gibt es sie ja doch?

Mit diesem Phänomen beschäftigte sich Eco intensiv: Wie Literatur den Lesern wirklich wird, wie fiktive Figuren für Leser zu leben beginnen, wie Interpretation geschieht. Leser produzieren den Sinn dessen, was sie lesen, sie konstruieren ihr Werk. In "Lector in fabula" (1979) geht es, wie der Titel schon sagt, um den Leser in der Geschichte, nämlich um die "Mitarbeit der Interpretation in erzählenden Texten". Die Intentionen des Autors sind irrelevant für die Interpretation - der Autor sollte überhaupt das Zeitliche segnen, nachdem er sein Werk veröffentlicht hat, hielt Eco ironisch in seiner "Nachschrift der Rose" (1983) fest -, interpretiert wird "gemäß einer komplexen Strategie von Interaktionen, die auch die Leser miteinbezieht, samt deren Kompetenzen in ihrer Sprache als einer sozialen Schatzkammer. Mit 'sozialer Schatzkammer' meine ich nicht nur eine gegebene Sprache mit einer bestimmten Anzahl grammatikalischer Regeln, sondern die ganze Enzyklopädie, die durch den Gebrauch der Sprache generiert worden ist: die kulturellen Konventionen, die diese Sprache erzeugt hat, und die Geschichte der früheren Interpretationen ihrer vielen Texte einschließlich desjenigen, den der Leser gerade liest."

Dass das Kunstwerk "offen" ist ("Das offene Kunstwerk", 1962), dass der Leser am Text mitarbeitet, bedeutet noch lange nicht, dass alle Lesarten möglich wären, es ist ja der Text, so Eco, der nicht nur eine bestimmte Deutung zulässt, sondern zu ihr ermutigt und deshalb gibt es "Die Grenzen der Interpretation" (1990). Gut nachzulesen sind nun einige von Ecos Theorien in jener Vorlesung, die er 2008 in Atlanta gehalten hat: "Bekenntnisse eines jungen Schriftstellers" (Hanser 2011). Der Titel des Buches spielt - wieder in typischer Eco-Ironie - darauf an, dass der Wissenschafter erst sehr spät begann, als Schriftsteller tätig zu werden. Zuvor war er Mitarbeiter bei RAI, Sachbuchlektor im Verlag Bompiani und 1975 erhielt er seine Professur für Semiotik an der Universität Bologna, die er bis 2007 innehatte.

Kindheit im Faschismus

Eco, verheiratet mit der deutschen Kunstexpertin Renate Ramge, wurde am 5. Januar 1932 im piemontesischen Alessandria geboren, Mussolini war auf dem Höhepunkt seiner Macht. Bis zum 13. Lebensjahr wurde Eco vom Faschismus geprägt, literarisch setzte er sich damit und mit den beeinflussenden Lektüren dieser Zeit im Roman "Die geheimnisvolle Flamme der Königin Loana" (2004) auseinander. Eco engagierte sich in der nationalen Leitung der Katholischen Jugend; als Pius XII aber 1954 Mario Rossi seines Amtes enthob, führte das zu einer Rücktrittswelle von Leitern der Katholischen Jugend - Eco begann sich vom Katholizismus zu verabschieden, erzählt Biograf Michael Nerlich (Francke 2010). Vielleicht erklärt sich aus der Erfahrung des Faschismus Ecos vehemente Ablehnung von Diktaturen und Dogmatiken, nachzulesen auch in seinen politischen Schriften, in denen er über intellektuellen Antisemitismus ebenso räsoniert wie über das unheilbringende menschliche Bedürfnis nach klaren Feindbildern.

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