Unbeeindruckt vom Leben

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Paulus Hochgatterers neue Erzählung über Romantik in Psychiatrie und Fliegenfischen.

Drei Männer, in Wien als Ärzte in der Psychiatrie tätig, nehmen sich einen Tag Urlaub, um in der Steiermark ihrem Hobby nachzugehen, dem Fliegenfischen. Es wird Auto gefahren, gefischt, Bier getrunken, Männerwitze werden ausgetauscht. So lakonisch und gewohnt unprätentiös kommt Paulus Hochgatterers neue Erzählung "Eine kurze Geschichte vom Fliegenfischen" daher. Aufs erste hält die Geschichte wenige Überraschungen bereit. Gut, die Fahrt findet am 11. September 2001 statt, also an jenem Tag, als das Attentat in New York passiert. Bei Hochgatterer liest es sich so: "Als wir uns treffen, wissen wir nichts von dem, was an diesem Tag passieren soll, weder von der Sache mit dem World Trade Center noch davon, dass Julian in den Bärenklau fallen wird ..." Mesmer, der Ire und Julian, so die Namen der drei Hauptfiguren, geben sich unbeeindruckt sowohl was ihren Berufsalltag betrifft, wie auch gegenüber dem Leben an sich.

Illusionsloses Leben

Hochgatterers Schreibstil unterstreicht das trocken-zynische, mehr oder weniger illusionslose Leben seiner Protagonisten, in der bewusst beiläufig gehaltenen Schreibe erlaubt der Autor kaum Ausflüchte aus der eingefahrenen Wirklichkeit. Etwa wenn sich der Ire und der Ich-Erzähler, der von den beiden anderen Mesmer genannt wird, Geschichten aus der psychiatrischen Klinik erzählen: Vom verzweifelten Vater, dessen Sohn nichts mehr sagt, tagsüber nur Runen malt, bis er das Auto von Jonas beschädigt, oder von der kleinen rothaarigen Musikstudentin, die mit ihren halbherzigen Selbstmordversuchen zum regelmäßigen Gast-Patienten auf der Klinik wird. Auch in der neuen Erzählung Hochgatterers sind Verzweiflung und Einsamkeit die stillen Gäste nicht nur zwischen den Zeilen.

Kontrast Natur

Die eingeflochtenen Fallgeschichten vom verrückten Leben in unserer Gesellschaft stehen dabei in scharfem Kontrast zu den Naturschilderungen bzw. zu den Beschreibungen des Fliegenfischens. Auch wenn letzteres vielleicht für Außenstehende ein bisschen zu detailreich geraten sein mag, in der genauen Beobachtung wächst sich auch ein Ton der Sehnsucht und Schönheit heraus, der die gesamte Erzählung in ein anderes, weicheres Licht zu rücken vermag. Dies gilt, auch wenn der Autor seine Personen folgende Dialog führen lässt: "Hat Romantik in der Psychiatrie etwas zu suchen oder nicht?" "Psychiatrie ist Romantik", sagt der Ire. "Und Fliegenfischen auch?" "Genau."

Zumindest für einige Stunden, eigentlich aber nur für einige wenige Minuten, wenn sich die drei Protagonisten beim möglichst zielgenauen Werfen ihrer Fliegenschnüre untereinander unbeobachtet fühlen, die spöttischen Kommentare, die ermüdenden Hänseleien des Spezialistentums aussetzen, werden die entrückenden Luftpolster dieser Erzählung deutlich. Mesmer erträumt sich das junge Mädchen von der Raststätte, wo die drei bei ihrer Hinfahrt eingekehrt waren, der Ire spricht über die Eleganz des Döbels und der strahlend-hellen Soca-Forelle, Jonas konzentriert sich auf seinen möglichen Fang, der dann auch in Form eines überragend großen Saiblings Wirklichkeit wird.

Dennoch: Die Momente innerer Zufriedenheit bleiben spärlich. Überraschend kommt das nicht: Bereits in seinen früheren, völlig schnörkellosen Erzählungen beschrieb der nun 41-jährige Kinderpsychiater die vielen Einübungen in das gleichgültige, scheinbar "durchschaute" Leben. In einem Interview meinte Hochgatterer einmal, das wir alle an einer "Krise der Erfahrung" leiden würden, also an einem Zuwenig an unmittelbarer Realität. Einzig hier am grün gefärbten Fluss, beim Aussuchen der geeigneten Fliege, beim Waten durch das fließende Gewässer, im Beobachten der Sträucher, des Himmels und der Wasseroberfläche finden die drei Protagonisten zu sich, können sie sich gegenüber der Wirklichkeit öffnen. Den großen Rest ihres Lebens, also Beruf, Frauen und Familie, meinen sie hingegen längst "durchschaut" zu haben.

Eine kurze Geschichte vom Fliegenfischen

Roman von Paulus Hochgatterer

Verlag Deuticke, Wien 2003

112 Seiten, geb., e 14,90

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