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Unbekannt, doch interessant

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Die „Membra Jesu nostri” von Dietrich Buxtehude, eine Art Passionsmusik für Soli, fünfstimmigen gemischten Chor, Streichorchester und Orgel, 1680 entstanden, hörte man seit Buxtehudes Zeit im Großen Musikvereinssaal wahrscheinlich zum erstenmal wieder, ausgeführt vom Wiener Madrigalchor unter Xaver Meyer. Das Werk beeindruckt durch seine tiefe Gläubigkeit, seine musikalische Ausdruckstiefe, die knappe Formulierung der sieben Kantaten, jede von innerer Geschlossenheit und doch ein voll- kommendes Ganzes, dem allerdings der dramatische Charakter der großen Passionen fehlt. Auch die (in der Kirche immer seltener werdende) Sprache wirkt prägnant und wohltuend, was durch die dem Programmheft beigegebene deutsche Übersetzung allein sich überzeugend beweist. Die Leistung des Oberes war sehr ansprechend, durch die frischen jugendlichen Stimmen auch klanglich von guter Wirkung, in den Männerstimmen allerdings groß- teils schwach und dadurch nicht immer ausgeglichen. Von den Solisten erfüllt nur Laurence Dutoit den Anspruch des großen Saals wie den des Werkes ganz. Tongebung, Text und Phrasur waren genau und stilmäßig richtig. Die sehr schöne Stimme Helga Wagners konnte sich nur im Einzel- und Zwiegesang, nicht aber im Ensemble durchsetzen. Rudolf Katxböck (Baß) setzte sich wohl durch, wobei aber der Schmelz seiner Stimme verlorenging. Unausgeglichen blieb stimmlich der Tenor Klau Gerboth. Das Orchester war in seinen Solisten gut (Hans Hasel- böck, Orgel, und Rudolf Nekvasil, Flöte, hervorragend), im Ensemblespiel nicht sehr differenziert. Der Schwierigkeitsgrad des Werkes ist nicht sehr hoch, das bewies die vorangehende, weniger gelungene Wiedergabe der Kantate von J. S. Bach: „Himmelskönig, sei willkommen”, die bei aller Bemühung überfordert wirkte. In einem kleineren Saal wäre der Eindruck entschieden ein günstigerer gewesen.

Franz Krieg

Das 7. Konzert im Zyklus „Die slawische Symphonie” leitete Carl Melles, der hier vor drei Jahren entdeckt wurde und sogleich viel Sympathie für sich und seine Art des Musizierens gewinnen konnte. Hoch- gewachsen, schlank und schlacksig, mit der Partitur auf dem Pult, aber ohne den magischen Zauberstab in der Hechten, .ist er der Gegentyp eines Schaudirigenten. Er macht Musik gewissermaßen mit dem Rük- ken zum Publikum, ist um Faszination und schöne Gesten völlig unbemüht — und vermittelt eine Musik, bei deren Anhören man sofort warm wird: so einfach, aufrichtig und zugleich intensiv weiß er sich mitzuteilen und die von iihm geliebten Werke zu vermitteln. Im besprochenen Konzert waren es die selten gespielte romantisch-dramatische „Manfred”- Ouvertüre von Schumann, Bartöks Violinkonzert und Dvofdks 5. Symphonie „Aus der neuen Welt”, die nach neuer Zählung jetzt die 9. ist. — In Bartöks Meisterwerk, dem letzten, das er (1939) in seiner Heimat vollendete und in welchem „das starke Hervortreten reflexiver Formbeziehungen” (wie es im Programmheft heißt), nicht immer den Eindruck des kunstvoll Gestückelten verwischen kann, war Edith Peinemann die Solistin. Sie bewältigte den technisch und geistig gleichermaßen höchst anspruchsvollen Violinpart (auf einer herrlichen, dunkeltönenden Guar- neri) großartig. Aus der etwa 20jäh- rigen vielversprechenden Debütantin von 1959, als die wir sie in Wien erstmalig kennenlemten, ist eine Geigerin von Weltklasse geworden. Und das Orchester der Wiener Symphoniker spielte unter der zuweilen verwirrend undoktrinären Zeichengebung Melles’ mi.t einer Hingebung und einer Tonschönheit, wie man sie selten irgendwann und irgendwo erlebt. (Kleine Unebenheiten scheint der Dirigent kaum zu bemerken, und auch der Kritiker hat sie kaum ad notam genommen.)

Friedrich Cerha, der Leiter des Ensembles „die reihe”, ist nicht nur unermüdlich im Aufspüren unbekannter oder vergessener moderner Partituren (vor allem aus der Zeit von 1900 bis 1930), sondern erweist sich zugleich auch als ihr kompetenter und sachkundiger Interpret. Im Mozartsaal des Konzerthauses brachte er gleich drei Werke dieser Art. „Ein Stelldichein” (Uraufführung) von 1905 ist ein hochinteressantes Fragment Schönbergs aus dem Jahr 1905 und, wie das Streichsextett „Verklärte Nacht” von einem Gedicht Richard Dehmels inspiriert. Das zweisätzige Zwölfminutenwerk, für zwei Bläser, zwei Streicher und Klavier gesetzt, ist zwar noch tonal gebunden, zeigt aber schon alle Merkmale des Übergangs zu einer freieren Sprache, ist dicht in der schwermütigen Stimmung und von hohem klanglichen Reiz. — Die „Drei kleinen Stücke für Kammerorchester” stammen aus dem Jahr 1910 und weisen bereits jene aphoristische Form auf, deren sich Schönberg später oft bediente, um in freitonaler Sprache seine „Psychogramme” aufzuzeichnen. Das letzte der drei Stücke mit Celesta und Harmonium mag die Unkenrufe in Alban Bergs „Wozzeck” angeregt haben. — Die bekannte siebensätzige „Serenade op. 24 aus dem Jfrhr 1923 mit Marsch, Menuett, Tanzszene usw. wurde sehr duftig musiziert, das Petrarca-Sonett des 4. Satzes von Friedl Kummer treffsicher intoniert — aber ob er sich damit das Herz einer Schönen wird erobern können? — Die „Biblischen Balladen” op. 10 von Max Brand auf fünf Gedichte der Else-Lasker-Schüler erinnerten an einen seinerzeit sehr bekannten und an mehreren deutschen Bühnen aufgeführten Komponisten. Bis ist jener Max Brand, der, 1896 geboren, den ersten Weltkrieg als aktiver österreichischer Rittmeister mitmachte, bei Schreker, Häba und Erwin Stein studierte und mit seiner sozialkritischen Oper „Maschinist Hopkins” berühmt wurde. Brand, der heute in Amerika lebt, schrieb diese Lieder für Sopran und 12 Instrumentalisten vor seiner Erfolgsoper von 1927. Sie sind in der Diktion, in ihrem konzentrierten Ausdruck und in der Führung der Singstimme hörbar von Schönberg beeinflußt, nur tauchen ab und zu ostinante Rhythmen von fast Weill- scher Prägung auf, die es bekanntlich beim Vater der Dodekaphonisten nicht gibt. Gerlinde Lorenz war die mit einer expressiven Stimme begabte und intelligente Interpretin. Viel Jugend im Saal und viel Beifall.

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