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Unbekanntes von Weill und Bartók

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„Vorwiegend heiter“ hätte Paul A n g e r e r als Motto über das „Programm seines letzten Konzertes mit dem Kammerorchester und sieben Solisten setzen können. Wieviel Geist, Witz und gute Laune steckt schon in den vier Miniatursätzen (Marsch, Valse, Polka und Galopp) von Igor Strawinsky, die sich hinter dem neutralen Titel „Suite Nr. 2“ verbergen! — Dann folgen, jeweils die beiden Hauptwerke des Abends einleitend, Londoner und Wiener Straßenrufe, für mehrere

David Tudor am Klavier Konzert „die reihe III“ im Mozart-Saal (Statt einer Kritik)

Singstimmen und Instrumente gesetzt, die ersteren von Orlando Gibbons (1583 bis 1625), die letzteren von Gregorius Joseph Werner, dem Eisenstädter Vorgänger Joseph Haydns, mit dem Titel „Wiennerischer Tändelmarckt“. — Die Solisten der Kantate „Der neue Orpheus“ von Kurt Weill waren Ilona Steingruber (Sopran) und Eduard Melkus (Violine). Das um 1925 entstandene originelle Werk auf einen expressionistischen Text von Ivan Goll, der seinen modernen Orpheus als Klavierpädagogen, im Variete zwischen Schlangenmenschen, als Clown,

Dirigenten im Kriegerverein usw. auftreten läßt, zeigt nur da und dort die durch das Begleitostinato charakterisierte Handschrift des „Mahagonny“- Komponisten, fesselt aber durch die charaktervolle Orchestrierung, die Herbheit seiner Tonsprache und, nicht zuletzt, durch den aparten Vorwurf. — Jean F r a n o a i x macht aus dem umfangreichen Sitten- roman „Le d i a b 1 e b o i t e u x“ von Le Sage eine knapp halbstündige heitere Kammeroper, voller Witz und mit reizenden instrumentalen Einfällen, die wir in einer konzertanten Version als Kammerkantate mit den Solisten Erich Majkut und Ludwig Weber kennenlernten. Es ist dies gewissermaßen ein gallischer „Faustulus", der den letzten Rest von Ernst, welcher dem Sujet Le Sages innewohnt, wie Seifenblasen aufsteigen und zerplatzen läßt.

Dem aus London kommenden Gastdirigenten Samuel R o s e n h e i m, der das Orchester der Wiener Symphoniker im Großen Musikvereinssaal leitete, danken wir die Begegnung mit einem Frühwerk Bela Bartöks. Die etwa 30 Minuten dauernde „Suite Nr. 2 op. 4“ zeigt in keinem ihrer vier Sätze die später so ausgeprägte Eigenart des Komponisten. Es gibt darin Anklänge an Dvorak, Respighi, Strauß und — Wagner, ja wir hören mehrmals die später von Bartök so radikal abgelehnte Zigeunertonleiter und musikdramatische Tremoli. — Für solche Aufführungen muß der Kritiker dankbar sein: das „breite“ Publikum bekommt durch sie freilich leicht eine falsche Vorstellung vom Persönlichkeitsstil eines Großen der Musik. — (Das vorangegangene 3. Brandenburgische Konzert von Bach und die 2. Symphonie von Brahms wurden „ohne besondere Kennzeichen" wiedergegeben.)

Helmut A. Fiechtner

Zwei Klavierabende: Hans Petermandls poetisches Bach- Spiel, lyrisch und filigran, kann man sich wohl gefallen lassen, auch wenn die verhauchenden Schlüsse mehr in die Romantik als ins Barock weisen. Ein persönlicher Stil beginnt sich bei dem jungen Pianisten deutlich abzuzeichnen, der in der durchsichtigen Klarheit der Goldberg-Variationen zu bestem Ausdruck gelangte. Eine andere Frage ist das souveräne Uebersehen der Wiederholungszeichen, das die Ermüdung verhindert, aber die Form frag- mentisiert; ein mit einem Nachteil erkaufter Vorteil. — Alexander Jenner spielte Beethovens Sonaten Es-dur, op. 31, Waldsteinsonate, Pathétique und Appassionata. Sowohl der heroische als der lyrische Beethoven wächst in seinem Spiel zu großer klarer Erscheinung, der alle kleinen Freiheiten in Tempo und Agogik ebenso dienen wie der rhythmische Schwung, dessen Exaktheit sie gelegentlich unterbrechen. Mit der Appassionata bot Jenner eine glänzende Leistung.

Andreas S e g o v i a, Meister der Gitarristen, spielte einige Stücke aus dem 16. Jahrhundert, ferner von J. S. Bach und den beiden Scarlatti so einmalig, als diese Kompositionen sind. Man glaubte oft, nicht eine Gitarre, sondern ein Cembalo zu hören. Bei den folgenden Stücken aus dem 20. Jahrhundert (Tans- man, Villa-Lobos, Castelnuovo-Tedesco und Albeniz) enttäuschte der Mangel an musikalischer Substanz, den die Gitarre noch weniger überspielen kann als das Klavier.

Von einigen harmonisch interessanteren Wendungen abgesehen, ist Joseph Haydns Solokantate „Ariadne auf Naxos“ von ermüdender Länge und Spannungslosigkeit, woran auch die geistig hochstehende Wiedergabe durch Elisabeth Höngen nichts ändern konnte. Noch viel mehr gilt dies von Franz Schuberts Komposition der Schillerschen Bai-.

lade „Der Taucher", die noch länger und ermüdender wirkt, zumal die Musik das Tempo des dramatischen Ablaufs ebenso hemmt als den gehämmerten Rhythmus der Sprache. In Gesängen von Hans Pfitzner und Richard Strauss war dagegen kompo- sitions- und interpretationsmäßig dem Liede gegeben, was des Liedes ist.

Unter den Cembalisten der Gegenwart steht Ralph: Kirkpatrick nicht ,nur durch seine stupende Technik, sondern mehr noch durch seine geistige Profilierung obenan. Trotz gelegentlich etwas freier Gestaltung in Anschlag und Phrasur ist sein Bach- Spiel in der Plastik der Linie und Dynamik von lebendigster Echtheit, während er den Sonaten Domenico Scarlatti durch klanglich subtile Schattierung melodisch und nicht selten sogar harmonisch Ueber- raschurigen zu entlocken vermag. Sein Spiel klingt zuweilen wie eine große Gitarre, gelegentlich aber auch wie eine Orgel.

Bis in die feinsten Nuancen durchgeführtes Zusammenspiel bewies das Trio di Trieste in Werken von Haydn, Dvorak und Brahms. Blieb der Brahmsische Ernst gleichwohl etwas trocken, lebte sich in Dvorak eine erquickende Tonfülle aus und bei Haydn die kristallene Klarheit, der allerdings gelegentlich einige robustere dynamische Uebergänge nicht besonders gut bekamen. Der große (für Kam mermusik viel zu große) Konzerthaussaal mag wohl die subtilen Dreimänner dabei irritiert haben.

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